Pläne der Ampel-Koalition Kommt jetzt die Aktienrente?
Die Ampel-Koalition will die gesetzliche Rente um eine "teilweise Kapitaldeckung" erweitern. Was das bedeutet - und wie sich der Plan von einer Aktienrente wie in Schweden unterscheidet.
Die Zukunft der Rente ist spätestens seit dem letzten Bundestags-Wahlkampf wieder stärker in den Fokus gerückt. Der demographische Wandel und die gleichzeitig steigende Lebenserwartung sorgen dafür, dass es immer weniger Beitragszahler gibt. Dazu kommt der baldige Rentenbeginn der geburtenstarken Jahrgänge ("Babyboomer"). Zahlreiche Fachleute halten die gesetzliche Rentenversicherung daher für nicht mehr tragfähig und fordern schon lange eine grundlegende Reformierung.
Ansonsten drohen "schockartig steigende Finanzierungsprobleme in der gesetzlichen Rentenversicherung ab 2025", wie der Wissenschaftliche Beirat beim Wirtschaftsministerium bereits im Sommer prognostizierte. Ein Vorschlag, die Schieflage des Systems zu beenden, ist die von der FDP im Wahlkampf eingebrachte Aktienrente.
Schweden-Modell als Vorbild
In ihrem Programm hatte die Partei für das sogenannte Schweden-Modell plädiert. In dem skandinavischen Land fließen 2,5 Prozent der gesetzlichen Beiträge in die sogenannte Prämienrente und werden über unabhängig verwaltete Fonds mit geringen Kosten gewinnbringend angelegt. Den Rest zahlen die Arbeitnehmer wie gewohnt in die klassische umlagefinanzierte Versicherung.
Ob sich diese kombinierte Sicherung aus umlage- und kapitalgedeckter Vorsorge auf Aktien-Basis auch hierzulande rechnen und damit die Probleme des Systems lösen könnte, hat Martin Werding im Februar im Auftrag der FDP-Bundestagsfraktion untersucht. "Im Grunde stand bei der Studie die Frage im Raum, wie man längerfristig mit ergänzender Kapitaldeckung für ein auskömmliches Sicherungsniveau sorgen kann", erklärt der Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum im Gespräch mit tagesschau.de.
Zum einen sei die Vorgabe gewesen, dass die Belastung der aktiven Beitragszahler nicht weiter steigen soll. So seien im Rahmen der Berechnungen zwei Prozentpunkte der normalen Rentenbeiträge in die Aktienrente geflossen und als Überbrückungsfinanzierung staatliche Zuschüsse für die Umlagenrente eingesetzt worden. Zum anderen habe man auch die Staatsverschuldung und Einhaltung der Schuldenbremse im Blick gehabt. Das Ergebnis: "Wir konnten zeigen, dass sich das alles so gerade einhalten lässt - trotz Auswirkungen der Corona-Pandemie", resümiert Werding.
Martin Werding ist Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum. Für die FDP-Bundestagsfraktion hat er das "Schweden-Modell" untersucht.
Schweden-Modell kommt vorerst nicht
Die Kapitaldeckung sei dementsprechend die einzige Alternative zur Umlagefinanzierung. In langfristigem Durchschnitt seien die Verlustrisiken bei breit und international gestreuten sowie möglichst passiven Investitionen wie etwa in Indexfonds sehr begrenzt und die Rendite höher als bei anderen Anlageformen. "Wir sind spät dran, wenn wir das Ganze jetzt auflegen - aber nicht zu spät", so der Professor für öffentliche Finanzen. Denn der demografische Wandel bringe keine temporäre Anspannung mit sich, sondern sei eine langfristiges Herausforderung.
Ob die Aktienrente aber tatsächlich kommt, ist fraglich. Zwar planen die Ampel-Parteien in ihrem Koalitionsvertrag die Erweiterung der gesetzlichen Rentenversicherung um eine "teilweise Kapitaldeckung als dauerhafter Fonds", der von einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Stelle verwaltet und global anlegen soll. Das Geld kommt vorerst aber nicht von den Beitragszahlern. Stattdessen heißt es: "Dazu werden wir in einem ersten Schritt der Deutschen Rentenversicherung im Jahr 2022 aus Haushaltsmitteln einen Kapitalstock von zehn Milliarden Euro zuführen." Mit dieser Finanzspritze soll schließlich am Kapitalmarkt investiert werden.
"Auf den ersten Blick ist kaum Bewegung in die Rentenpläne gekommen. Das ist schon enttäuschend", betont Werding. Besonders beim umlagefinanzierten Teil sei zumindest bis 2025 eine "klare Absage" an alle Reformen erteilt worden. Themen wie die Verschiebung der Regelaltersgrenze und das Antasten des Rentenniveaus seien dann jedoch sehr dringend. "Das sollte man den Leuten lieber heute schon sagen und nicht so tun, als müsste nichts passieren."
Dauerhafte Finanzierung erforderlich
Von der Aktienrente seien im Koalitionsvertrag letztendlich nur zwei Punkte übrig geblieben: die Finanzierung einer Rücklage der gesetzlichen Rentenversicherung und eine private Altersvorsorge auf Aktien-Basis. Zwar ähnelt der erste Aspekt laut Werding der Schweden-Strategie, da ebenfalls Geld am Aktienmarkt angelegt werden soll. Allerdings sei der direkte Weg genommen worden, indem Bundesmittel in die Rentenkasse gegeben werden.
Wie die Finanzierung des Fonds nach 2022 weitergeht - ob erneut über den Bundeshaushalt oder über höhere Rentenbeiträge -, sei noch offen. "Jedenfalls muss man diesen Einstieg weiterverfolgen und Jahr für Jahr weitere Mittel auf die Seite schaffen und anlegen. Sonst bringt das Ganze nichts", betont Werding. Zudem müsse in einem möglichen Gesetzentwurf festgelegt werden, wie die Erträge der Aktienrente den Versicherten zugerechnet werden. Würde jeder zwei Prozentpunkte seiner Beiträge einzahlen, wäre die Verrechnung über individuelle Konten relativ einfach. In diesem abstrakteren Modell scheint das zunächst unklar.
"Wenn man nicht aufpasst, sind die zehn Milliarden ganz schnell verschluckt. Das sind Rentenausgaben für zehn Tage", sagt Werling. Umgerechnet seien das lediglich 0,8 statt zwei Prozentpunkte und damit erheblich weniger als in dem Studie errechneten Szenario. Der Umstieg erfolge also weitaus langsamer.
Experten und Bevölkerung skeptisch
Auch andere Experten halten die Summe für zu gering und plädieren für eine dauerhafte Lösung. "Selbst wenn man unterstellt, dass die Rentenversicherung mit dem ihr anvertrauten Geld eine überdurchschnittlich hohe Rendite erwirtschaften könnte, ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein, der keinem Rentner wirklich etwas nützt", sagte zuletzt Joachim Ragnitz vom ifo-Institut. Ähnlich äußerte sich Johannes Geyer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) bereits Ende Oktober gegenüber tagesschau.de: "Nötig wäre ein Betrag im dreistelligen Milliardenbereich. Mit dessen Erträgen könnte man tatsächlich die Rente stützen, also den Beitragssatzanstieg dämpfen und das Niveau stabilisieren."
Auch in der Bevölkerung stößt die teilweise Kapitaldeckung auf verbreitete Skepsis, wie eine aktuelle INSA-Umfrage im Auftrag des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA) zeigt. Danach glaubt fast die Hälfte (49 Prozent) der mehr als 2000 Befragten, dass die vorgesehenen zehn Milliarden Euro nicht ausreichen. Lediglich zwölf Prozent der Teilnehmer sind anderer Meinung, knapp 40 Prozent sind unsicher.
43 Prozent rechnen zudem damit, dass die Pläne die Probleme der Rentenversicherung nicht lösen und scheitern werden, weil die Erträge am Anfang zu gering sind und der Staat aufgrund der angespannten Haushaltslage keine ausreichenden zusätzlichen Mittel bereitstellen kann. Eine Erhöhung der Beiträge zur Aufstockung der Kapitaldeckung lehnt die Mehrheit allerdings ab.
Private Altersvorsorge soll reformiert werden
"Grundlegend reformiert werden" soll dagegen das bisherige System der privaten Altersvorsorge, heißt es von den Ampel-Parteien. So soll das Angebot eines öffentlich verantworteten und kostengünstigen Fonds sowie die gesetzliche Anerkennung privater Anlageprodukte geprüft werden. "2001 haben wir mit der Riester-Reform schon einmal genau diesen Weg einzuschlagen versucht", sagt Werding von der Ruhr-Universität Bochum. Es sei nur schlecht reguliert und nicht verbindlich genug gewesen.
Ein interessantes Stichwort im Koalitionsvertrag sei daher die Abwahlmöglichkeit. "Das würde heißen, dass jeder teilnehmen muss, der nicht explizit sagt, 'ich will nicht'", so der Ökonom. Das könne durchaus zu einer nennenswerten Beteiligung beitragen und einen ersten Schritt bedeuten. "Wir sind aber definitiv noch nicht am Ziel, um die nächsten 15 bis 20 Jahre einigermaßen abzusichern."
Dafür seien weitere Reformschritte nötig - wie die Heraufsetzung der Regelaltersgrenze unter Berücksichtigung von Härtefallregeln. Denn die Lebenserwartung steige immer weiter, sodass sich auch die Rentenphase verlängere. Grundsätzlich müsse das Ausgabenwachstum aus der umlagefinanzierten Rente begrenzt werden. "Die nächsten 15 Jahre im Bereich der Altersvorsorge werden hart", sagt Werding. Danach könne es durch den Umstieg zur Kapitaldeckung immerhin wieder leichter werden.