Deutschland und Indien Licht und Schatten einer Partnerschaft
Nur wenige Länder erfahren in der deutschen Wirtschafts- und Außenpolitik aktuell so viel Aufmerksamkeit wie Indien. Die Beziehungen sind von zentraler Bedeutung für Berlin - aber nicht ohne Probleme.
In letzter Zeit geben sich die deutschen Minister in Indien die Klinke in die Hand. Wirtschaftsminister Robert Habeck ist gerade von seiner dreitägigen Indienreise zurückgekehrt. Wenige Tage vor ihm war Arbeitsminister Hubertus Heil dort. "Der Fokus hat sich deutlich zugunsten von Indien verschoben", sagt Habeck. Die letzte Reise eines deutschen Wirtschaftsministers nach Indien ist elf Jahre her.
Auch Außenministerin Annalena Baerbock, Finanzminister Christian Lindner, Entwicklungsministerin Svenja Schulze und Verteidigungsminister Boris Pistorius haben Indien in den letzten Monaten besucht - genauso wie Bundeskanzler Olaf Scholz. Kaum ein anderes Land erfährt aktuell so viel Aufmerksamkeit wie Indien.
Deutschland braucht Indien
Innerhalb kürzester Zeit ist das wenig beachtete Entwicklungsland zu einem begehrten Partner in der ganzen Welt geworden. Aus deutscher Sicht spielt Indien eine zentrale Rolle, um sich von der wirtschaftlichen Abhängigkeit von China zu lösen. Indien ist als bevölkerungsreichstes Land der Welt zudem ein attraktiver Markt für deutsche Unternehmen und soll dem deutschen Arbeitsmarkt Fachkräfte liefern. Die indische IT-Branche beispielsweise verfügt über hochqualifizierte Softwareentwickler, die in Deutschland die Digitalisierung voranbringen könnten.
Indien ist außerdem ein potenzieller Lieferant für grünen Wasserstoff. Energiepartnerschaften sollen dabei helfen, eine entsprechende Industrie aufzubauen - mit Solarparks und Elektrolyseuren zur Produktion des Wasserstoffs. Doch der Weg dort hin ist noch weit. Bis jetzt verfügt Indien nicht über die entsprechende Technik.
Klimaziele sind ein Problem
Problematisch sind in diesem Zusammenhang auch die indischen Klimaziele. Das Land will erst 2070 klimaneutral sein und stört sich an den strengen Vorgaben der EU bei der Definition von grünem Wasserstoff. Zwar investiert Indien massiv in den Ausbau erneuerbarer Energien. Auf der anderen Seite werden aber auch zahlreiche neue Kohlekraftwerke gebaut, um den enormen Energiehunger im eigenen Land zu stillen.
Aus deutscher Sicht ist es trotzdem sinnvoll, grünen Wasserstoff aus Indien zu beziehen. Dadurch sollen mehr Investitionen in erneuerbare Energien fließen. Die Hoffnung ist, dass dann auch die indischen Klimaziele schneller erreicht werden. Der Export soll den Stein ins Rollen bringen.
Indien strotzt vor Selbstbewusstsein
Doch nicht nur Deutschland buhlt um die Aufmerksamkeit Indiens, auch die USA, Kanada, Japan und Australien werben massiv um Handelspartnerschaften. Auch mit der Europäischen Union laufen gerade intensive Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen. Das ist zuvor jahrelang liegen geblieben, weil sich Europa in seinen wirtschaftlichen Beziehungen vor allem auf China konzentriert hat.
Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und den politisch schwierigen Beziehungen zu China hat Indien nun weltweit an Bedeutung gewonnen. Das weiß die indische Regierung. Entsprechend groß ist ihr Selbstbewusstsein in den Verhandlungen um neue Abkommen.
Keine Rückschritte bei Klimastandards
Ursprünglich sollte bis Ende des Jahres ein Freihandelsabkommen mit der EU stehen. Der Zeitplan ist aber voraussichtlich nicht mehr zu halten. Indien kann sich seine Partner im Moment aussuchen und versucht in den Verhandlungen, das meiste für sich rauszuholen. Klima- und Umweltstandards sind ein Streitthema.
Bei seinem Besuch in Indien macht Wirtschaftsminister Habeck allerdings klar, dass für ihn Abstriche beim Klimaschutz nicht infrage kommen. "Die Märkte werden sich nur öffnen für grüne Produkte", sagt er im Zusammenhang der Gespräche mit der indischen Regierung.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Tilman Kuban ist da anderer Meinung. Auch er hat an dem Treffen mit dem indischen Handelsminister teilgenommen. Kuban plädiert dafür, das Handelsabkommen nicht zu überfrachten. Umwelt- und Arbeitsschutzstandards könnten durch andere Vereinbarungen getroffen werden.
Starke Beziehungen zu Russland
Viel Kritik gibt es an den indischen Beziehungen zu Russland. Indien hat den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bis jetzt nicht verurteilt und beteiligt sich auch nicht an den internationalen Sanktionen. Traditionell ist Russland ein wichtiger Handelspartner für Indien.
Seit Kriegsbeginn hat sich der Handel zwischen den beiden Ländern sogar noch ausgeweitet. Indien profitiert von günstigen Energielieferungen aus Russland. Auch gibt es Berichte, dass Indien russisches Rohöl in andere Länder weiterverkauft. Das wäre ein Verstoß gegen bestehende Sanktionen.
Gleichzeitig ist Indien militärisch von Russland abhängig. Die Ausstattung der indischen Armee stammt fast ausschließlich aus Russland. Zwar liefern inzwischen auch andere Länder Rüstungsgüter nach Indien. Für den Bestand ist das Land aber weiter auf Ersatzteile aus Russland angewiesen. Aus Sicht Indiens ist ein Bruch in den Beziehungen zu Russland schwer vorstellbar - auch weil sich Indien seit langem in einem Konflikt mit seinen beiden Nachbarn Pakistan und China befindet, der sich zu einer militärischen Auseinandersetzung entwickeln könnte.
Politisch schwierige Gespräche
Politisch sind die Gespräche mit Indien daher keineswegs einfach. Indien befindet sich in einer starken Position, bietet gleichzeitig einen großen Markt für die deutsche Wirtschaft und ist wichtig für die Diversifizierung der Handelsbeziehungen. Auf der anderen Seite stehen die Beziehungen zu Russland und die schlechten Standards bei Klima-, Umwelt- und Arbeitsschutz. Es ist somit ein Spagat, den die deutsche Politik eingehen muss, wenn sie ihre Beziehungen zu Indien ausbaut.
Der CDU-Politiker Kuban plädiert dafür, "weniger moralischen Zeigefinger" gegenüber Indien zu zeigen. Wirtschaftsminister Habeck argumentiert dagegen, dass sich die politischen Bemühungen lohnen. Indien bewege sich von Russland weg. "Wenn man genauer hinguckt, sieht man, dass sich Indien zum Westen und nach Europa hin öffnet", sagt der Grünen-Politiker.