Umstrittene Penny-Aktion "Wahre Kosten" Was kommt nach der heftigen Diskussion?
Eine Woche lang verlangte der Discounter Penny für ausgewählte Produkte deutlich mehr. Im Wissenschaftsprojekt waren auch Umweltfolgekosten eingepreist. Das sorgte für kontroverse Diskussionen. Wie ist die Bilanz?
Eigentlich können sich Amelie Michalke von der Universität Greifswald und Tobias Gaugler von der Technischen Hochschule Nürnberg freuen: Nicht jedes wissenschaftliche Projekt in Deutschland erfährt so viel Aufmerksamkeit wie die sogenannten "wahren Kosten" beim Discounter Penny. Dass es so große Wellen geschlagen habe, zeige vielleicht auch, "dass wir da so ein Stückchen den wunden Punkt getroffen haben", sagt Gaugler rückblickend.
Neun Lebensmittel von insgesamt über 3000 Artikeln im Sortiment des Discounters Penny waren Anfang August drastisch verteuert worden: vier Bio- und fünf konventionell hergestellte Produkte. Die Wissenschaftler berechneten dafür die sogenannten "wahren Kosten", also auch Auswirkungen der Produktion, die normalerweise nicht von den Kunden an der Kasse beglichen werden. Hierbei wurden Bereiche wie Umwelt, Wasser, Boden und Gesundheit berücksichtigt.
Heftige Kritik von vielen Seiten
Die Konsequenz war eine zum Teil drastische Anhebung der Preise für Mozzarella oder Joghurt und ein veganes Schnitzel. Käsescheiben verteuerten sich infolgedessen um bis zu 88 Prozent, während sich die Kosten für Wiener Würstchen nahezu verdoppelten. Bei ökologisch erzeugten Lebensmitteln fiel die Teuerung nicht ganz so dramatisch aus. Dass aber ausgerechnet in einem Discounter die Umweltfolgekosten bei der Produktion von Lebensmitteln aufgezeigt wurden, erschien selbst Umweltverbänden geradezu absurd.
Insbesondere die Supermarktkette Penny geriet in die Kritik: Penny gehört zur REWE-Handelsgruppe, buhlt mit den drei anderen großen Playern - Edeka, Lidl und Aldi - um Marktanteile und diktiert damit auch in Deutschland die Preise. Nicht nur in den sozialen Netzwerken ging es heiß her. Das Ganze sei "Greenwashing", hieß es beispielsweise seitens des Deutschen Bauernverbandes, als reinen PR-Trick bezeichnete die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch die Aktion.
Penny erwartet Millionenverlust
Auch wenn es sich lediglich um neun ausgewählte Lebensmittel handelte: Penny erwartet im Zuge der Auswertung der insgesamt sechs Einkaufstage unter dem Strich einen einstelligen Millionenverlust - wegen Kaufzurückhaltung der Verbraucher bei diesen Produkten. Der Discounter hatte aber schon vorher damit gerechnet.
Trotzdem gibt es auch Zusatzeinnahmen bei diesen Lebensmitteln aus der Aktionswoche - also die Differenz zwischen dem herkömmlichen Verkaufspreis und dem "Wahre Kosten"-Preis der Produkte. Sie möchte Penny, inklusive einer Spende, vollständig an das Projekt "Zukunftsbauer" überweisen. Rund 375.000 Euro sollen damit in den Förderfonds kommen, der familiengeführte Bauernhöfe im Alpenraum bei energieeffizienten Optimierungsmaßnahmen unterstützen will.
Auswertung dauert Monate
Das Forschungsziel für die beiden Wissenschaftler besteht nun darin, mithilfe einer soliden Datengrundlage die etablierten Strukturen im Lebensmittelbereich aufzubrechen. Die erfassten Verkaufsdaten, Rückmeldungen und Ergebnisse aus qualitativen Umfragen während der Aktionswoche werden anonymisiert in eine Studie der beiden Hochschulen einfließen.
Die Veröffentlichung ist für Anfang 2024 geplant. Die Ergebnisse sollen als Grundlage dafür dienen, "dass diese externen Kosten erst gar nicht entstehen, dass wir gar nicht erst zahlen müssen, sondern dass das Ernährungssystem ganzheitlich nachhaltiger gestaltet wird", erklärt Wirtschaftsingenieurin Michalke von der Uni Greifswald.
Kritik auch an der Auswahl der Produkte
Als "diskriminierend" bezeichnete beispielsweise der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler), dass bis auf die veganen Schnitzel nur tierische Produkte mit den "wahren Preisen" ausgezeichnet wurden. Bei Milch, Käse oder Fleischprodukten wird neben der Tierhaltung auch immer die vorgelagerte Futtermittelproduktion miteinberechnet. Bei unverarbeiteten Lebensmitteln wie Gemüse und Obst wäre der Preisaufschlag weniger drastisch und läge meist im einstelligen Prozentbereich.
Die Wissenschaftler hätten ebenfalls gern die "wahren" Preise für eine breite Palette von Produkten berechnet - einschließlich verschiedener pflanzlicher Optionen. "Ich kann verstehen, dass man kritisiert, dass diese Auswahl getroffen wurde, die vor allem von Penny intern auch getroffen wurde", sagt Michalke, "aber die Message wäre keine andere gewesen."
Irgendwer zahlt immer die Rechnung
Grundsätzlich - und das geriet bei der hitzigen Diskussion über Penny, Discounter und den umkämpften Lebensmittelmarkt etwas aus dem Blick - entstehen Folgekosten der Produktion immer. Sie werden eben nur nicht an der Kasse gezahlt, sondern sind ausgelagert.
Diese "wirklichen Kosten" umfassen Auswirkungen wie Klimawandel, Fettleibigkeit, Kinderarbeit und Plastikverschmutzung, die letztendlich von der Gesellschaft oder den Steuerzahlern getragen werden. Etwaige Ungenauigkeiten bei der Berechnung werden von Gaugler höchstens im Cent-Bereich gesehen, "plus/minus bei der Nachkommastelle - aber die Tendenzaussage, gerade auch bei CO2, da ist man sich wissenschaftlich schlicht einig, dass das so passt."
Hätten die Wissenschaftler ein paar Faktoren mehr berücksichtigt, wären einige Preissteigerungen wohl noch deutlich stärker gewesen. Das Verständnis der wahren Kosten von Lebensmitteln ist von großer Bedeutung, um Risiken zu steuern, Innovationen zu fördern und Umwelt- sowie soziale Kosten in der gesamten Lieferkette zu reduzieren.