Wirtschaftskrise in Kuba Insel der Traurigkeit
In Kuba fehlt es an Essen, Benzin - und der Hoffnung, dass sich die Situation bald verbessert. Ein Jahr nach den historischen Protesten verlassen Zehntausende das Land.
Den Kühlschrank in ihrem AirBnB zu füllen, wird für Yordy Gonzalez zur Tagesbeschäftigung. Ihren Gästen will sie wenigstens Cola und Wasser anbieten. Aber Wasserflaschen zu kaufen, sei ein fast unmögliches Unterfangen. "Du musst echt weit laufen und suchen. Wasser gibt es fast nirgends." Ähnlich sieht es beim Frühstück aus. Obst bekommt sie zwar auf dem Markt, Eier seien dagegen überteuert - und Milchpulver gibt es nur für Kinder.
Yordy Gonzalez ist in Kuba aufgewachsen, sie hat die Wirtschaftskrise der 1990er-Jahre erlebt, als die verbündete Sowjetunion zusammenbrach - "Sonderperiode" wird diese Zeit in Kuba beschönigend genannt, denn große Teile der Bevölkerung litten Hunger. Doch jetzt sei es anders als damals, sagt Gonzalez: "Es ist eine Traurigkeit in Kuba spürbar. Man atmet Traurigkeit. Im Land gibt es eine Müdigkeit und Genervtheit."
Anstehen gehört zum Alltag
Schlange stehen ist für Kubanerinnen und Kubaner Alltag geworden. Manche stellen Familienmitglieder dafür ab, um wahlweise Hühnchen, Brot oder Zigaretten zu ergattern. Auf den Märkten gibt es zwar Gemüse und Obst, doch nach der Abschaffung der Zweitwährung "CUC" verlor der kubanische Peso dramatisch an Wert. "Die Menschen können Lebensmittel kaum noch bezahlen", rechnet der kubanische Ökonom Omar Everleny vor. Das durchschnittliche Gehalt habe im vergangenen Jahr 3528 Pesos betragen. Doch ein Kilo Milchpulver koste bereits 1000 Pesos, ein Pfund Schwein 300 Pesos.
Zudem ist Diesel besonders knapp, weil die Regierung offenbar Kraftstoff abzweigt, um Strom zu produzieren. Mehrere Kraftwerke sind marode oder ausgefallen. Nachts wird in den Provinzen oft der Strom abgedreht, um die Infrastruktur zu schonen - und das in der Sommerhitze. Ohne Kühlschrank und Ventilator bei 30 Grad, das zehrt an den Nerven. "Die Menschen schlafen schlecht, sie ernähren sich schlecht. Es muss etwas geschehen", sagt Everleny.
Auch der Tourismus schwächelt
Nur was? Der Tourismus, einer der wichtigsten Devisenbringer für Kuba, erholt sich erst langsam vom Corona-Einbruch. Doch durch den Ukraine-Krieg reisen jetzt weniger russische Gäste an. Kuba sei noch weit entfernt von den gut vier Millionen Touristen, die 2018 und 2019 gekommen seien, so Everleny. Der Ökonom fordert seit langem mehr Flexibilität für die Wirtschaft. Es habe zwar Erleichterungen gegeben, aber die seien zu zögerlich und zu langsam.
"Es wäre auch wichtig, die ideologischen Fragen etwas beiseite zu lassen", sagt Everleny. "Wenn ein Unternehmen aus den Vereinigten Staaten investieren will, dann muss Kuba das Kapital aggressiver anwerben." Investitionen aus dem Ausland, so Everleny, seien die einzige Chance für Kuba, aus der Krise zu kommen. Allerdings hat der aktuelle US-Präsident Biden bisher wenig für eine Annäherung getan und die harten Sanktionen bisher kaum entschärft.
Immer mehr leisten Widerstand
Der Druck steigt: An einigen Orten regt sich Widerstand. Auf Facebook kursieren Videos, in denen Menschen auf Kochtöpfe schlagen, um ihrem Ärger Luft zu machen. Präsident Miguel Diaz-Canel bat deshalb vergangene Woche öffentlich um Geduld und Zusammenhalt. Er gibt vor allem der US-Wirtschaftsblockade die Schuld an den Engpässen - und er warnt davor, die Situation auszunutzen, um "die Revolution anzugreifen". Eine Anspielung wohl auf die massiven Proteste des vergangenen Jahres.
Damals gingen landesweit Tausende auf die Straße, um gegen den Mangel, aber auch für mehr politische und wirtschaftliche Freiheit zu demonstrieren. Inzwischen sitzen etwa 400 Menschen im Gefängnis, einige mit Haftstrafen von bis zu 25 Jahren, unter anderem wegen Unruhestiftung, Beamtenbeleidung, Körperverletzung oder Vandalismus. Die Hoffnung vieler Kubaner auf mehr Öffnung hat sich bisher nicht erfüllt. Die harten Gerichtsurteile gegen Demonstranten sollen abschrecken, kritisieren Menschenrechtler. Kubas Behörden sprechen hingegen von juristisch korrekten Urteilen.
Politischer Druck befördert den Exodus
Doch in den vergangenen Monaten haben Zehntausende das Land verlassen. Kubas Direktion für Migration bezeichnet das als normalen Migrationsfluss und "natürliches Phänomen", da Kuba nun mal eine Insel sei. Ökonom Everleny sieht in der dramatischen Abwanderung dagegen ein neues Problem auf Kuba zukommen. Denn vor allem junge Menschen sehen offenbar keine Perspektive in Kuba. "Woher soll in fünf oder zehn Jahren die Arbeitskräfte kommen, um die alternde Bevölkerung zu finanzieren? Kuba droht ein ernstes demografisches Problem."
Ein Gutes hat die Abwanderung aber. Die meisten Kubanerinnen und Kubaner überweisen irgendwann Dollar oder Euro zurück an ihre Familien auf der Karibikinsel. Schätzungsweise 50 bis 60 Prozent profitieren in irgendeiner Form von diesen so genannten "remesas”. So könnte sich Kuba noch eine ganze Weile über Wasser halten.