Südkoreas "Generation Z" Große Träume, graue Realität
Sich nicht überarbeiten, Spaß im Leben haben: Das würde gerne auch die "Generation Z" in Südkorea. Doch immer mehr junge Leute machen nach der Arbeit noch Nebenjobs. Der Erwartungsdruck ist hoch.
Ein ruhiges Wohnviertel in unmittelbarer Nähe der Konkuk-Universität in Seoul. Der 26-jährige Min Gyu lebt hier mit seinem älteren Bruder Min Ki zusammen. Zwei kleine Zimmer, Wohnküche, Bad - Luxus im teuren Seoul. Ihre Eltern haben dafür mehrere Zehntausend Euro beim Vermieter hinterlegt.
Min Gyu hat seinen Laptop aufgeklappt. Er schreibt gerade an einem dritten Buch über ChatGPT: "Das sind Anleitungen, denn viele Menschen haben von ChatGPT gehört, aber sie wissen nicht, wie man den Bot im Alltag nutzt." Er nutzt ihn täglich, und das schon lange. Wenn ihm im Gespräch das passende Wort auf Englisch fehlt, fragt Min Gyu seinen Computer - und zwar in rasender Geschwindigkeit.
Nur wenige haben Freude am Job
45 Stunden pro Woche arbeitet er derzeit in der Marketing-Abteilung eines koreanischen Unternehmens für Kohlenstofffasern. "Und dann noch 15 bis 20 Stunden nebenbei", doch das störe ihn überhaupt nicht, denn er habe Freude an der Arbeit.
Damit scheint der Sohn einer Lehrerin und eines Journalisten seinen Altersgenossen einiges voraus zu haben: "Viele meiner Freunde gehen zu Firmen wie Samsung und arbeiten in der Halbleiterindustrie, weil die gut bezahlen. Aber alle sagen, das sei langweilig." Sie träumten von einem eigenen Café oder Restaurant.
Auf der Jagd nach Statussymbolen
Was seiner Generation aus Min Gyus Sicht fehlt und frustriert: Sie hat nicht genug Zeit herauszufinden, was sie wirklich will. Die koreanische Gesellschaft sei wettbewerbsgetrieben, und gerade seine Generation jage zu oft Statussymbolen hinterher: "Doch dadurch steigt ständig der Lebensstandard, und sie vergisst zu fragen, was sie wirklich glücklich macht."
Wenn er mit seinen Freunden spreche, redeten sie ständig über materielle Dinge wie das neueste Handy, ein neues Auto oder die eigene Wohnung: "Aber wenn wir zusammen reisen, Karten spielen oder schwimmen gehen, dann reden sie darüber gar nicht mehr." Glück sei mehr als ein eigenes Haus, findet der 26-Jährige.
Min Gyu (links) und sein Bruder Min Ki finden, dass ihre Generation zu fixiert auf Statussymbole ist und dadurch das wahre Leben verpasst.
Fehlendes Vertrauen in die Politik
Ob aus finanziellem Druck oder aus eigenem Antrieb: Fakt ist, dass 2022 insgesamt 630.000 Koreanerinnen und Koreaner zwischen 15 und 29 Jahren einen Nebenjob hatten. Das ist laut Nationalem Statistikamt ein Anstieg um 40 Prozent im Vergleich zu 2016.
Auch wenn Min Gyu sich nach eigener Aussage nicht für Politik interessiert, sieht er in ihr doch ein deutliches Versagen. "Meine Generation fürchtet, dass sie in zehn bis 20 Jahren wegen der geringen Geburtenrate bankrottgeht." Gut zum Ausdruck gebracht ist das in dem Wort Hell Joseon, was so viel bedeutet wie Hölle Korea. Die koreanische Gesellschaft sei nicht mehr nachhaltig.
Erwartungsdruck der Eltern
Eine wichtige Rolle spielen auch die Eltern. Sie haben die Republik Korea nach dem Krieg in rasender Geschwindigkeit aufgebaut und ihr zum heutigen Wohlstand und Ansehen verholfen. Nun sind langsam die Kinder dran. "Die meisten koreanischen Eltern investieren sehr viel Geld in die Ausbildung ihrer Kinder, und dafür erwarten sie auch etwas im Gegenzug", sagt Min Gyus zwei Jahre älterer Bruder Min Ki - und meint nicht nur einen tollen Job, sondern auch Heirat und Enkelkinder.
Doch heiraten kostet in Südkorea ein Vermögen: "Das ist ein ganzes Paket." Min Ki möchte zwar vielleicht später Kinder haben, aber lieber ohne Trauschein mit seiner Freundin zusammenleben.
Wettbewerb versus Individualisierung
Shin Jinwook ist Soziologe an der Jungang Universität von Seoul. Er hat viel zur jungen Generation geforscht. Sein Büro ist vollgestopft mit Büchern, in einer Ecke steht ein Hometrainer. Außerhalb der Arbeit habe er so wenig Zeit zum Trainieren, sagt er lachend. Er nimmt sich sogar am Feiertag Zeit für ein Interview.
Die größten Herausforderungen für die Generation Z in Korea seien zwei Dinge: Wettbewerb versus Individualisierung. Der wirtschaftliche Aufstieg seines Landes sei rasant gewesen, man habe sich an ein gutes Leben gewöhnt: "Aber inzwischen hat sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt, und das heißt, es gibt weniger gute Jobs, und die junge Generation muss von Klein auf um diese Jobs kämpfen." 40 Prozent der jungen Generation arbeite in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen, stehe ständig unter Druck.
Jinwook verweist auf den deutschen Soziologen Ulrich Beck. Der hatte von der Individualisierung in Industriegesellschaften gesprochen, auch in Ländern wie Südkorea. "Individualismus ist die Überzeugung, dass individuelle Werte, Wahlmöglichkeiten und Entscheidungen Vorrang vor den Interessen der Gruppe haben."
Medien und Werbung vermitteln falsches Bild
Doch noch sei die Mehrheitsgesellschaft nicht so weit, die anderen Wege der jungen Generation zu akzeptieren, und auch die Generation selbst hadere mit sich. Dafür macht der Soziologe auch die Medien und die Werbung verantwortlich. Sie vermittelten den Eindruck, alle anderen seien besser als man selbst. Doch obwohl nur eine ganz kleine Gruppe dieser jungen Generation erfolgreich sei, habe sie den Eindruck, versagt zu haben.
Der Generation diese Ängste zu nehmen, sei der Politik bisher nicht gelungen, sie tue nichts für sie, kritisiert Jinwook. Das könne man auch an den anhaltend hohen Suizidraten der jungen Generation ablesen, die weltweit zu den höchsten gehören.
"Wir können ein multikulturelles Land werden"
Min Gyu hat zum Glück seinen Weg bereits gefunden. Er wird jetzt an der TU München seinen Master machen. Dann will er mit frischen Ideen für mehr Umweltfreundlichkeit in seine Heimat zurückkehren.
Langfristig helfen - da ist er sich mit seinem Bruder einig - wird Korea nur eines: mehr Migration. "Wir können ein diverses, multikulturelles Land werden."