Folgen eines Energieembargos Frieren für den Frieden?
Die Bundesregierung ist derzeit gegen einen Importstopp von russischem Öl und Gas - auch mit Hinweis auf drohende Folgen. Ökonomen halten einen Verzicht auf russische Energie für schmerzhaft, aber verkraftbar.
Von Michael Houben, WDR
Etwa die Hälfte des in Deutschland verbrauchten Erdgases stammt aus Russland. Der Import von verflüssigtem Erdgas, LNG, soll das künftig ändern. Doch es dauert Jahre, die dafür nötigen Terminals zu bauen. Andere EU-Länder haben sie schon - und auch freie Kapazitäten. Doch es gibt nicht genug Transportschiffe, um den kompletten Ausfall russischer Gaslieferungen auf diesem Weg auszugleichen. Darum drohen spätestens im nächsten Winter Preissteigerungen und - falls der Winter kalt wird - echte Knappheit.
Doch selbst das der deutschen Industrie nahestehende Institut der deutschen Wirtschaft hält einen Verzicht auf russisches Gas für möglich. Hubertus Bardt, dort für Energie zuständig, erklärt: In den ersten Jahren könne es nötig werden, dass besonders energieintensive Unternehmen ihre Produktion drosseln müssten, teilweise auch Konkurrenzfähigkeit verlieren. Aber selbst wenn die derzeit schon hohen Energiepreise noch einmal um 50 Prozent stiegen, rechnet er dadurch mit eher moderaten zwei Prozentpunkten zusätzlicher Inflation.
Das werde hart, aber: "Wir werden höchstwahrscheinlich nicht Einbrüche haben, wie wir sie in der Finanz- oder Corona-Krise hatten", sagt Bardt. Dadurch war das Bruttoinlandsprodukt 2009 um 5,7 Prozent und 2020 um 4,6 Prozent eingebrochen. So etwas würde man durch einen Stopp der Energieimporte aus Russland nicht erleben, so Bardt.
Härtefall Privathaushalte
Alle Experten sind sich einig, dass die Preise noch einmal spürbar steigen würden. Und wer mit Gas heizt, hat kurzfristig keine Alternative. Aber: Wer die Raumtemperatur um ein einziges Grad senkt, spart sechs Prozent Gasverbrauch. Zwei Grad kühlere Wohnungen bedeuten mehr als zehn Prozent Ersparnis. Das kann den Preisanstieg nicht ausgleichen, aber mindern.
Für einkommensschwache Haushalte könnte der Staat Beihilfen zahlen. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft hat durchgerechnet, was ein kompletter Abbruch aller Handelsbeziehungen mit Russland die westlichen Staaten kosten würde. Alexander Sandkamp, einer der Autoren dieser Studie, hält auch die Folgen der dadurch steigenden Energiepreise im Vergleich zu den Kosten der Corona-Krise für moderat.
Einzelne Unternehmen besonders betroffen
Aber natürlich geht es dabei nicht nur um Energie. Einzelne Unternehmen wie VW und Daimler haben Werke in Russland bereits geschlossen und den Verkauf ihrer Produkte dort gestoppt. Das kostet Umsatz. Aber der Verlust an Arbeitsplätzen und Einkommen wiegt für Russland deutlich schwerer.
Der gesamte Handel mit Russland macht laut Kieler Institut für Weltwirtschaft rund fünf Prozent des Außenhandels der EU aus. Umgekehrt sind es für Russland 37 Prozent. Gerade Handelsunternehmen wie Metro, die im Osten stark investiert haben, hätten überproportional große Verluste.
Der deutsche Staat müsste auch hier möglicherweise einspringen. Aber verglichen mit den Beihilfen in der Corona-Krise geht es auch hier um vergleichsweise wenig, so die Experten. Auch bei Rohstoffen wie Kupfer, Aluminium oder Palladium für Katalysatoren gilt: Ein Importstopp wird laut Kölner Institut der deutschen Wirtschaft einzelne massiv treffen, wäre aber gesamtwirtschaftlich verkraftbar.
Eine Frage der Zeit
Einig sind die Experten auch in Bezug auf die Dauer solcher Sanktionen. Die müssten langfristig angelegt sein. Wenn man nach einem halben Jahr wieder zu normalen Beziehungen zurückkehrt, wäre die Lehre für Putin: Die Folgen wären begrenzt, das kann Russland sich leisten, es eventuell auch wiederholen. Aber gerade langfristig wären die Folgen für die westlichen Staaten vergleichsweise gering.
Eine Studie der Kieler Wirtschaftsforscher macht das deutlich: Eine langfristige und komplette Abkopplung von Russland würde laut ihrer Rechnung die russische Wirtschaft jedes Jahr um zehn Prozent schrumpfen lassen. Für die Staaten der NATO wären es nur minimale 0,2 Prozent. Selbst für Deutschland, mit seiner besonders großen Abhängigkeit von russischem Gas, ergäbe sich ein nur um 0,4 Prozent verringertes Bruttoinlandsprodukt. Professor Bardt vom Institut der deutschen Wirtschaft zieht auch auf die Frage nach einem komplettem Stopp der Energieimporte ein klares Fazit: "Wir können es uns leisten, mit ökonomischen Instrumenten auf die Aggression Russland zu antworten. Wir müssen uns das auch leisten, weil wir uns den militärischen Konflikt überhaupt nicht leisten können."
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