Lithiumabbau in Argentinien Die Schattenseiten der Verkehrswende
Argentinien ist einer der Hauptproduzenten von Lithium - ein Metall, das auch Deutschland zum Bau von E-Autos braucht. Doch gegen den Abbau regt sich Protest im Land. Denn die vor allem ausländischen Gewinne gehen auf Kosten der Natur.
Die Proteste begannen friedlich. Hunderte Menschen waren gekommen. "Ein vereintes Volk wird niemals besiegt", riefen sie. Vereint im Kampf gegen den Ausbau der Lithiumförderung in ihrer Region, gegen drohende Umweltzerstörung und die Ausbeutung ihrer natürlichen Ressourcen.
Dann wurden die Proteste gewaltsam. Steine und Knüppel flogen, Straßen wurden blockiert, Fahrzeuge gingen in Flammen auf. Die Polizei setzte Tränengas und Schlagstöcke ein. Bei der heftigen Straßenschlacht wurden 70 Menschen verletzt und Dutzende festgenommen. "Wir verteidigen unser Land", sagte eine verzweifelte Frau. "Wir wollen keine Sklaven sein. Wir haben schon viele Jahre gelitten."
Gouverneur will Demonstrationsrecht einschränken
Die Proteste in der nordargentinischen Provinz Jujuy richten sich gegen die Regionalregierung. Diese will die Provinzverfassung ändern. Unter anderem soll das Recht auf Demonstration eingeschränkt werden. Es sei verboten, Straßen zu blockieren und es sei verboten, in öffentliche Gebäude einzudringen, rechtfertigt Gouverneur Gerardo Morales das harte Vorgehen. "Wir halten uns an Gesetz und Verfassung. Es darf nicht sein, dass sie im Namen des Demonstrationsrechts acht Autos anzünden und die Gesetze brechen", so Morales.
Die Einschränkung des Demonstrationsrechts, so fürchten Umweltaktivisten und Vertreter indigener Gemeinschaften, soll den Protest gegen den Ausbau der Lithiumförderung in ihrer Region zum Schweigen bringen. Die Provinz Jujuy verfügt über namhafte Vorkommen.
Aktivisten: Lithiumabbau zerstört Natur
In Argentinien dürfen die Provinzen laut Verfassung von 1994 über die Bergbauressourcen verfügen. Ausländische Unternehmen verhandeln mit den jeweiligen Provinzen über die Vergabe von Lizenzen. Hierbei gehe alles mit rechten Dingen zu, beharrt Gouverneur Morales. Es gebe keine Lithiumförderung ohne vorherige gründliche Beratungen und Berichte über die Umweltverträglichkeit, verspricht der Gouverneur.
Umweltaktivisten haben daran erhebliche Zweifel. Das Ökosystem de la Puna - ebenfalls im Norden Argentiniens - sei trotz vieler Versprechen durch den Abbau von Lithium zerstört worden, klagt Clemente Flores. "Sie glauben an grüne Energie. Sie zerstören etwas, um etwas anderes zu bekommen. Es ist ein Geschäftsmodell zu sagen, es ist grüne Energie."
Ausländische Investoren profitieren
Ein Geschäft, das gewaltige Gewinne abwirft, rechnet Ernesto Picco von der Universität Santiago del Estero vor. "Im Jahr 2012 wurde eine Tonne Lithium für 4000 Dollar verkauft. Ende letzten Jahres wurde sie für 78.000 Dollar gehandelt." Doch die Sache in Jujuy wie auch andernorts in Argentinien habe einen Haken.
Der größte Teil der satten Gewinne aus dem Lithiumgeschäft gehe an ausländische Minengesellschaften, sagt Picco: "Gemäß argentinischem Gesetz lassen die Unternehmen nur drei Prozent Lizenzgebühren übrig. Ganze drei Prozent von dem, was umgesetzt wird, geht an die Provinz, der die Ressourcen gehören." Im Nachbarland Chile, erinnert Picco, sei die Situation ganz anders. Dort flössen 40-45 Prozent der Gewinne in öffentliche Kassen.
Grüne Energie auf Kosten der Natur
Der Lithiumabbau verursache vielerorts gigantische Umweltschäden, mahnen deren Gegner. In einer der trockensten Zone der Erde - im Länderdreieck Chile, Bolivien, Argentinien - wird zur Lithiumgewinnung mineralienhaltiges Grundwasser in gewaltige Becken gepumpt. Ist das Wasser verdunstet, kann aus den Rückständen Lithium gewonnen werden. Das Alkalimetall Lithium ist wichtig für die Herstellung leistungsfähiger Batterien für Elektroautos.
Die Verkehrswende in westlichen Ländern vom Verbrenner zum E-Auto hinterlasse eine Schneise der Verwüstung, kritisiert der Umweltanwalt Enrique Viale. "Unsere Natur darf nicht geopfert werden, damit jeder Amerikaner einen Tesla hat und Europäer ihren BMW ersetzen." Das überlaste den Planeten, so Viale. Für all die ehrgeizigen Pläne gebe es schlicht nicht genug Lithium. Viale fordert ein Umdenken. "Unsere Natur darf nicht für die Energiewende des globalen Nordens geopfert werden."
Argentinien will die Lithium-Produktion verzehnfachen
Ein Dilemma für den Norden und für den Süden, meint Anwalt Viale, über das noch zu wenig nachgedacht werde. Vor allem nicht auf politischer Ebene. Während im "Lithium Dreieck" Lateinamerikas Bäche austrocknen, Flüsse verschwinden und vielerorts die karge Vegetation verdorrt, hofft Präsident Alberto Fernandez, Argentiniens Lithium-Produktion bis 2030 zu verzehnfachen.
Nur drei Länder produzieren gegenwärtig mehr Lithium als Argentinien: Australien, Chile und China. In den 38 Minenprojekten Argentiniens schürfen internationale Minengesellschaften, die sich über die ständig wachsende Nachfrage nach dem Alkalimetall und die steigenden Preise dafür freuen.
Die Betroffenen in den Abbauregionen profitieren kurzfristig von einer Verbesserung der Infrastruktur, von neuen Schulen und Straßen. Langfristig droht ihre Heimat aber trocken zu fallen und zu lebensfeindlichen Zonen zu werden.