Herstellung von Impfstoffen Bremsen Patente im Kampf gegen Corona?
Mit der Kehrtwende der USA kommt Fahrt in die Debatte über eine mögliche Freigabe der Impfstoff-Patente. Was würde ein solcher Schritt bewirken? Was spricht dagegen? Antworten auf einige wichtige Fragen.
Wer streitet über die Offenlegung der Patente?
Mit der Corona-Pandemie sind Forderungen aufgekommen, den Patentschutz für einige Jahre auszusetzen, um die Produktion und Entwicklung von Impfstoffen auszuweiten. Damit soll die Pandemie schneller besiegt werden. Zu den Befürwortern der Initiative, die von Südafrika und Indien gestartet wurde, zählen mittlerweile mehr als 100 Länder und zahlreiche Nichtregierungsorganisationen. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO unterstützt den Vorstoß.
Überraschenderweise stellen sich nun auch die USA auf die Seite der Befürworter. Ein solcher Schritt könne helfen, so viel Impfstoffe wie möglich zu so vielen Menschen wie möglich zu bringen, so die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai.
Gegen die Aussetzung des Patentschutzes sprechen sich vor allem die Pharmaindustrie aus, zahlreiche Pharmaverbände und Staaten mit einflussreicher Pharma- und Biotechbranche. So argumentiert etwa der in der Schweiz ansässige Dachverband der Pharmafirmen (IFPMA), dass eine vorübergehende Aufhebung des Patentschutzes die Produktion kaum ankurbeln werde. Aber auch viele Ökonomen halten die Initiative nicht für zielführend.
Warum sollen die Patentrechte ausgesetzt werden?
Befürwortern zufolge hätte eine Aussetzung zur Folge, dass die weltweite Impfstoff-Produktion angekurbelt werden könne, denn die Patente seien eine wesentliche Hürde für die Produktion. Auch Unternehmen, die nicht über die Patente verfügen, könnten in die globale Impfstoff-Produktion eingebunden werden und bei der Herstellung helfen, wenn ihnen die Technologien zur Verfügung stehen würde.
Außerdem seien die nötigen Grundlagen für die zügige Entwicklung der Impfstoffe auch an staatlichen gestützten Universitäten erforscht worden. Es sei daher nicht gerecht, wenn private Unternehmen nunmehr die Gewinne abschöpften und sich in einer globalen Notlage der moralischen Verpflichtung zu außergewöhnlichen Maßnahmen entziehen könnten.
Ferner sei zu bedenken, dass viele Staaten nicht zuletzt durch großzügige Investitionen und finanzielle Unterstützungen des Pharma- und Biotechsektors zu Beginn der Krise die schnelle Bereitstellung eines Impfstoffes überhaupt erst ermöglicht hätten. Eine Krise derart globalen Ausmaßes sei der Moment, in dem die Gewinninteressen der Unternehmen zurücktreten müssten.
Was sind die Argumente der Gegner?
Wenn der Patentschutz ausgesetzt werde, fehle für die Unternehmen ein wichtiger Anreiz, um die Milliardeninvestitionen zu stemmen, die für die Entwicklung eines Impfstoffs erforderlich seien, behaupten die Gegner. Denn gewinnorientierte Unternehmen müssten die Früchte ihrer Arbeit ernten dürfen und Einnahmen erzielen.
Falle diese Motivation aus, könne das in Zukunft bedeuten, dass erforderliche Investitionen der Unternehmen ausblieben, weil der Anreiz untergraben werde, Impfstoffe und Behandlungen für künftige Pandemien zu entwickeln - mit unabsehbaren globalen Folgen für die Weltgesundheit. Zudem habe die zügige Bereitstellung von Impfstoffen durch die Pharmaindustrie bewiesen, dass das System schnell und effizient funktioniere.
Laut "Financial Times" haben Pharmaunternehmen US-Offizielle auch davor gewarnt, dass modernste medizinische Technologien durch die Offenlegung letztlich in China oder Russland landen könnten.
Was kann eine Offenlegung der Patente überhaupt bewirken?
Viele Experten sind der Meinung, dass selbst eine Aussetzung des Patentschutzes das Problem des fehlenden Zugangs zu Impfstoffen in vielen Teilen der Welt nicht lösen würde. Der Grund sei unter anderem der Mangel an globalen Produktions- und Laborkapazitäten. Auch an Labor- und Transportausrüstungen fehle es. Ein weiteres Problem sei die Bereitstellung von nötigen Rohstoffen oder anderen erforderlichen Zwischenprodukten. Hier gebe es derzeit bereits beachtliche Lieferengpässe.
Außerdem weisen Fachleute darauf hin, dass nicht das Patentrecht das Hauptproblem bei der globalen Versorgung sei, sondern Handelsbeschränkungen und Exportkontrollen zwischen den Staaten. So haben beispielsweise die USA ein Exportverbot für Corona-Impfstoffe verhängt.
Auch der Biontech-Gründer Ugur Sahin hält die Patent-Freigabe für "keine Lösung". Die Herstellung der Vakzine sei kompliziert, auch müsse die Qualität sichergestellt werden. Sein Unternehmen erwäge eine Vergabe von Lizenzen für die Produktion durch andere Hersteller.
Was könnten die Motive der USA sein?
Für die zeitweise Aussetzung des Patentschutzes gibt es geopolitische Gründe, die eine Rolle spielen könnten beim Vorstoß der USA. Der Ökonom Gabriel Felbermayr, Präsident des IfW, geht davon aus, dass der US-Regierung die Versorgung der Vereinigten Staaten mit Impfstoffen gesichert erscheine. Gleichzeitig böten China und Russland ihre Impfstoffe aggressiv in ärmeren Ländern an. "Daraus resultiert für die USA die Gefahr, geopolitisch und wirtschaftlich in diesen Märkten marginalisiert zu werden. Durch die Patentaussetzung wird hier entgegengesteuert."
Was verdienen die Unternehmen an Impfstoffen?
Wie hoch die Gewinne der Impfhersteller sein werden, ist aktuell schwer einzuschätzen. Sicher ist, dass es sich um viele Milliarden handelt, die in den Kassen der Pharmakonzerne landen. Der US-Pharmakonzern Pfizer etwa hatte jüngst mitgeteilt, dass er im laufenden Jahr damit rechnet, 1,6 Milliarden Dosen des mit BioNtech entwickelten Corona-Impfstoffs auszuliefern. Das würde laut Pfizer 26 Milliarden Dollar Umsatz bringen. Der US-Konkurrent Moderna hatte für 2021 zuletzt einen Umsatz von 18,4 Milliarden Dollar mit seinem Impfstoff prognostiziert.
Auch Pfizer-Chef Albert Bourla rechnet mit dauerhaften Einnahmen: "Basierend auf dem, was wir derzeit beobachten, glauben wir, dass die Nachfrage nach dem Corona-Impfstoff dauerhaft sein wird wie bei den Grippeimpfstoffen." Das würde für die Unternehmen die willkommene Konsequenz haben, dass die Gewinne auf Jahre hinaus sprudeln und berechenbar sind.
Wie sind die Erfolgsaussichten?
Mit der Anzahl der gewichtigen Industriestaaten, die eine Aussetzung des Patentschutzes befürworten, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich eine Regelung getroffen wird. Der Vorstoß aus den US hat Bewegung in die Debatte gebracht. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich bereits gesprächsbereit gezeigt. Allerdings ist die rechtliche Ausgestaltung noch völlig unklar, ebenso die Frage, welche Patente für welchen Zeitraum betroffen wären. Schließlich sind die Patentrechte Eigentumsrechte der Unternehmen. Das wirft die Frage nach einer möglichen Entschädigung auf. Auch verlangt die EU zunächst ein Ende der Exportverbote für Impfstoffe.
Auch der Vorsitzende des Weltärztebunds, Frank-Ulrich Montgomery hat die Pharmaunternehmen aufgefordert, staatlichen Maßnahmen zuvorzukommen und Patente für Corona-Impfstoffe freizugeben. An den Börsen verzeichneten die Aktien vieler Unternehmen der Branche zum Teil deutliche Kursverluste. Anleger halten einen Erfolg also offenbar durchaus für denkbar.