Dürren, Fluten, Stürme, El Niño Treibt der Klimawandel die Nahrungsmittelpreise?
Die Preise für Orangensaft, Kakao und Zucker steigen rasant. Doch sind sie wirklich Vorboten einer Nahrungsmittel-Inflation im Zuge des Klimawandels? Experten sind skeptisch.
Für Verbraucher mit einem süßen Zahn verheißen die jüngsten Entwicklungen an der Rohstoffbörse in New York nichts Gutes: Die Preise für Orangensaft, Kakao und Zucker sind seit Jahresbeginn rasant gestiegen. "Der Preisauftrieb bei Orangensaft liegt bei 66 Prozent im laufenden Jahr, der Kakao-Preis ist um 40 Prozent gestiegen, Zucker um 35 Prozent", betont Marktexperte Robert Rethfeld von Wellenreiter-Invest im Gespräch mit tagesschau.de.
Einige Experten führen diese Entwicklungen auf den Klimawandel zurück. Der internationale Zuckerhändler Czarnikow schätzt, dass die thailändische Zuckerernte 2023/2024 um 31 Prozent auf ein 17-Jahrestief einbrechen wird - wegen der anhaltenden Dürre. Thailand ist der weltweit drittgrößte Zuckerproduzent.
Wie steigende Ölpreise den Zuckerpreis treiben
Doch nicht überall liegt die Verbindung zwischen Klimawandel und steigenden Preisen für Agrarrohstoffe so vermeintlich klar auf der Hand. So ist bei Orangensaft in erster Linie "Citrus Greening" für den starken Preisanstieg verantwortlich. Die Krankheit, auch bekannt als Gelber Drache, wird ausgelöst durch ein Bakterium und verwüstet ganze Plantagen in Florida.
Und hinter dem Preisanstieg bei Zucker steckt auch die im Zuge anziehender Ölpreise gestiegene Nachfrage nach Bioethanol, wird Zuckerrohr doch für die Herstellung des Benzin-Ersatzstoffs benötigt.
Grundnahrungsmittel wieder billiger
Nicht wenige fürchten dennoch, dass die Preisentwicklungen bei Kakao, Orangensaft und Zucker nur Vorboten einer breiten Nahrungsmittel-Inflation sind. Mit Blick auf die verheerenden Folgen des Klimawandels seien auch steigende Getreidepreise zu erwarten. Doch müssen wir wirklich anhaltend hohe Nahrungsmittelpreise fürchten?
Fakt ist: Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Sojabohnen, Weizen und Mais sind in diesem Jahr nicht gestiegen, sondern deutlich gefallen. Das zeigt ein Blick auf den Getreidepreisindex der Welternährungsorganisation (FAO), der im August gut 14 Prozent unter seinem Vorjahreswert lag. Der Maispreis fiel im August unter dem Eindruck einer Rekordernte in Brasilien sogar auf den tiefsten Stand seit September 2020.
Deutlicher Preisverfall bei Grundnahrungsmitteln
"Mais liegt im laufenden Jahr bei minus 30 Prozent, Weizen bei minus 25 Prozent. Die Preise für Sojabohnen sind um 14 Prozent zurückgegangen", erläutert Wellenreiter-Experte Rethfeld. "Was die Grundnahrungsmittel anbelangt, haben wir da also eine Vergünstigung - zumindest mit Blick auf die Rohstoffe. Allerdings haben sich die fallenden Preise beim Endverbraucher bislang noch nicht so durchgesetzt."
Laut Rethfeld liegt das auch an den hohen Prozesskosten in Form von Löhnen und Energie, die etwa bei der Herstellung von Brot anfallen.
Weizenpreis langfristig im Rückwärtsgang
Weizen ist dabei auch in der langfristigen historischen Rückschau alles andere als teuer; inflationsbereinigt ist der Weizenpreis in der entwickelten Welt in den letzten 100 Jahren sogar gefallen, wie Rethfeld unterstreicht. Mit anderen Worten: Der Weizenpreis ist weniger stark gestiegen wie die Gesamt-Inflation. "Ab Ende des Zweiten Weltkriegs ging es deutlich abwärts, seit dem Jahr 2000 befinden wir uns in einer Seitwärtsbewegung."
Wie sieht es nun mit den weiteren Perspektiven für Weizen aus? Commerzbank-Rohstoffanalystin Thu Lan Nguyen sieht kurzfristig Aufwärtsrisiken für den Weizenpreis. Zur Begründung verweist sie auf die deutliche Senkung der globalen Weizenernteprognose für 2023/2024 durch das US-Landwirtschaftsministerium. Zugleich seien die Lagerbestände zum Ende der Saison so niedrig wie zuletzt vor acht Jahren.
El Niño als Preistreiber?
Experten sind sich einig: Auch das Wetterphänomen El Niño dürfte die Preise für Weizen und andere Agrarrohstoffe nach oben treiben. Die Weltwetterorganisation (WMO) hatte bereits im Juli erklärt, dass im tropischen Pazifik erstmals seit mehreren Jahren wieder El-Niño-Bedingungen herrschten. Dies könne die globalen Temperaturen weiter in die Höhe treiben und regionale Wetter- und Klimamuster verändern. Die Folge: mehr Hitze, mehr Dürren, aber auch mehr Überschwemmungen.
Laut Aneeka Gupta, Direktorin im Bereich Makro-Research beim ETF-Anbieter WisdomTree, könnte El Niño die Preise einiger Rohstoffe in die Höhe treiben. In acht der elf vergangenen El-Niño-Episoden seit den 1960er Jahren habe Weizen in den darauffolgenden sechs Monaten um durchschnittlich 14 Prozent höher notiert.
"Wenn zum Jahreswechsel El Niño seinen Höhepunkt erreicht, beginnt für den Weizenpreis eine Phase relativer Stärke", ist auch Marktexperte Rethfeld überzeugt. Die klimatischen Bedingungen würden dann ungünstiger: Das verknappt das Angebot - der Preis steigt.
El Niño ist ein natürliches, im Schnitt alle drei bis vier Jahre auftretendes Wetterphänomen. Es geht mit einer Erwärmung des Meerwassers im tropischen Pazifik und schwachen Passatwinden einher. Der Name stammt von Fischern in Peru, die den Temperaturanstieg des Meeres oft in der Weihnachtszeit bemerkten – "El Niño" heißt übersetzt das Christkind. El Niño kann Australien, Indonesien und anderen Teilen Südasiens schwere Dürren bescheren. Dagegen kann es in Teilen Südamerikas, im Süden der Vereinigten Staaten, am Horn von Afrika und in Zentralasien vermehrt regnen.
"Nahrungsmittelpreise sind keine Inflationstreiber"
Und was ist mit den langfristigen Folgen des Klimawandels? "Der Klimawandel läuft jetzt seit 40 Jahren, seit 1980 steigen die Temperaturen. Bisher hat sich der Klimawandel mit Blick auf Weizen nicht negativ ausgewirkt", gibt der Wellenreiter-Experte zu bedenken. Tatsächlich seien die eher warmen Bedingungen sogar vorteilhaft für den Weizenanbau - solange die Dürren nicht überhand nehmen.
"Langfristig sehe ich die Nahrungsmittelpreise insgesamt auf Inflationsniveau oder darunter liegen. Sie sind also keine Inflationstreiber - das dürfte eher die Energie sein." Aktuell notieren die Ölpreise so hoch wie seit zehn Monaten nicht mehr.