Wirtschaftsumbau Wie Subventionen den Fachkräftemangel verschärfen
In die Region Cottbus fließen Milliarden Fördergelder für den Ausstieg aus der Braunkohle. Das sorgt auch für Probleme: Große Neuansiedlungen machen der örtlichen Wirtschaft die Fachkräfte streitig.
So hatte sich Lars Wertenauer das nicht vorgestellt mit dem Wirtschaftsaufschwung in der Lausitz. Er ist Geschäftsführer der Metall-Form-Technik GmbH in Kolkwitz im Südosten Brandenburgs. Und seit einigen Monaten kommen ihm immer wieder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abhanden - abgeworben von umliegenden, größeren Unternehmen.
Von einst 60 Angestellten hat er allein in diesem Jahr sechs verloren. Einige gingen zur Deutschen Bahn, die in Cottbus ein ICE-Instandhaltungswerk baut. Andere verabschiedeten sich zum Braunkohleunternehmen LEAG, das nach eigenen Angaben "an einer grünen Zukunft arbeitet"; mit Solarparks und Stromspeichern.
In die Aufbruchsstimmung mischt sich seitdem eine gewisse Ernüchterung. Wertenauer hat es bei Ingenieuren und Technikern beobachtet. "Da werden Mitarbeiter aktiv abgeworben." Die neu ankommenden Unternehmen zahlten teilweise sogar Handgeld, als Startprämie sozusagen. Das berichten auch weitere Unternehmer aus der Region.
Demographischer Wandel schlägt zu
Die großen Konkurrenten haben schlicht ein besseres Gehalt anzubieten. Und das, obwohl Wertenauer seinen Mitarbeitern Tariflöhne zahlt. Der Mittelstand in der Lausitz klagt seit Jahren über Fachkräftemangel. Die Einwohnerzahl der Region um Cottbus sinkt seit Jahren - der demographische Wandel schlägt hier mit voller Wucht zu.
Um die wirtschaftlichen Folgen des bevorstehenden Kohleausstiegs abzufedern, gibt es reichlich Subventionen für die Region: Regional- und Kommunalförderung, Unternehmensförderung und Gelder für öknomisch-ökologischen Wandel. Das heißt auf gut Deutsch: Es werden Arbeitsplätze geschaffen, viele davon mit Hilfe von Steuergeldern.
Die Deutsche Bahn allein will in Cottbus 1.200 Angestellte beschäftigen - in einem Instandhaltungswerk für ICE-Züge, das Anfang kommenden Jahres in Betrieb gehen und 2026 unter Volllast laufen soll. Angestellte, welche die Bahn irgendwo hernehmen muss. Wertenauer sagt: "Bei dem, was die Bahn als finanzielle Kraft mitbringt, können wir als kleiner Mittelständler nicht mithalten."
Abwerbungen nach der Ausbildung
Wertenauer ist mit seinem Unmut nicht allein: Autohäuser in Cottbus klagen, dass ihnen frisch ausgebildete Mechatroniker nach der Lehre einfach reihenweise abgeworben werden. So etwas gab es bis vor kurzem innerhalb der Region kaum. Der staatlich mitfinanzierte Wirtschaftsaufschwung verschärft den Fachkräftemangel anscheinend enorm - und schwächt den eingesessenen Mittelstand.
Dabei gibt es Wissenschaftler, die vor solchen Effekten schon vor Jahrzehnten gewarnt haben. Harald Michel vom Institut für angewandte Demographie in Berlin etwa. Für ihn ist der staatliche Geldregen, der über der Lausitz ausgeschüttet wird, nur ein politisches Zeichen: "Nach dem Motto: Wir haben die Region nicht aufgegeben. Die Probleme, die das in einer schrumpfenden Region mit sich bringt, sieht man eben schon jetzt: die Kannibalisierung."
Minusgeschäft Lausitz?
Das Problem der "Kannibalisierung" sei seit mindestens 25 Jahren in der Forschung bekannt. Wenn die Bevölkerung schrumpfe - und das tut sie in der Lausitz - sei es fast unmöglich, politisch gegenzusteuern: "Der Kuchen wird einfach immer kleiner. Und wenn man gegen die organische Schrumpfung mit Förderpolitik angeht, induziert man vielleicht so etwas wie ein künstliches Wachstum - aber eben nur regional", sagt Michel.
Auf Gesamtdeutschland betrachtet habe das aber negative Folgen. "Das ist volkswirtschaftlich noch nicht einmal ein Nullsummen-Spiel, sondern ein Minus-Spiel", sagt Michel. "In schrumpfende Regionen solche Summen zu investieren bedeutet volkswirtschaftlich einen Verlust. Die Mittel wären in wachsenden Regionen effektiver angelegt."
Das Problem ist in der Lausitz erkannt - eine Lösung nicht in Sicht. Manuela Glühmann von der Industrie- und Handelskammer Cottbus erklärt: "Natürlich mahnen wir die großen Player an, fair damit umzugehen, gerade Deutsche Bahn und LEAG. Und wir wissen auch, dass die sich der Verantwortung bewusst sind." Aussagen, die viele Unternehmer in der Lausitz angesichts von Abwerbeprämien eher skeptisch sehen.
Mittelständler Wertenauer setzt auf die Jugend, wie er sagt: "Wir bilden gern und mit Leidenschaft neue Azubis aus." Zweimal hat sein Metallverarbeitungsbetrieb bereits einen Ausbildungspreis gewonnen. Doch ob der Nachwuchs anschließend auch im Unternehmen bleibt, scheint unsicherer als jemals zuvor.