Stark steigende Pflegekosten "Schwer, mit Taschengeld zu wirtschaften"
Inflation und steigenden Personalkosten führen dazu, dass Pflege im Heim für immer mehr Menschen kaum bezahlbar ist. Wie gehen Betroffene damit um? Ein Beispiel aus dem Saarland.
"Ich zahle mit allem Drum und Dran rund 3300 Euro im Monat." Gerhard Kiß setzt seine Lesebrille auf, kramt die sorgfältig gefaltete Rechnung vom letzten Monat aus seiner Tasche und liest vor:
Pflegebedingte Aufwendungen: rund 1400 Euro. Dazu kommt die Ausbildungsrefinanzierung von 80 Euro, dann noch der Ausbildungszuschlag 138 Euro. Dann kommt die Unterkunft: Für ein Einzelzimmer 652 Euro. Die Verpflegung stationär sind 374 Euro. Zu guter Letzt kommen noch Investitionskosten dazu, das sind 652 Euro. Das macht summa summarum 3300 Euro.
Einen Pflegegrad hat der sportliche 94-Jährige nicht. Deswegen bekommt er auch keinen Zuschlag von der Pflegekasse, zahlt alles selbst. In seinem Fall ist das noch mehr als der durchschnittliche Eigenanteil von rund 2700 Euro in saarländischen Pflegeheimen, einer der höchsten Beiträge bundesweit. Dort könnten es im Schnitt monatlich bald noch 700 Euro mehr werden, kalkuliert die saarländische Pflegegesellschaft. Auch in allen anderen Regionen Deutschlands wird der Eigenanteil für die Pflege in Heimen drastisch steigen. Je nach Bundesland rechnen Experten von einem Anstieg um mehrere Hundert Euro.
Nur wenigen geht es finanziell gut
Alleine, in einer eigenen Wohnung, könnte Gerhard Kiß mit Sicherheit günstiger wohnen. Aber er ist ein paar Mal gestürzt, seine Tochter wohnt nicht in der Nähe. Hier im Seniorenzentrum Bruder-Konrad-Haus in St. Ingbert fühlt er sich gut aufgehoben und sicher. Im Gegensatz zu vielen anderen Senioren muss er keine Abstriche machen, selbst wenn die Kosten steigen.
"Ich hab da noch Spielraum und ein paar Sparschweine zu Hause", sagt er. "Aber viele andere mussten zum Beispiel ihr Haus verkaufen." Er hat damals als Chemiker bei einer Schweizer Firma gearbeitet, ihm geht es finanziell gut. Doch da ist er die Ausnahme.
Einmal die Woche geht Kiß in die Stadt nach St. Ingbert, kauft dort das eine oder andere, was es hier im Seniorenheim nicht gibt. "Da bin ich auch großzügig im Verteilen." Damit es auch den anderen ein bisschen besser geht.
Ein Drittel der Pflegebedürftigen deutschlandweit kann die monatlichen Kosten für das Heim nicht alleine stemmen, bekommt Hilfe zur Pflege, also Sozialhilfe. Das geht aus Zahlen des Statistischen Bundesamts hervor. In einzelnen Bundesländern ist dieser Anteil noch deutlich höher. Im Saarland betrifft das rund die Hälfte der Menschen in Pflegeheimen.
Hilfe nur, "wenn es unbedingt sein muss"
So ist es auch bei Emmy Rieß. Sie wohnt im gleichen Haus wie Gerhard Kiß, eine Etage höher. Vor einigen Jahren ist sie gemeinsam mit ihrem Mann ins Pflegeheim gezogen - gemeinsame Bilder schmücken noch ihre Eingangstür. Mittlerweile lebt die Witwe alleine in ihrem Zimmer, das sie lachend als "Suite" bezeichnet. Das Bett wird durch eine geblümte Tagesdecke tagsüber zum Sofa, Parfums und alte Fotos stehen ordentlich aufgereiht auf der Kommode.
Sie trägt eine gemusterte Bluse, eine rote Kette und große Ohrringe. Gepflegt zu sein ist ihr wichtig, auch wenn es schwieriger wird, weil sie nicht mehr so gut sieht. "Wenn es unbedingt sein muss", bittet sie die Pflegekräfte um Hilfe. Sie fühlt sich hier gut aufgehoben - aber das Leben hier hat seinen Preis.
Meine ganze Rente geht weg, dann hab ich im Monat 139 Euro Taschengeld, davon gehen dann noch der Friseur, die Fußpflege und alles ab. Ich kaufe auch noch meine Arznei selbst, die ist auch nicht billig. Dann kriege ich noch von meinen Kindern ein bisschen Zuschuss, aber ich will das eigentlich nicht. Ich will nicht betteln und versuche immer, mit dem, was ich habe, zurechtzukommen.
Sie ist fit, verfolgt die Nachrichten und macht sich Sorgen wegen der politischen Lage und der steigenden Preise, weil dadurch viele weitere Menschen in Pflegeheimen zu Sozialhilfeempfängern werden. Dass ihr und vielen anderen damit nur noch ein Taschengeld bleibt, "das finde ich nicht fair. Ich habe ja auch einen gewissen Lebensstandard gehabt, aber ich gebe mich zufrieden, was soll ich denn machen?"
Mit dem wirtschaften, was man hat
Verschiedene Sozialverbände hätten da schon Ideen - es gibt verschiedene Modelle von einer kompletten Reform der Pflegeversicherung bis zur Übernahme der Investitionskosten durch die Länder, was für die Betroffenen immerhin eine Entlastung von mehreren Hundert Euro wäre.
Aber Emmy Rieß will sich nicht beschweren. Sie denkt lieber daran zurück, was sie im Leben schon geschafft hat. Damals habe sie ein schönes Haus mit drei Etagen gehabt, ihre kranke Mutter gepflegt und vier Kinder großgezogen. Was das Geld angeht, sei sie schon immer realistisch gewesen: "Wir haben immer mit dem was wir hatten gewirtschaftet und nicht mit dem, was man haben könnte."
Und so macht sie es auch heute. Wobei ein bisschen mehr Geld für einen neuen warmen Wintermantel schon schön wäre. "Es ist schwer, mit dem Taschengeld zu wirtschaften." Trotzdem will sie nicht mit leeren Händen erscheinen - bald, wenn ihre Enkelin Geburtstag hat. Mitbringen will sie dann "nur eine Kleinigkeit, die kommt aber von Herzen".