Hofnahes Schlachten Der komplizierte Tod auf der Weide
Die Politik macht sich stark für einen hofnahen Tod von Tieren. Sie sollen möglichst schonend und ohne langen Transport geschlachtet werden. Das ist oft eine Herausforderung für Landwirte und Behörden.
"Eigentlich wollten wir heute Morgen zwei meiner Rinder schlachten", erzählt Ralf Engelhardt. "Aber der Fleischer hat sich in den Finger gesägt, deshalb musste die Aktion ausfallen." Mit Aktion meint der Landwirt aus Rieben in Brandenburg eine teilmobile Schlachtung, auch hofnahe Schlachtung genannt. Dabei werden die Tiere auf der Weide mit einem Bolzenschuss oder einem Weideschuss betäubt.
Anschließend erfolgt ein Schnitt durch die Kehle, wodurch das Rind ausblutet und stirbt, erzählt der Landwirt. Danach muss das Tier in einem speziellen Schlachtmobil zu einem Zerlegebetrieb gefahren werden - so verlangt es eine EU-Vorschrift.
Der Tod kommt schnell und erwartet
Der 58 Jahre alte Landwirt, der 190 Rinder hält, ist so etwas wie ein Pionier, wenn es um hofnahe Schlachtung geht. Er gehörte mit zu den Ersten, die in Deutschland auf diese Art der Weidetötung gesetzt haben. "Ich wollte den Tieren den Stress eines langen Transports in einen Schlachthof ersparen", sagt Engelhardt. "Dazu kommt, dass ich auch mehr verdiene, wenn ich die Tiere direkt vermarkte und nicht an einen Viehhändler verkaufe."
Mehrheitlich werden in Deutschland Tiere immer noch auf dem Bauernhof eingefangen, verladen und abtransportiert. Am Schlachthof werden sie entladen, in eine Betäubungsbox geführt, betäubt und ebenfalls per Kehlenschnitt getötet. Die Politik allerdings will weg von der hohen Zahl an Lebendtiertransporten und fördert die hofnahe Schlachtung.
"Regeln sind manchmal wirklichkeitsfremd"
Seit 2021 erlaubt die EU beispielsweise, dass bis zu drei Rinder pro Schlachtvorgang auf der Weide getötet werden können, unter strengen Auflagen allerdings. So muss bei jeder Schlachtung ein amtlich bestellter Tierarzt anwesend sein, und der Abtransport muss in einem speziellen Anhänger erfolgen, der zuvor von einer Behörde zertifiziert wurde.
Außerdem gibt es eine Frist. Sind die Tiere ungekühlt, müssen sie innerhalb von zwei Stunden zu einem ebenfalls zertifizierten Schlachter transportiert werden. Das sei ein hoher Aufwand, sagt Landwirt Engelhardt. "Das nervt die, die es vernünftig machen. Es gibt aber auch schwarze Schafe, und deshalb gibt es solche Reglungen."
"Schlachthofstruktur bricht dramatisch zusammen"
Nicht nur die EU-Kommission in Brüssel mit ihrer Strategie "farm to fork" - von der Farm auf die Gabel - setzt auf das Töten auf der Weide. Im Bundeslandwirtschaftsministerium in Berlin ist Anfang des Jahres ein Förderprogramm zum mobilen Schlachten aufgesetzt worden. "Fleisch aus mobiler Schlachtung hat das Potenzial, die Wertschöpfung im ländlichen Raum zu steigern", sagt die parlamentarische Staatssekretärin Landwirtschaftsministerium Ophelia Nick - der Weg von der Weide bis zum örtlichen Schlachter.
Auf das politische Engagement angesprochen, atmet Andrea Fink-Keßler erst einmal tief durch. Die promovierte Agraringenieurin und Vorsitzende des Verbandes der Landwirte mit handwerklicher Fleischverarbeitung spricht von vielen Hemmnissen auf dem Weg dorthin. Es gebe kaum noch Metzgereien inklusive EU-zugelassenem Schlachtbetrieb. Für viele Landwirtschaftsbetriebe sei es gerade schwierig, einen Schlachthof in ihrer Nähe zu finden.
Gebührenordnung benachteiligt kleine Unternehmen
Auch das Bundesministerium spricht von einer fortschreitenden Zentralisierung der Schlachtbranche. Grund seien Personalmangel und hohe Kosten. Für letztere sei auch die Politik verantwortlich, sagt Fink-Keßler. "Die Kosten für Fleischbeschau und Abfall werden politisch festgesetzt. Die kleinen handwerklichen Betriebe müssen im Vergleich ein Vielfaches pro Schlachttier bezahlen als die Großunternehmen."
Eine Ausnahme ist Bayern. Hier hat das Kabinett jüngst beschlossen, die Gebühren zu vereinheitlichen. Davon sollen vor allem kleinere Betriebe profitieren. Ein weitere Herausforderung beim Ausbau der hofnahen Schlachtungen ist der personelle und zeitliche Mehraufwand für die Veterinärbehörden. Der sei zum Teil erheblich, berichtet Philipp Rolzhäuser von der Universität Leipzig. Einzelne Behörden kämen bereits an ihre Grenzen.
Resignation über neue EU-Verordnung
Auf dem Bio-Hof "Stolze Kuh" im Osten Brandenburgs wird schon seit Jahren hofnah geschlachtet, mit dem sogenannten Weideschuss. "Bislang sind unsere Tiere immer dort gestorben, wo sie geboren wurden", erzählt Bio-Bäuerin Anja Hradetzky - auf der Weide. Das ging, weil es für ganzjährig draußen lebende Tiere eine Ausnahme gab. Alle zwei Wochen kam in den vergangenen Jahren deshalb ein Jäger mit der nötigen Genehmigung und hat die Tiere per Kopfschuss getötet.
Mit der EU-Verordnung aus dem Jahr 2021 hat das ein Ende gefunden. Die Ausnahme der vergangenen Jahre wurde kassiert. Auch Hradetzky benötigt jetzt ein mobile Schlachteinheit. "So einen Anhänger mit Abtropfwanne zu bauen, ist komplex und ihn zu kaufen teuer, ungefähr 30.000 Euro. Das können wir uns nicht leisten." Statt auf der Weide sterben Hradetzskys Tiere deshalb gerade bei einem benachbarten kleinen Fleischer in der Nähe, der auch schlachten darf.
"Ein Bürokratiewahnsinn"
Die Bio-Bäuerin klingt resigniert, wenn sie erzählt, welche Auflagen sie erfüllen muss. Dabei sei der Wille der Landwirtschaftsminister in Berlin und Potsdam beim Thema "hofnahe Schlachtung" vorhanden. "Am Ende scheitert es an einer schnellen und unkomplizierten Umsetzung im Sinne der Tiere." Die Brandenburgerin berichtet, dass sie manchmal andere Bauern mit ihren Tieren in der nahegelegenen Fleischerei trifft und sie gemeinsam rätseln, welche Formulare wie ausgefüllt werden müssen. "Ich habe studiert und verstehe das kaum. Das ist ein Bürokratiewahnsinn."
Die Alternative wäre, den Viehhändler zu bestellen, der ihre Tiere dann in einem großen Transporter abholen und in einen fernen, großen Schlachthof bringen würde. Das aber will Hradetzky nicht. "Ich möchte, dass unsere Rinder wieder auf der Weide sterben können. Sie dort sterben zu sehen, fällt mir nicht schwer, weil ich weiß, dass sie ein gutes Leben hatten - das bestmögliche."