Auflösung von Evergrande Das Ende des chinesischen Immobilienriesen
Der hochverschuldete Baukonzern Evergrande ist zum Symbol der chinesischen Immobilienkrise geworden. Nun ordnete ein Hongkonger Gericht an, das Unternehmen aufzulösen. Was folgt daraus?
"Genug ist genug", so Richterin Linda Chan bei der Urteilsverkündung. Nach anderthalb Jahren Anhörung habe Evergrande es immer noch nicht geschafft, einen konkreten Vorschlag zu machen, wie das Unternehmen umstrukturiert werden soll. Anfang Dezember hatte die Richterin dem Unternehmen noch einen Aufschub gewährt, um die drohende Abwicklung abzuwehren. Diese Frist ist nun verstrichen.
"Die Gerichtsentscheidung kommt nicht überraschend", sagt Jörg Wuttke, ehemaliger, langjähriger Präsident der Europäischen Handelskammer in China. Mit 300 Milliarden Verschuldung in US-Dollar habe Evergrande einen ähnlichen Schuldensockel wie Griechenland vor 10 Jahren angehäuft. "Es gab keinen guten Restrukturierungsplan und jetzt muss man sehen, wo die Reise hingeht."
Immobilienunternehmen mit den höchsten Schulden weltweit
Evergrande-Chef Xiao En sagte chinesischen Staatsmedien, er bedauere die Entscheidung. Sie sei nicht im Interesse des Unternehmens.
Evergrande ist das am höchsten verschuldete Immobilienunternehmen weltweit. Der Konzern hatte bis zuletzt vergeblich versucht, alle Beteiligten zu überzeugen, mehr Zeit zu bekommen, um seine Schulden zu begleichen. Allein 22,7 Milliarden von den etwa 300 Milliarden US-Dollar Schulden wurden im Ausland aufgenommen.
Gilt das Urteil auch in Festlandchina?
Nach dem Gerichtsurteil führen jetzt die vorläufigen Insolvenzverwalter die Verhandlungen mit den Gläubigern. Welche konkreten Auswirkungen das Urteil haben wird, ist noch nicht klar. Denn Evergrande ist zwar an der Börse der chinesischen Sonderverwaltungsregion Hongkong gelistet, die größte Bautätigkeit gibt es jedoch in Festlandchina. Das sind zwei unterschiedliche Rechtsräume. Inwieweit die Abwickler auch in Festlandchina Zugriff haben, ist noch nicht abzusehen.
Es sei sehr kompliziert, meint Simon Lee, Finanzanalyst und Evergrande-Experte von der Chinesischen Universität Hongkong. "Wann immer es einen Rechtsstreit gibt, sind beide Gerichtsbarkeiten in Hongkong und auf dem Festland involviert. Bei einer angeordneten Liquidierung ist es einfach schwierig, wie das auf dem chinesischen Festland umgesetzt wird", sagt er.
Auswirkung auf die Wirtschaft
Simon Lee geht wie viele andere Experten nicht davon aus, dass sich die Liquidierung von Evergrande auf die globalen Finanzmärkte auswirken wird wie die Finanzkrise 2008. Auf das Wirtschaftswachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt allerdings schon. Der Finanzanalyst schätzt, dass die Auflösung von Evergrande China im laufenden Jahr 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts kosten könnte. Die Zahl hänge aber auch davon ab, welche Maßnahmen die chinesische Regierung nun ergreife, um das Vertrauen in den kriselnden Immobilienmarkt zu stärken.
Der chinesische Immobiliensektor machte früher bis zu einem Drittel der Wirtschaftskraft aus, steckt nun aber mit mit mehreren hochverschuldeten Bauunternehmen in der Krise. Die Nachfrage nach neuen Immobilien in China nahm zuletzt deutlich ab.
Wuttke sieht Handlungsbedarf der Regierung
Es gibt Millionen Bauruinen und Wohnungen, die von Baukonzernen nicht fertiggestellt wurden, in die chinesische Familien jedoch in Vorauszahlung einen Großteil ihrer Ersparnisse gesteckt haben. Manche Menschen wohnen nun in Rohbauten ohne Strom und fließend Wasser, weil sie nichts anderes haben. Wuttke sieht großen Handlungsbedarf der chinesischen Regierung.
"Wenn das nicht behandelt wird, dann wird sicherlich das Vertrauen schwinden", sagt er. Dabei sei das Vertrauen in den Immobilienmarkt sehr viel wichtiger in China als in Deutschland. "Immerhin zwei Drittel des Vermögens einer normalen chinesischen Familie ist im chinesischen Immobiliensektor. In Deutschland ist das mal gerade 25 Prozent", erklärt der ehemalige Präsident der EU-Handelskammer.
Nach der Ankündigung des Gerichts stürzten die Evergrande-Aktien an der Hongkonger Börse um mehr als 20 Prozent ab. Wenig später stoppte die Börse den Handel mit Wertpapieren von Evergrande. Auch die Papiere der Tochtergesellschaft für Elektrofahrzeuge sind vom Handel ausgesetzt.