Wandel durch Corona-Krise Wie die Pandemie das Arbeiten verändert
Weniger Neuinfektionen, viele Geimpfte und das baldige Ende der Homeoffice-Pflicht: In vielen Betrieben ist die Rückkehr ins Büro absehbar. Wie viel vom Arbeitsalltag der Pandemie bleibt dann erhalten?
Wie soll man es formulieren, wenn ein schreckliches Ereignis wie eine Pandemie auch begrüßenswerte und wohl nachhaltige Veränderungen mit sich bringt? Covid-19 brachte Krankheit und Tod, Arbeitslosigkeit und Armut, Einschränkungen und Einsamkeit. Die Pandemie führte aber auch zu einem nicht für möglich gehaltenen Fortschritt in der Arbeitswelt, der ohne das Virus nicht oder erst viel später denkbar gewesen wäre.
"Vor der Pandemie saß ich drei Stunden im Auto an den Tagen, an denen ich ins Büro musste", sagt Paula Widmer. Das sei schlecht für sie und die Umwelt. Die 28-Jährige ist Internal Communication Manager bei Schott in Mainz, aber sie wohnt in Heidelberg, hundert Kilometer entfernt. Auch vor Corona arbeitete sie schon manchmal zu Hause. Deshalb musste sie dort nicht erst ein Büro einrichten. Sie konnte einfach zu Hause bleiben und die vielen internationalen Schaltkonferenzen mit den Auslandsstandorten von dort machen.
Für sie ist Homeoffice ein Geschenk, und sie hofft, dass ihr Arbeitgeber den Mitarbeitern weiter diese Möglichkeit geben wird. Allerdings möchte sie auch ihre Kollegen wieder etwas häufiger sehen und wünscht sich einen Mix aus Home- und In-Office.
Corona als Beschleuniger
Genau das wird die Zukunft sein, versichert Arbeitsforscherin Jutta Rump. "Corona war das Brennglas, der Brandbeschleuniger für die Entwicklung hin zum virtuellen Arbeiten und Kommunizieren", sagt sie. Viele Dienstreisen seien schon früher unnötig gewesen. Wer alles im Homeoffice arbeiten könne, ohne dass die Produktivität leide, sehe man jetzt. Und den leeren Himmel, leere Straßen und Züge fänden sowieso die Meisten gut.
Corona hat bei vielen Menschen die gewohnten Abläufe unterbrochen - und auch in Frage gestellt. "Wenn es gut läuft, sind Veränderungen schwierig, deshalb lief die Digitalisierung so langsam, veränderten sich unsere Arbeitsplätze kaum - und wir haben doch zehn Jahre Party hinter uns, in denen keiner etwas verändern wollte", sagt die Professorin für internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung. Erst der "externe Faktor Pandemie" habe gezeigt, was anders, was besser geht, erklärt Rump.
Aber die Forscherin sagt auch eine teilweise Rückkehr zu alten Gewohnheiten voraus. "Wir werden nicht von einem Extrem ins andere kommen, gar keine Dienstreisen mehr machen, nur noch Onlinekonferenzen, aber vielleicht von allem nur noch halb so viel. Die Menschen wollen das Positive aus beidem, ein gesundes Maß von allem."
Kein Zwang zu neuen Arbeitsformen
Doch nicht alle können oder wollen Teil dieser neuen Arbeitswelt sein. "Ich habe es schon auch verschlafen, mir ein schönes Arbeitszimmer einzurichten", sagt Daniel Brixius. "Aber ins Büro habe ich es nicht weit, und ich habe zwei kleine Kinder zu Hause. Im Betrieb komme ich besser in den Flow."
Der Marketing-Manager war auch während der Pandemie hauptsächlich im Unternehmen. Dort habe man für Kollegen, die lieber im Betrieb arbeiten, eine Hygienesituation geschaffen, die dies ermögliche. Seine Kollegen in der Produktion könnten ja auch nicht zu Hause bleiben, für sie habe sich kaum etwas geändert. Er freue sich, wenn die Arbeitsplatzsituation in Zukunft flexibel bleibt, aber mehr für seine Kollegen. Er selbst fühle sich im Büro wohler, vor allem, wenn wieder ein paar Kollegen mehr kommen. Und die müssten ja nicht mal mehr alle ihre festen Schreibtische haben.
Firmen müssen flexible Arbeitsformen anbieten
Hybride Modelle nennt das Arbeitsforscherin Rump. Wer als Unternehmen zukunftsfähig bleiben will, der müsse flexible Arbeitsformen anbieten und auch virtuell kommunizieren. Work-Life-Balance werde den Angestellten immer wichtiger. Wer da nichts anzubieten habe, der müsse das einem Bewerber schon gut begründen. Deshalb trieben gerade die Branchen mit Nachwuchs- und Fachkräftemangel die begonnene Transformation voran.
"Aber die ganze Geschäftswelt wird sich mit Corona schneller verändern, als sie es ohne getan hätte", sagt Rump. "Einzelhändler werden Onlinehändler, virtuelle Geschäftsprozesse laufen viel schneller ab als analoge Prozesse, und E-Commerce und Künstliche Intelligenz greifen auch in Logistik und Produktion ein."
Neue Ellenbogen-Mentalität zu erwarten
Aber nicht alles sei großartig, gibt sie zu bedenken. Das "Wir-Gefühl" leide in den Teams, wenn sich die Kollegen kaum begegnen, und die Solidarität, die in der Pandemie füreinander empfunden worden sei, werde einer neuen Ellbogen-Mentalität weichen.
Denn vorher waren die Kassen voll, die Märkte verteilt. Jetzt seien sowohl die Staatstöpfe leer als auch die Rücklagen vieler Unternehmen aufgebraucht. Aber jetzt, so heißt es, sei die Zeit für Investitionen, um "up to date" zu bleiben. "Ich befürchte global einen stärkeren Verteilungskampf um einen kleiner gewordenen Kuchen und deshalb weniger Konsens", so die Professorin.
"Teamgeist kommt eher beim Arbeiten im Büro auf"
Für den Spezialglashersteller Schott befürchtet Nina Moyer das nicht. Sie ist für das globale Talentmanagement der Firma zuständig und spürt jetzt, auf der vermeintlichen Zielgeraden der Pandemie, innerbetrieblich Freude und Dankbarkeit der Mitarbeiter gegenüber dem Unternehmen, das gut durch die Krise kommt. "Aber ich bin auch überzeugt davon, dass wir nicht alles beibehalten sollten, was wir in den vergangenen 18 Monaten gemacht haben. Richtiger Spirit und Teamgeist kommt meiner Meinung nach eher beim gemeinsamen Arbeiten im Büro auf."
Aber quer durch alle Abteilungen habe man auch sehr viel gelernt, sagt die Personalerin. "Wir können Meetings heute viel kompakter und effektiver gestalten und merken, dass man nicht für jedes Treffen um den Globus fliegen muss, vieles geht online. Wir wissen nach der Pandemieerfahrung die Begegnung, das Miteinander im Büro, viel mehr zu schätzen - früher war das selbstverständlich. Noch nie haben so viele Kollegen gefragt, ob das Sommerfest dieses Jahr wieder stattfindet."
Mix als bestes Modell
Die Arbeitwissenschaftlerin Rump, sagt auch, dass der Mix das beste Modell sein werde. So praktisch Homeoffice für viele ist, es schränke sogar körperlich ein. Man schaue den ganzen Tag auf einen Monitor und bewege sich kaum. "Die meisten arbeiten zu Hause effektiver, machen kaum Pausen, vergessen welcher Wochentag ist, weil jeder Tag gleich erscheint. Wer hält das durch?" Und damit beantwortet sie auch die Frage, ob Mitarbeiter im Homeoffice gut arbeiten oder nur den Rasen mähen. "Wer im Homeoffice nicht richtig arbeitet, der hat seinen Arbeitgeber vorher im Büro auch beschissen und sich verdrückt wo er konnte."
Wichtig sei, dass die neue Arbeitswelt mit den Arbeitnehmern gemeinsam geschaffen werde. Umfragen hätten ergeben, dass der Wunsch groß sei, wählen zu können - zwischen der eher herkömmlichen oder der neuen Arbeitsweise.