"Energy Sharing" Dem Nachbarn günstig Strom abgeben
Auf immer mehr Dächer kommen private Solaranlagen. In lokalen Energie-Gemeinschaften Strom vom Nachbarn zu beziehen, könnte Kosten stark senken. In der Praxis ist das kaum möglich - zumindest in Deutschland.
Rund 2,2 Millionen Solaranlagen sind in ganz Deutschland verbaut. Häufig verbrauchen ihre Besitzer einen Teil des selbst erzeugten Stroms im eigenen Haus und speisen Überschüsse ins öffentliche Stromnetz ein. Allerdings ist die staatliche Einspeisevergütung in den vergangenen Jahren spürbar gesunken: Für Anlagen mit einer Spitzenleistung von zehn Kilowatt werden 8,2 Cent pro Kilowattstunde (kWh) bezahlt. Der durchschnittliche Haushaltspreis für Strom beträgt derzeit etwa 40 Cent pro kWh.
Enormes Potential für "Energy Sharing"
Warum also nicht Überschüsse zu fairen Preisen an Nachbarn abgeben? Oder sich zu Energie-Gemeinschaften zusammentun, um zusammen Strom zu erzeugen und verbrauchen? Laut einer Analyse des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) ist das Potential für sogenanntes "Energy Sharing" enorm.
Demnach könnten Energie-Gemeinschaften bis zu 35 Prozent des Zubaus der erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2030 bewerkstelligen. 90 Prozent aller Haushalte in Deutschland könnten dadurch mit vergünstigtem Strom versorgt werden.
Strom dort verbrauchen, wo er erzeugt wird
Der Auftraggeber der Studie, das Bündnis Bürgerenergie (BBEn), beschreibt "Energy Sharing" als das Teilen von grünem Strom über das Verteilnetz. Die Grundidee sei dabei, den Strom dort zu verbrauchen, wo er erzeugt wird, erklärt Viola Theesfeld, Referentin für Energiepolitik und Energiewirtschaft beim BBEn:
Damit müsste der Strom nicht über weite Strecken transportiert oder gespeichert werden, sondern alle hätten direkt etwas von mehr erneuerbaren Energien in ihrer Umgebung. Jeder Mensch, der in der Nähe solcher Anlagen wohnt, hätte einen finanziellen Vorteil.
In der Praxis sieht es aber meist so aus: Im eigenen Haus und auf dem eigenen Grundstück kann der selbst erzeugte Strom verbraucht werden. In der unmittelbaren Nachbarschaft, auf angrenzenden Grundstücken, aber nicht.
Entfernung wird nicht berücksichtigt
Beim Stromtransport werde eben nicht nach Entfernung unterschieden, erläutert der Experte Volker Quaschning von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Strom von Flensburg nach München zu transportieren koste genau so viel wie auf die andere Straßenseite.
"Sobald der Strom durch einen Meter öffentliches Kabel geht, werden sehr viele Entgelte fällig", erklärt Quaschning. "Und wenn man versucht den Strom an Nachbarinnen und Nachbarn zu verkaufen, dann hat man auch gleich die Rechte und Pflichten eines Energieversorgers, was rechtlich sehr kompliziert wird."
Deutschland hinkt hinterher
Laut Theesfeld vom Bündnis Bürgerenergie wird dadurch viel Potential verschenkt: "Wenn ich mehr Strom habe als ich brauche, kann ich ihn nicht einfach weitergeben." Dabei hat die EU bereits 2018 eine Richtlinie erlassen, in der die Rahmenbedingungen für "Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften" beschrieben sind.
Von den Mitgliedsstaaten wird verlangt, die Voraussetzungen zu schaffen, dass Energiegemeinschaften wirtschaftlich arbeiten können. Das sei in Deutschland nicht wirklich realisiert, kritisiert Energieexperte Quaschning.
In Österreich bereits möglich
Die Bundesregierung vertritt dagegen die Auffassung, Energiegemeinschaften seien wie andere Marktteilnehmer auch zu behandeln. Das EU-Recht sehe keine "Privilegierung" von Energie-Gemeinschaften vor.
Andere Länder machen es aber bereits anders. Österreich hat eigens eine Koordinierungsstelle für Energiegemeinschaften eingerichtet. Diese stellten einen "neuen Meilenstein für die österreichische Energiewirtschaft" dar, so die Behörde. Demnach ist es in Österreich auch möglich, was in Deutschland nicht geht: Strom, den man selbst nicht verbraucht, an Nachbarn zu verkaufen. Zu einem Preis, den man gemeinsam vereinbart hat.