Süßigkeitenbranche unter Druck Mit Pilz-Fruchtgummis gegen sinkende Umsätze
Steigende Kakao- und Zuckerpreise, aber auch der Klimawandel und ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein stellen Süßwarenhersteller vor Herausforderungen. Mit neuen Zutaten und Kreationen wollen sie gegensteuern.
Recht technisch klingt es, was der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie (BDSI) in einer Mitteilung schreibt: "Ein inflationsbedingtes Umsatzplus verdeckt den Blick auf den abstiegsbedrohten Wirtschaftsstandort Deutschland und Kostenexplosionen für die heimischen Unternehmen." Übersetzt heißt das: Es gibt momentan eher Saures statt Süßes. 2023 sei ein schwieriges Jahr gewesen, und die Perspektive auf 2024 sehe nicht viel besser aus.
200 Unternehmen gehören dem Verband an. Sie berichten von drastischen Kostensteigerungen bei Rohstoffen, Personal, Logistik und Verpackung - und einer Flut an neuen bürokratischen Anforderungen. "Die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland muss wieder in den Vordergrund rücken. Im europäischen Vergleich haben wir die höchsten Steuern und Abgaben, die höchsten Löhne und leider auch eine marode Infrastruktur. Wir haben vieles, was uns als Wirtschaftsstandort nicht nur schlecht dastehen lässt, sondern mittlerweile auch auf die Füße fällt", beschwert sich Bastian Fassin, Vorsitzender des BDSI.
Kosten für Rohstoffe stark gestiegen
Es ist ein Hilferuf an die Bundesregierung und auch an die Europäische Union. Die Politik müsse sich den großen und existenziellen Herausforderungen annehmen, statt den Unternehmen immer noch mehr Bürokratie aufzuhalsen. "Wir benötigen dringend Lösungen für eine wettbewerbsfähige Energieversorgung, politische Lösungen zur Bekämpfung des fortschreitenden Arbeitskräftemangels und eine funktionierende Infrastruktur im Bereich Verkehr und Digitalisierung. Falls die Bundesregierung nicht zügig das Ruder herumreißt, droht eine Marktbereinigung zulasten kleinerer und mittelständischer Unternehmen und ein deutlicher Anstieg der Verlagerung von Produktionsschritten ins EU-Ausland", so Fassin.
Auch 2024 erwartet die deutsche Süßwarenindustrie kein ruhiges Jahr, denn insbesondere bei den Kakao- und Zuckerpreisen sei keine Entspannung zu erkennen. So berichtet der Verband von Kostensteigerungen bei Zucker aus der EU um 72 Prozent, bei Kakaobutter um 52 Prozent und Kakao um 43 Prozent.
Weitere Probleme seien Arbeitskosten, Steuern und Abgaben, die Dauer von Genehmigungsverfahren, der schleppende Breitbandausbau und Bürokratiebelastungen. Auch die Kosten für Verpackung und die CO2-Bepreisung würden 2024 erheblich steigen.
Klimawandel, Mangel an Arbeitskräften
Auch der Klimawandel bereitet der Branche Sorge, weil es weltweit immer mehr Extremwetterlagen gibt. Es sei nicht gesichert, dass Kakao oder andere Zutaten immer verfügbar seien. Große Probleme bereite der Branche auch der dramatische Mangel an Arbeitskräften und Auszubildenden. Neue geplante Regelungen für die Einwanderung von Arbeitskräften sind laut Süßwarenverband der richtige Weg. Doch dies müsse nun alles schnell und unbürokratisch geschehen. Benötigt würden nicht nur Fachkräfte aus dem Ausland, sondern vor allem Arbeitskräfte für einfache Produktionstätigkeiten.
Mit neuen Ideen und Trends versucht die Branche, die zunehmend gesundheitsbewussten Konsumenten davon zu überzeugen, zu Süßigkeiten zu greifen. Neu sind vegane Produkte mit Pflanzenproteinen, mit natürlichen Zutaten wie Nüssen, Hafer, Urgetreide, Sonnenblumen- oder Kürbiskernen oder auch mit getrockneten Beeren. Im Trend liegen auch Süßwaren und Knabberartikel als Snack unterwegs, die häufig in wiederverschließbaren oder einzeln portionierten Verpackungen angeboten werden.
Produkte immer nachhaltiger
Nachhaltigkeit und Gesundheit gehören zu den gesellschaftlichen Megatrends. Deshalb gibt es immer mehr zuckerfreie oder zuckerreduzierte beziehungsweise fettfreie oder fett- und salzreduzierte Süßwaren und Knabberartikel sowie Produkte in Bioqualität oder mit nachhaltig angebauten Rohstoffen.
Auf der noch bis Dienstag in Köln laufenden Süßwarenmesse zeichnet eine unabhängige fachkundige Jury jedes Jahr Unternehmen aus, die kreativ mit neuen Inhaltsstoffen, Texturen und Geschmacksrichtungen experimentieren. Auf dem ersten Platz landet diesmal eine Schokolade, die ganz ohne Kakao auskommt und dabei auf ein klimafreundliches Konzept setzt. "Bei dieser kakaofreien Schokolade werden statt Kakaobohnen Hafer-und Sonnenblumenkerne aus der Region verarbeitet. Dank dieser kurzen Lieferketten entstehen bei der Herstellung bis zu 90 Prozent weniger CO2 als bei herkömmlicher Schokolade", sagt Sabine Schommer, Direktorin der ISM.
Kunden wollen neue Geschmackserlebnisse
Auf Nachhaltigkeit setzt auch das zweitplatzierte Produkt, bei dem das Fruchtfleisch der Kakaopflanze ebenfalls verwendet wird. Durch das Upcycling werden Bestandteile der Kakaofrucht genutzt, die ansonsten weggeworfen würden. "So wird nicht nur Abfall reduziert, sondern das frische und fruchtige Aroma der Kakaofrucht sorgt für ein neues Geschmackserlebnis", so Schommer.
Insgesamt sind 1.400 Aussteller aus 74 Ländern auf der Messe dabei. Hersteller präsentieren Produkte wie Pilz-Fruchtgummis, die mit Pfirsich-, Maracuja- und Rhabarbersaft extra fruchtig und in einer Tüte auf Basis nachwachsender Rohstoffe verpackt sind. Ein weiterer Fokus liegt auf ausgefallenen und exotischen Kombinationen wie buntem Süßkartoffelpopcorn oder unerwartete Geschmackserlebnisse wie Chips mit echtem Rindfleisch-Jerky.
Branche hofft auf Besserung durch neue Trends
Bei Schokolade setzen Unternehmen vermehrt auf Merkmale wie Fair Trade, zuckerreduziert, vegan sowie ungewöhnliche Geschmacksrichtungen. So gibt es Neuheiten wie Kichererbsenwaffeln oder Schokoladen-Quinoa-Waffeln in dunkler Schokolade mit gefriergetrockneten Kirschstücken.
Die Branche hofft, dass sich die Konsumenten von den neuen Trends überzeugen lassen, um eine Kehrtwende zu erreichen. Die Blicke richten sich laut Süßwarenverband vor allem auf den Export der Waren, dieser habe einen Anteil von 60 Prozent an der Produktion. Für einige Unternehmen gehe es schlicht und ergreifend um das wirtschaftliche Überleben.