Studie der Arbeitsagentur Mehr Mindestlohn, mehr Kaufkraft
Wer Mindestlohn erhält, kann sich heute bei gleicher Arbeitszeit mehr leisten als noch bei der Einführung 2015. Die Erhöhungen konnte den inflationsbedingten Kaufkraftverlust mehr als ausgleichen, so eine Studie der Arbeitsagentur.
Der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland hat seit der Einführung vor fast neun Jahren stärker zugelegt als die Tariflöhne und auch die hohe Inflation mehr als ausgeglichen. Die Kaufkraft des Mindestlohns von derzeit zwölf Euro pro Stunde sei im September 2023 um 11,6 Prozent höher gewesen als bei der Einführung im Januar 2015, heißt es in einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Das Institut ist die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit.
Tariflöhne verloren an realem Wert
Die Tariflöhne dagegen hätten seitdem 3,8 Prozent an realem Wert verloren. "Mindestlohnbeziehende können sich heute bei gleicher Arbeitszeit mehr leisten als noch bei der Einführung 2015", sagte IAB-Direktor Bernd Fitzenberger.
Bis Januar 2022 waren die Tariflöhne noch stärker angestiegen als der Mindestlohn, erläuterte das IAB. Real stiegen die Tariflöhne demnach seit der Einführung des Mindestlohns 2015 bis Januar 2022 um 3,7 Prozent, der Mindestlohn um 2,2 Prozent. Doch "seitdem hat sich das Blatt gewendet": Zwischen Januar 2022 und September 2023 stieg der Mindestlohn real um 9,3 Prozentpunkte, die Tariflöhne sanken hingegen real um 7,6 Prozentpunkte.
Trendumkehr durch Anhebung auf zwölf Euro
Das sei insbesondere auf die einmalige Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro zum 1. Oktober 2022 durch die Ampelkoalition zurückzuführen, erklärte der Leiter der IAB-Arbeitsgruppe Mindestlohn, Mario Bossler. Laut Studie konnten die Mindestlohnerhöhungen den inflationsbedingten Kaufkraftverlust mehr als ausgleichen. "Dies gilt auch, wenn man berücksichtigt, dass Geringverdienende von der Inflation stärker betroffen sind als Besserverdienende", sagte IAB-Forscher Martin Popp.
Die Studie könnte neues Licht auf den jüngsten Streit über die Höhe des Mindestlohns werfen. Zuständig für die Festsetzung des gesetzlichen Mindestlohn ist eine mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzte Kommission; sie soll sich bei ihrer Empfehlung für die Regierung zur Anpassung des Mindestlohns an der Entwicklung der Tariflöhne orientieren.
SPD und Grüne wollen Reform der Mindestlohn-Kommission
Im Sommer hatte das Gremium entschieden, dass der Mindestlohn in den Jahren 2024 und 2025 um jeweils 41 Cent auf zunächst 12,41 Euro und dann 12,82 Euro steigen soll. Der Beschluss war nicht einstimmig erfolgt, sondern gegen die Stimmen der Gewerkschaftsvertreter, die eine deutlich stärkere Erhöhung gefordert hatten. Vor allem aus der SPD kam danach Kritik - und Rufe nach einer Reform der Kommission.
Die Regierung kann den Vorschlag der Kommission laut Gesetz aber nur unverändert umsetzen und keine andere Höhe festsetzen. Das Kabinett hatte die entsprechende Verordnung von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zur Mindestlohnerhöhung Mitte November gebilligt. In der Verordnung heißt es, dass die Anhebung "um insgesamt 6,83 Prozent deutlich hinter der derzeitigen allgemeinen Preisentwicklung" zurückbleibe. Die Studie zeigt nun, dass bei Betrachtung eines längeren Zeitraums der Mindestlohn stärker gestiegen ist als die Preise.
Arbeitgeber warnen vor Einmischung
Die Arbeitgeber-Lobby warnte vor einer Einmischung der Politik in das Prozedere um die Höhe des Mindestlohns. Bundeskanzler Scholz habe nach der Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes auf zwölf Euro zugesagt, dass dies ein einmaliger Eingriff gewesen sei, erinnerte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. "Seine Partei hat gerade den Weg dafür geschaffen, den nächsten Eingriff vorzubereiten", sagte Dulger der Nachrichtenagentur dpa mit Blick auf den SPD-Parteitag. Hierbei gehe es nicht um eine pauschale Festsetzung des Mindestlohns durch den Gesetzgeber. Die Arbeitsweise der Mindestlohnkommission solle so verändert werden, dass sie zu einer "deutlichen Erhöhung des Mindestlohns" führe.
Dulger warnte davor, die Tarifautonomie in Deutschland zu beschädigen. Der gesetzliche Mindestlohn dürfe nicht "zum Spielball der Politik" werden.