Stahl-Streit bei Thyssenkrupp Das Beben von Duisburg
Eigentlich sollte Thyssenkrupp ein Finanzierungskonzept für die Stahltochter beschließen. Stattdessen ist die Sparte nun führungslos. Die Mitarbeiter sind verärgert und in Sorge.
"Ich habe drei Kinder. Ich habe eine Wohnung, die ich noch abzahlen muss", sagt Hüseyin Sen. "Ich habe Angst, was jetzt mit uns passiert." Der Stahlarbeiter steht noch bis zum späten Abend vor den Toren des Stahlwerks in Duisburg. Sen und die anderen hatten sich zu Tausenden getroffen, um lauthals zu demonstrieren: Mit Holzbalken blockierten sie den Zugang zur Zentrale von Thyssenkrupp Steel. Brennende Tonnen, Banner, Pyrotechnik.
Sens Unmut richtet sich vor allem gegen eine Person: Miguel López, den Chef des Mutterkonzerns. "So ein Mensch hat keine Würde und keine Ehre. Der geht da so drüber weg. Der weiß gar nicht, was er mit uns Stahlarbeitern anrichtet."
Umstrittene Mitgift für die Stahltochter
Die defizitäre Stahlsparte soll ausgegliedert und selbständig werden, da sind sich viele bei Thyssenkrupp einig. Umstritten bleibt, wie das Stahlunternehmen so umgebaut werden soll, dass es sich am Weltmarkt behaupten kann.
Marc Tüngler von der Schutzvereinigung Wertpapierbesitz kann die Sorgen der Arbeiter dabei gut verstehen. Aber es werde Veränderungen geben müssen. "Bei der Stahltochter von Thyssenkrupp hätten die Veränderungen schon vor 20 Jahren kommen müssen. Man hat die großen Einschnitte immer in die Zukunft geschoben. Jetzt kumulieren sich die Probleme." Der Mutterkonzern Thyssenkrupp und Tochter Thyssenkrupp Steel haben verschiedene Meinungen, wie hoch die Mitgift für die Ausgliederung sein soll.
Rücktritte mit Folgen
Gestern dann das große Beben von Duisburg: Der Aufsichtsratsvorsitzende der Stahltochter, Sigmar Gabriel, schreitet durch die protestierenden Arbeiter, vorbei an Hüseyin Sen. Er verkündet Personalentscheidungen, die viele so nicht erwartet haben: Nicht nur drei Vorstände um den Stahlchef Bernhard Osburg räumen ihre Posten, auch vier Aufsichtsräte der Stahltochter treten zurück.
Chefaufseher Gabriel formuliert scharfe Vorwürfe gegen den Chef des Mutterkonzerns López. "Ich fand den Umgang mit unseren Vorständen unanständig. Ich bin jetzt 64. Ich habe mir mit 60 vorgenommen, dass ich die Zeit, die mir noch auf dem Planeten bleibt, möglichst wenig mit unanständigen Leuten verbringen will." Gabriel spricht von einer "beispiellosen Kampagne" López' gegen den Stahlvorstand.
Arbeitsplätze unsicher
Anlegerschützer Tüngler von der Schutzvereinigung Wertpapierbesitz sieht den Rücktritt der Führungsmannschaft von Thyssenkrupp Stahl kritisch: "Diese ganze Situation führt jetzt ins Chaos. Das ist der schlimmste aller Fälle, weil damit keinem geholfen ist. Weder der Mutter, der Thyssenkrupp AG, noch der Tochter, der Steel. Entscheidend ist, dass jetzt schnell Klarheit kommt, wie es weitergeht. Weil es hier um viele Arbeitsplätze geht und um viele Milliarden."
Seit April hatte der Konzernvorstand von Stahlchef Osburg einen neuen Plan für die Stahltochter eingefordert, um das Unternehmen zukunftsfähig aufzustellen und den Stahlbereich einzuschrumpfen. Wegen der schlechten Stahlkonjunktur und Billigimporten sind die Werke in Duisburg nicht ausreichend ausgelastet. Von 11,5 Millionen Tonnen Stahlproduktion solle die Kapazität auf rund 9,5 Millionen Tonnen abgesenkt werden.
Reaktionen aus der Konzernzentrale
Der Vorstand von Thyssenkrupp respektiere die Entscheidungen von Stahl-Aufsichtsratschef Gabriel und den anderen Räten, schreibt der Mutterkonzern. Man danke ihnen "ausdrücklich für die Weiterentwicklung des Stahlbereichs sowie ihren Einsatz in herausfordernden Zeiten". Ungeachtet der Veränderungen werde der Konzern die eingeleitete Neuausrichtung mit dem notwendigen Tempo weiter vorantreiben, um Thyssenkrupp Steel Europe bestmöglich für die Zukunft aufzustellen.
Schärfer formuliert es der Aufsichtsratsvorsitzende des Mutterkonzerns Thyssenkrupp, Siegfried Russwurm. Er übt massive Kritik am Management der Stahltochter. "Dem Management von Thyssenkrupp Steel ist es trotz aller anerkennenswerter Anstrengungen nicht nur in den vergangenen Monaten, sondern seit Jahren nicht gelungen, erfolgreich Antworten auf die strukturellen Herausforderungen des Stahlgeschäfts und seine betriebswirtschaftlichen Schwierigkeiten zu geben", sagt Russwurm. Auf tagesschau-Nachfrage lehnt die Krupp-Stiftung ein Interview zu den aktuellen Vorgängen ab. Die Krupp-Stiftung ist die größte Aktionärin des Thyssenkrupp-Konzerns.
Ungewisse Zukunft
Nach der gestrigen Aufsichtsratssitzung der Stahltochter sieht der Gesamtbetriebsratsvorsitzende des Stahlbereichs, Tekin Nasikkol, die Zukunft der Stahlsparte in Gefahr. "Die Politik auf Bundes- und Landesebene ist jetzt gefordert und muss eingreifen. Keiner kann jetzt tatenlos zusehen, wie die Transformation gefährdet wird, zwei Milliarden Euro Fördergelder riskiert werden, vor allem wie 27.000 Beschäftigte um ihre Zukunft bangen."
Genau wie Hüseyin Sen. Der Stahlarbeiter weiß nicht, wie es für ihn weitergeht, wenn die Stahlsparte führungslos ist. "Die Nachbesetzung der vakanten Positionen wird in einem strukturierten Prozess zeitnah erfolgen", hieß es dazu aus der Konzernzentrale. Für Sen ist das keine Antwort, die ihm seine Sorgen vor der Zukunft nehmen kann.