Reisen mit Rollstuhl oder Baby Bahnfahrt als Barriere
Dauerverspätungen und Zugausfälle verleiden vielen Menschen das Bahnfahren. Doch wer mit einem Rollstuhl, einem Kinderwagen oder mit Hund im Zug unterwegs ist, hat noch ganz andere Probleme.
Wenn Justin Drescher am Bahnsteig auf den Zug wartet, ist die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn nicht immer sein größtes Problem. Er stellt sich vielmehr die Frage: Kann er überhaupt mitfahren? "Problematisch wird es im Fernverkehr, denn: Die Züge - gerade Intercity oder Intercity Express, ICE -, die sind einfach hoch", sagt Drescher.
Der Einstieg vieler ICE-Züge liegt rund 40 Zentimeter über der Bahnsteigkante. Das heißt: Drescher benötigt einen Lift und Servicepersonal, um mit dem Rollstuhl in den Zug zu kommen. "Das heißt, ich kann mich jetzt nicht irgendwie am Bahnhof stellen und dem Lokführer Zeichen geben: Hallo, ich will hier mitfahren. Die sagen dann. Ja toll, wie sollen wir das machen?"
Spontane Reisen nicht erwünscht
Spontan verreisen kann Justin Drescher ohnehin nicht. Die Bahn empfiehlt, jede Reise bis zum Vorabend anzumelden. Gesetzlich ist das Unternehmen eigentlich dazu verpflichtet, auch sogenannte Spontanfahrten möglich zu machen.
Und wenn er dann seinen Anschlusszug wegen einer Verspätung verpasst, müsse er mit dem Zugpersonal diskutieren, erzählt Drescher: "Dann komme ich schon verspätet an einen Bahnhof an, möchte in den Anschlusszug rein, und dann bekomme ich von dem Zugbegleiter oder von dem Triebfahrzeugführer einen auf den Deckel, weil ich angeblich meine Fahrt nicht angemeldet habe."
"Nicht auf die Bedürfnisse abgestimmt"
Im vergangenen Jahr hat die Bahn rund 740.000 Hilfen dieser Art geleistet, also etwa 2000 pro Tag. Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK, kritisiert, dass die Bahn nicht von Anfang an ohne Barrieren geplant worden sei.
"Und so wird Reisen für Menschen, die als Eltern Kinderwagen nutzen, oder für Menschen, die Rollstühle brauchen, oder für Menschen, die nicht sehen, immer nur mit irgendwelchen Anpassungen möglich sein, und Reisen ist eben nicht von Anfang an auf deren Bedürfnisse abgestimmt", sagt die VdK-Präsidentin.
Es sei wichtig, strenge Verpflichtungen zur Barrierefreiheit zu haben, damit sich die Menschen als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft fühlen könnten - und nicht als störender Faktor.
Wenig Platz für den Kinderwagen
Reisen mit der Bahn und mit Kinderwagen kann auch Familien vor Schwierigkeiten stellen. Zwar gibt es ein Abteil extra für Kleinkinder mit Platz zum Spielen; allerdings ist an den übrigen Plätzen im Zug meist nicht genug Fläche, um den Kinderwagen abzustellen.
Manche Plätze am Rand eignen sich dafür, aber eben auch für Rollstühle. Somit konkurrieren am Ende Familien mit mobilitätseingeschränkten Menschen.
Und noch eine Kundengruppe der Bahn braucht mehr Platz: Reisende mit Hunden. Einfach geht hier meistens ebenfalls nichts - das beginnt bereits beim Kauf einer Hundefahrkarte. Die kostet die Hälfte des regulären Fahrpreises. In einer neuen App der Bahn, dem sogenannten "Next-DB-Navigator", lässt sich diese Fahrkarte online kaufen; in der normalen Buchungsapp der Bahn - dem alten "DB Navigator" - dagegen nicht.
Hunde als Störfaktor in der Bahn?
Lea Schmitz vom Deutschen Tierschutzbund hat den Eindruck, dass die Bahn die Anzahl der Hunde vielleicht begrenzt halten möchte "und sie als einen gewissen Störfaktor sieht und vielleicht insgeheim hofft, dass nicht zu viele Hundehalter auf die Idee kommen, mit ihren Tieren zu verreisen".
Auf Anfrage schreibt die Deutsche Bahn, Hunde seien herzlich willkommen, jährlich befördere die Bahn 100.000 Hunde auf Fernreisen. Allerdings: Trotz Ticket haben Hunde keinen Anspruch auf einen Platz. Deshalb empfiehlt die Bahn Hundehaltern, weniger stark ausgelastete Züge zu buchen.
Familienfreundliche Sitzplätze oft ausgebucht
Viele Familien mit Kindern meiden nach Einschätzung des Fahrgastverbands Pro Bahn das Reisen im Zug eher. Ein Grund dafür könnte sein, dass es wenig familienfreundliche Sitzplätze in der Bahn gibt und diese häufig lange im Voraus ausgebucht seien, sagt Andreas Schröder. Er ist Sprecher von Pro Bahn und selbst Vater.
Eine Anfrage für ein Interview hat die Deutsche Bahn AG abgelehnt. Schriftlich erklärt der Konzern, man unternehme große Anstrengungen, um Reisenden mit Mobilitätseinschränkungen eine selbstbestimmte Mobilität zu ermöglichen.
"Man möchte auch raus, man möchte was erleben", sagt der Rollstuhlfahrer Justin Drescher. Er betont, wie wichtig uneingeschränktes Reisen für ihn sei. "Aber sobald es um das Thema Bahn geht und die Frage, wie ich dort hinkomme, da vergeht einem dann schon fast die Lust."
Über dieses Thema berichtete Plusminus im Ersten am 28. Juni 2023 um 21:45 Uhr.