Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan
analyse

Türkische Währung Was hinter Erdogans Lira-Politik steckt

Stand: 23.12.2021 16:38 Uhr

Der türkische Präsident Erdogan verfolgt mit aller Macht seine Politik niedriger Zinsen - trotz hoher Inflation. Monatelang verlor die Lira deshalb an Wert. Die jüngsten Stabilisierungsschritte könnten einen hohen Preis haben.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sich Zeit gekauft. Ob diese bis zur Wahl im Juni 2023 ausreicht, ist momentan nicht absehbar. Die am Montagabend verkündete Absicherung von Liraeinlagen und Interventionen der Zentralbank durch Devisenverkäufe haben die türkische Währung deutlich stabilisiert. Der Ökonom und ehemalige Zentralbankmitarbeiter Ugur Gürses geht laut der Internetzeitung "Duvar" davon aus, dass die Zentralbank die Lira mit um die sieben Milliarden Dollar gestützt habe. Während am Montag für einen Euro noch mehr als 20 Lira bezahlt werden mussten, sind es heute weniger als 13.

Wie groß der Druck war, zeigt ein von der halbstaatlichen Halkbank Anfang der Woche veröffentlichtes Video zur Lira. Ein älterer Herr läuft mit einem jüngeren Mann durch ein Liramuseum und erklärt mit ernster Miene und betont sachverständigem Blick die Vorzüge der Währung. Im Hintergrund laufen anatolisch anmutende Klänge. Die Botschaft ist eindeutig. Die türkische Währung Lira sei stark.

Vertrauensverlust vorerst gestoppt

Professor Erdal Yalcin hat türkische Wurzeln. Er forscht und lehrt Volkswirtschaft an der Hochschule Konstanz und gemeinsam mit dem "Kiel Institut für Weltwirtschaft". Yalcin sagt, Erdogan habe die Einlagensicherung gegenüber einer Fremdwährung nicht erfunden. Ein ähnliches Instrument wurde in der Türkei bereits in den 1970er-Jahren ausprobiert und im Nachhinein scharf kritisiert.

Durch die Maßnahme am Montag habe es der Staat jedoch in einer Situation maximalen Vertrauensverlustes geschafft, zumindest temporär den Verfall der Lira zu stoppen, so Yalcin. Allerdings müssen die Steuerzahler für mögliche Liraabwertungen in den nächsten Monaten geradestehen. Unendliche Ressourcen stünden nicht zur Verfügung, warnt Yalcin. Vor allem sei das Instrument kein Mittel, um die Inflation nachhaltig einzudämmen, und falls Erdogan an seinem Dogma festhalte, die Zinsen zu senken, dürfte die Lira bald wieder unter Druck kommen. 

Abkehr von Zinssenkungen unwahrscheinlich

Die nächste Sitzung der Zentralbank ist im Januar und in der Türkei gehen viele davon aus, dass der türkische Präsident nach der hohen Volatilität der vergangenen Tage, den Druck auf die Zentralbank etwas zurückfahren wird. Grundsätzlich scheint Erdogan allerdings fest an eine Politik der Zinssenkung zu glauben. Diese hat er immer wieder proklamiert.

Beobachter sagen, der islamisch-konservativ geprägte Erdogan berufe sich auf den Koran, in dem Zinsen als Sünde bezeichnet werden. Die bizarre Idee einer Senkung des Leitzinses, um die Inflation zu bremsen, hat Erdogan so oft zum Besten gegeben, dass er inzwischen sein Gesicht verlieren würde, sollte er seine Meinung ändern. 

Sorge bereitet Yalcin, dass Erdogans eigentliches Ziel keine wirtschaftliche Stabilisierung der Türkei ist, sondern allein der Machterhalt. Er wolle schnelles Wachstum vor der nächsten Wahl erzeugen. Dafür sei er auch bereit, so der momentane Eindruck, die Staatskassen zu leeren und ein wirtschaftliches Strohfeuer zu erzeugen. Der Scherbenhaufen nach dem Wahlsieg sei dabei sekundär. Das alles finde auf dem Rücken der Nation statt, kritisiert Yalcin. Er kenne Menschen in der Türkei, die aufgrund der hohen Inflation bereits jetzt Probleme hätten, ihre Grundbedürfnisse zu stillen.

 

Erdogan führte die Türkei einst aus der Krise

Tragisch ist, dass Erdogan einst die Türkei aus der Krise lenkte, um sie jetzt möglicherweise wieder hineinzuführen. 2001 durchlebte das Land ein schweres ökonomisches Tief. Erdogan schaffte damals nach der Machtübernahme durch entsprechende Reformen einen nie dagewesenen Wohlstand. Seine Partei galt Anfang der 2000er-Jahre als wirtschaftsnah. Renommierte Ökonomen berieten die AKP. Erdogan und sein Umfeld orientierten sich an der Wissenschaft und hatten Erfolg. Diese Zeit ist Vergangenheit.

Die Lira kann möglicherweise im Verhältnis zum Euro und zum Dollar in den nächsten Tagen und Wochen weiter Punkte machen. Doch die Inflation der vergangenen Monate haben die Preise insbesondere für Lebensmittel und Produkte des täglichen Bedarfs schon deutlich in die Höhe getrieben. Der amtliche Preisanstieg liegt bei 21 Prozent. Unabhängige Ökonomen sprechen von weit mehr als 50 Prozent.

Um die Inflation zu stoppen, müsse der Leitzins ohne Wenn und Aber angehoben werden. Das sei ein Ankerpunkt der Wirtschaftswissenschaft, so Erdal Yalcin. Russlands Präsident Wladimir Putin wurde auf seiner heutigen Jahrespressekonferenz gefragt, ob er der russischen Zentralbank Unabhängigkeit gewähre. Die Journalistin Nataliya Vasilyeva twitterte seine Antwort: "Wenn wir das nicht machen, enden wir wie die Türkei."   

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 21. Dezember 2021 um 18:36 Uhr.