Trotz Aufschwungs in Irland Wohnungskrise auf der grünen Insel
Eigentlich geht es Irland gut, die Wirtschaft ist seit Jahren im Aufschwung. Gleichzeitig finden immer weniger Menschen bezahlbaren Wohnraum. Besonders die Mittelschicht ist betroffen.
Andrew und Chrissy leben heute zusammen mit ihren zwei Kindern in Cabra, einem familiären und ruhigen Stadtteil im Norden der irischen Hauptstadt Dublin. Beide sind Anfang 30, haben eine gute Ausbildung abgeschlossen und waren die letzten Jahre immer voll berufstätig: Andrew als Fracht-Koordinator und Chrissy als Marketing- und Community-Managerin. Lange Zeit lebte das junge Paar zur Miete, bis sie 2017 ihrem Wunsch nach einem eigenen Haus gefolgt sind.
Schnell mussten die beiden feststellen, dass es trotz ihres doppelten Einkommens schwer werden würde, genug Eigenkapital für einen Hauskredit anzusparen. Um sich das nötige Geld zur Seite legen zu können, kündigten Andrew und Chrissy ihre Mietwohnung und zogen zu Chrissys Onkel, um die Miete zu sparen.
"Millennials" trifft es am härtesten
Andrew und Chrissy sind kein Einzelfall. Immer mehr, vor allem junge Iren, leiden unter den rasant steigenden Mieten. Allein im vergangenen Jahr stiegen die Neumieten in Irland um 8,9 Prozent. In der Hauptstadt Dublin liegt die durchschnittliche Neumiete mittlerweile bei über 2.100 Euro. Angesichts dieser Zahlen können sich rund zwei Drittel aller Iren unter 30 keine Mietwohnung leisten.
Besonders stark betroffen sind Studenten. Sami Chakhouk, Absolvent vom University College Cork, hatte am Anfang des Semesters 20 bis 30 Besichtigungen, bis er endlich etwas gefunden hat. "Ich habe erst in allerletzter Minute, am Tag des Semesterstarts, ein WG-Zimmer gefunden. Es war nicht unüblich, dass ich zur Besichtigung aufgetaucht bin, und 40 bis 50 andere Studenten waren schon da, das Zimmer in wenigen Stunden vergeben."
Nicht nur Studenten haben Schwierigkeiten; auch junge Berufstätige müssen oft alternative Wege finden. Viele leben noch bei ihren Eltern, wohnen bei Freunden oder versuchen es mit "Couchsurfing". Einige riskieren sogar Obdachlosigkeit. Auf Nachfrage bestätigt Wayne Stanley, Executive Director der Simon Communities, einer Stiftung gegen Obdachlosigkeit: "Wir erleben ein besorgniserregendes Phänomen, dass auch immer mehr gut bezahlte Arbeitskräfte Unterstützung suchen. Es handelt sich immer noch um eine kleine Zahl, aber sie wächst."
Der lange Schatten der Finanzkrise
Experten führen die immer weiter steigenden Mieten und Immobilienpreise auf den starken Bevölkerungszuwachs des Landes in den vergangenen Jahren zurück. Eine im EU-Vergleich hohe Geburtenrate sowie ein großer Zuzug an Arbeitskräften und Studenten haben zu einer sehr starken Wohnungsnachfrage geführt. Cian Carolan, Managing Director des Kreditgebers DNG Financial Services, sagt: "Das Problem ist der große Mangel an ausreichenden Wohnungen. Dieser Mangel ist auch auf die Finanzkrise 2007/2008 zurückzuführen".
Ähnlich wie im Vereinigten Königreich ist Irland ein Land der Immobilieneigentümer. Die Eigentumsquote liegt mit 70 Prozent deutlich über den 47 Prozent in Deutschland. Schon in jungem Alter eine eigene Immobilie zu erwerben, ist tief kulturell verankert und ein essenzieller Bestandteil der Altersvorsorge. Auch deshalb erlebte Irland bis 2008, ähnlich wie in Spanien, einen Immobilienboom.
Mit dem Zusammenbruch des Finanz- und Immobilienmarkts während der Finanzkrise 2007/2008 wurde Irland besonders hart getroffen. Carolan beschreibt, dass "Banken und Kreditgeber, aber auch Privatpersonen schlicht nicht das Geld hatten, um in großem Stil Wohnungen zu bauen. Zusätzlich herrschte eine große Zurückhaltung in der Politik". Es kam zu einem mehrjährigen Stillstand im Wohnungsbau, von dem sich das Land bis heute nicht erholt hat.
Ein mühsamer Aufschwung
Nach einer Phase der Stagnation wird erst seit einigen Jahren wieder verstärkt neu gebaut. Mit wachsender Wirtschaft ist das Geld da, und für Bauunternehmen ist es einfacher, an die finanziellen Mittel zu kommen. Auch die Politik, die Jahrzehnte den Wohnungsbau dem privaten Sektor überlassen hat, verstärkte ihre Bemühungen und hat Wohnungsziele vorgegeben. Zwischen 2021 und 2030 sollen jährlich 33.000 neue Wohnungen gebaut werden.
Wayne Stanley begrüßt die Bemühungen der Regierung, hält die Ziele jedoch für nicht ausreichend ambitioniert. Stanley ruft die Politik dazu auf, vor allem im sozialen und gemeinnützigen Wohnungsbau mehr zu tun. "Nur ein ausreichendes Angebot von sicherem und vor allem bezahlbarem Wohnraum kann mittelfristig die Wohnungskrise bekämpfen."
Über ein Jahr lang mussten Andrew und Chrissy bei Chrissys Onkel wohnen, bis sie sich endlich ihren Traum vom eigenen Haus verwirklichen konnten. "Und wir hatten sehr viel Glück. Wir kennen Leute, die schon mehrere Jahre suchen und nichts finden. Manche haben auch schon aufgegeben." Um jungen Menschen wie ihnen bei der Wohnungssuche und dem Hauskauf zu helfen, haben sie die Initiative und Facebook-Gruppe "First Time Buyers Ireland" gegründet. Die Gruppe hat mittlerweile über 15.000 Mitglieder und unterstützt Wohnungssuchende auf ihrem Weg zur ersten Immobilie.