Ein demontierter Schriftzug der Firma Schlecker liegt auf dem Gelände des früheren Zentrallagers.
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Urteil wird erwartet Letzter Akt im Schlecker-Prozess

Stand: 27.11.2017 03:11 Uhr

Gut fünfeinhalb Jahre nach der Pleite der Drogeriemarktkette Schlecker wird in Stuttgart heute das Urteil gegen Anton Schlecker und seine Kinder Meike und Lars gesprochen. Was ist der Hauptstreitpunkt - und wie findet das Gericht zu seinem Urteil?

Von Kolja Schwartz, ARD-Rechtsredaktion

Worum geht es?

Es war eine der größten Unternehmenspleiten in der deutschen Geschichte. 2012 meldete der Drogeriekönig Anton Schlecker Insolvenz an. Alle Schlecker-Filialen in Deutschland mussten geschlossen werden, fast 25.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Drogeriekette verloren ihren Job. Fünf Jahre später begann der Prozess gegen die Schlecker-Familie in Stuttgart. Fast neun Monate später kommt nun das Urteil.

Was wird Anton Schlecker vorgeworfen?

Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wirtschaftskriminalität hat jahrelang gegen Anton Schlecker ermittelt. Am ersten Prozesstag im März 2017 wurde die Anklage verlesen. Der Vorwurf gegen den einstigen Firmenchef:  36 Fälle des sogenannten vorsätzlichen Bankrotts (§ 283 ff StGB). Außerdem, so hieß es, soll er Jahresabschlüsse falsch wiedergegeben und unrichtige Angaben vor dem Insolvenzgericht gemacht haben.

Was bedeutet der Vorwurf des "vorsätzlichen Bankrotts"?

Der Begriff ist irreführend. Anton Schlecker wird keinesfalls vorgeworfen, dass er sein Unternehmen absichtlich Pleite gehen lassen hat. Oder dass er absichtlich die Mitarbeiter von Schlecker um ihren Job gebracht hat. Selbst die Staatsanwaltschaft sah sich in ihrem Plädoyer genötigt, darauf noch einmal hinzuweisen. Eine Insolvenz als solche sei nicht strafbar.

Klar ist: Das Unternehmen Schlecker hätte auch nicht gerettet werden können, wenn Anton Schlecker die ihm vorgeworfenen Taten unterlassen hätte. Wohl niemand bezweifelt zudem, dass Schlecker gerne auch heute noch ein erfolgreiches Unternehmen hätte.

Der Straftatbestand heißt "Bankrott" und er soll bestrafen, wenn jemand Vermögenswerte beiseiteschafft, obwohl er weiß oder hätte wissen müssen, dass sein Unternehmen überschuldet oder zahlungsunfähig ist oder die Zahlungsunfähigkeit droht. Und genau das soll Anton Schlecker, so besagte es die Anklage, in 36 Fällen getan haben. Damit habe er den Gläubigern Vermögenswerte in Millionenhöhe entzogen.

Um welche Fälle geht es konkret?

2011 soll Anton Schlecker seinen Enkelkindern Geldgeschenke von insgesamt 800.000 Euro gemacht haben. Im selben Jahr habe er eine Reise der Kinder im Wert von 58.000 Euro finanziert. Schlecker soll Bau- und Handwerkerrechnungen für eine Wohnung von Sohn Lars in Höhe von etwa einer Million Euro und Schenkungssteuer für seine Tochter Meike in Höhe von 700.000 Euro übernommen haben.

Es geht in der Anklage aber auch um Verträge, die Anton Schlecker mit dem Logistikunternehmen LDG abgeschlossen hat. Hier soll er überhöhte Stundensätze statt der in der Branche üblichen Pauschalvergütungen gezahlt haben. Die Gesellschafter der LDG  und laut Anklage auch die "faktischen Geschäftsführer" waren Meike und Lars Schlecker.

Was entgegnet Schlecker auf die Vorwürfe?

Anton Schlecker lebt sehr zurückgezogen. Vor dem Verfahren äußerte er sich überhaupt nicht zu den Vorwürfen. Am zweiten Prozesstag im März 2017 ergriff er dann das Wort und sprach etwa eine Stunde vor dem Gericht. Er habe bis zuletzt daran geglaubt, dass sein Unternehmen, sein "Lebenswerk", gerettet werden könne. Und er habe keineswegs bewusst Gelder den Gläubigern entzogen, sondern lediglich genauso weitergelebt wie zuvor.

Was ist der Hauptstreitpunkt vor Gericht?

Es gibt zwei entscheidende Fragen für die Beurteilung, ob und in wie vielen Fällen sich Anton Schlecker des "Bankrotts" strafbar gemacht hat. Zum einen: Wann drohte dem Unternehmen tatsächlich die Zahlungsunfähigkeit? Und zum anderen: Wann wusste Anton Schlecker davon (vorsätzlicher Bankrott), beziehungsweise wann hätte er davon wissen müssen (fahrlässiger Bankrott)? Denn erst wenn beide Punkte zusammenfallen, ist es strafbar, Vermögenswerte beiseitezuschaffen. Und dieser Zeitpunkt ist bis heute sehr umstritten.

Was hat sich während des Prozesses diesbezüglich ergeben?

Die Anklage ging zunächst davon aus, dass dem Unternehmen spätestens Ende 2009 die Insolvenz drohte, und dass Anton Schlecker auch zu diesem Zeitpunkt bereits davon wusste. Im Laufe des Verfahrens hat die Staatsanwaltschaft den zweiten Zeitpunkt dann korrigiert. Ein Jahr später, also Ende 2010, habe Schlecker aber sicher von der drohenden Insolvenz gewusst. Alle angeklagten Taten, die zeitlich davor lagen, wurden deshalb im Prozess eingestellt.

Die Verteidigung hat in ihren Plädoyers auch diesen neuen Zeitpunkt noch einmal bestritten. Schlecker habe frühestens im April 2011 absehen können, dass ihm die Insolvenz drohe, äußerte der Verteidiger des einstigen Drogeriekettenchefs einmal im Laufe der Verhandlung.

Auch der Vorsitzende Richter hat sich während des Prozesses geäußert: Januar 2011 sehe das Gericht wohl als entscheidenden Zeitpunkt an.   

Hat Schlecker im Insolvenzverfahren nicht Millionen zurückgezahlt?

Doch. Schon 2013 zahlten Anton Schleckers Ehefrau Christa und die beiden Kinder  10,1 Millionen Euro an den Insolvenzverwalter, die den Gläubigern letztlich zugutekommen. Und erst vor wenigen Wochen überwies die Familie noch einmal vier Millionen an den Insolvenzverwalter. Das Geld kam wieder von Schleckers Ehefrau und seinen beiden Kindern. Denn Anton Schlecker war eingetragener Kaufmann. Das heißt: Er haftete für das Unternehmen mit seinem gesamten Privatvermögen und musste 2012 selbst Privatinsolvenz anmelden. Er selbst hat deshalb kein Vermögen mehr.

Die Zahlungen ändern an einer möglichen Strafbarkeit zunächst nichts. Allerdings können sie bei der Strafzumessung, also der Frage, wie hoch die Strafe am Ende ausfällt, eine Rolle spielen. Möglicherweise könnten sie sogar als vollständige Schadenswiedergutmachung angesehen werden. Dann könnte das Gericht die Strafe deutlich mildern.

Was wird Lars und Meike Schlecker vorgeworfen?

Zum Teil wird den Kindern von Anton Schlecker die Beihilfe zum Bankrott vorgeworfen, weil sie die Zahlungen vom Vater angenommen haben. Zum Teil, so die Anklage, hätten sie aber auch selbst als "faktische Geschäftsführer" des Logistikunternehmens LDG Zahlungen angewiesen, obwohl die Zahlungsunfähigkeit klar war. Darüber hinaus steht der Vorwurf der Untreue im Raum: Meike und Lars Schlecker sollen sich Millionenbeträge als Gewinne auszahlen lassen haben, obwohl das Unternehmen LDG eigentlich Verluste erwirtschaftet hat. Außerdem hätten sie den Insolvenzantrag für die LDG nicht rechtzeitig gestellt.

Stand Schleckers Ehefrau nicht auch vor Gericht?

Doch. Auch Christa Schlecker war wegen Beihilfe zum Bankrott angeklagt. Sie soll von den Schlecker-"Schwesterunternehmen" Zahlungen für Beraterhonorare angenommen haben, für die sie nie Leistungen erbracht hat. Diese Taten wurden allerdings im Laufe des Prozesses gegen die Auflage einer Geldzahlung in Höhe von 60.000 Euro an gemeinnützige Einrichtungen eingestellt. Auch die Anklage gegen zwei Wirtschaftprüfer wurde gegen Auflagen und Geldzahlungen von insgesamt 45.000 Euro eingestellt.

Wie hoch wird die Strafe ausfallen?

Die Frage lässt sich seriös nicht beantworten. Zum einen gibt es keine wirklichen Präzedenzfälle zum Tatbestand des Bankrotts. Zum anderen sind hier in der Strafzumessung sehr viele Einzelheiten zu berücksichtigen. Diese wird das Gericht sehr genau abwägen. Der Strafrahmen des Gesetzes liegt beim Bankrott bei einem Monat bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe, beim besonders schweren Fall des Bankrotts, der auch angeklagt ist, beginnt der gesetzliche Strafrahmen bei sechs Monaten und endet bei 10 Jahren.

Die Staatsanwaltschaft hat in ihrem Plädoyer eine Freiheitsstrafe von drei Jahren für Anton Schlecker gefordert. Dem muss das Gericht allerdings nicht folgen. Es kann am Ende sowohl darunter, als auch darüber liegen.

Die Verteidigung hat in ihrem Schlussvortrag noch einmal darauf hingewiesen, dass Schlecker bis zuletzt an die Rettung seines Unternehmens geglaubt habe. Allenfalls habe er fahrlässig gehandelt. Die Strafe müsse deshalb deutlich unter der Forderung der Staatsanwaltschaft liegen und auf jeden Fall noch zur Bewährung ausgesetzt werden.

Welche Punkte berücksichtigt das Gericht bei der Urteilsfindung?

Im Verfahren wurde der entscheidende Zeitpunkt für die Strafbarkeit schon deutlich nach hinten verlegt, einige Taten wurden dadurch eingestellt. Bei der Strafzumessung, also der Frage, wie hoch die Strafe am Ende sein wird, muss das Gericht die Umstände, die für und gegen Schlecker sprechen, abwägen. Die Zahlungen der Familie Schlecker an den Insolvenzverwalter könnten als Schadenswiedergutmachung gewertet werden und dadurch strafmildernd wirken. Auch die Aussage Schleckers im Prozess und die Belastung durch das lange von der Öffentlichkeit begleitete Strafverfahren könnten die Strafe mildern. Auf der anderen Seite der Waage wiegen mit Sicherheit die sehr hohen Summen, um die es geht, schwer.

Muss Anton Schlecker ins Gefängnis?

Das ist wohl die spannende Frage: Wird die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder muss Anton Schlecker tatsächlich ins Gefängnis.

Das Gericht geht bei der Urteilsfindung in zwei Schritten vor: Zunächst legt es nach der beschriebenen Strafzumessung die Strafhöhe fest. Dann erst wird im zweiten Schritt entschieden, ob die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Dabei macht das Strafgesetzbuch Vorgaben. Eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr wird in der Regel zur Bewährung ausgesetzt, "wenn zu erwarten ist, dass der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen" lässt, also auch ohne Gefängnis zukünftig keine Straftaten mehr begehen wird.

Liegt die Freiheitsstrafe zwischen einem und zwei Jahren, kann die Strafe nur dann zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei dieser Entscheidung ist "auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen", so sagt es das Strafgesetzbuch. Auch hier könnten also die Zahlungen an den Insolvenzverwalter eine Rolle spielen.

Liegt die Strafe über zwei Jahren, so wie es die Staatsanwaltschaft gefordert hat, so kann sie nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden.

 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das ARD-Morgenmagazin am 27. November 2017 um 05:30 Uhr und um 08:14 Uhr.