Wirecard-Prozess in München Marsalek-Brief sorgt für Wortgefechte vor Gericht
Im Wirecard-Strafprozess in München sorgt der gestern bekannt gewordene Brief des untergetauchten Ex-Vorstands Marsalek für heftige Wortgefechte. In dem Schreiben äußert er sich zu zentralen Punkten der Klage. Doch die Zulassung als Beweismittel ist offen.
Der Brief des untergetauchten ehemaligen Wirecard-Vorstands Jan Marsalek hat für Aufregung gesorgt - nun auch im Münchner Gerichtssaal, wo der Strafprozess um die milliardenschwere Pleite des Zahlungsdienstleisters verhandelt wird. Während die Verteidiger des angeklagten früheren Wirecard-Chefs Markus Braun in der Verhandlung des Landgerichts München eine Verlesung des bisher nicht veröffentlichten Schreibens von Marsalek an die Strafkammer forderten, lehnte der Vorsitzende Richter Markus Födisch dies vorläufig ab. Er sehe kaum Möglichkeiten, den Brief in die Gerichtsverhandlung einzuführen, sagte Födisch ohne nähere Begründung. Darüber entscheiden werde er zu einem späteren Zeitpunkt.
Wortgefechte zur Zulassung des Schreibens
Brauns Anwälte Alfred Dierlamm und Nico Werning protestierten, da Marsaleks Brief wesentliche Angaben zu Brauns Entlastung enthalte. "Wollen Sie das Schreiben in der Schublade verschwinden lassen?", rief Dierlamm. Dem folgten minutenlange heftige Wortgefechte zwischen den Anwälten, dem Richter und Staatsanwältin Inga Lemmers, worauf Födisch die Sitzung unterbrach und mit den übrigen Richtern den Saal verließ.
Mit dem Brief habe sich Marsaleks Anwalt bereits vor einigen Wochen im Namen seines Mandanten an das Gericht gewandt, sagten mehrere mit dem Schreiben vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters. Der Ex-Vorstand erklärt darin offenbar, dass das sogenannte Drittpartnergeschäft existiert habe. Drittpartner waren bei Wirecard Firmen, die angeblich im Auftrag Kreditkartenzahlungen in Ländern abwickelten, in denen der Finanzdienstleister keine Lizenz hatte. Der Ex-Manager Oliver Bellenhaus habe in mehreren Punkten nicht die Wahrheit gesagt, so Marsalek.
Konkrete Eigen- oder Firmennamen - neben denen der Angeklagten - tauchen nach "Bild"-Informationen in dem achtseitigen Schreiben jedoch nicht auf. Auch mögliche Details zu Zahlungsflüssen oder Datensätzen werden laut Prozessbeteiligten nicht genannt. An harten Fakten strotze das Schreiben nicht, erklärte auch Staatsanwältin Lemmers.
Steidl: Übriger Vorstand wusste nichts über Geschäfte
Die mutmaßlichen Betrüger um den Hauptverdächtigen Marsalek agierten offenbar höchst vorsichtig. Die frühere Produktvorständin Susanne Steidl sagte aus, dass die Geschäfte sogar von dem übrigen Vorstand abgeschottet wurden. "Ich habe keine Passwörter gehabt", sagte die 52 Jahre alte österreichische Managerin. In Bezug auf die Drittpartnergeschäfte erklärte die ehemalige Produktvorständin: "Auf den Wirecard-Servern war das nicht. Ich hatte keine Vorstellung, wo das war."
Das Drittpartnergeschäft ist Dreh- und Angelpunkt der Argumentation der Staatsanwaltschaft. Sie hält die milliardenschweren Geschäfte für frei erfunden - und stützt sich unter anderem auf die Aussagen von Ex-Manager Bellenhaus. Auch Insolvenzverwalter Michael Jaffe hat keine Spuren der Transaktionen gefunden und hält es für erwiesen, dass diese Geschäfte erfunden waren. Die fehlenden 1,9 Milliarden Euro aus Drittpartnergeschäften hatten im Sommer 2020 zum Zusammenbruch von Wirecard geführt.
Braun-Verteidiger will Brief als Beweismittel einbringen
Die Verteidiger des früheren Chefs Braun hatten hingegen vergangene Woche aus ihrer Sicht umfangreiche Belege für die Existenz des Geschäfts vorgelegt und Hunderte Beweisanträge gestellt. Das Geld aus den Geschäften habe existiert und sei hinter Brauns Rücken beiseite geschafft worden, argumentieren die Anwälte.
Das Schreiben von Marsalek hat damit für die Verteidigung Gewicht. "Das ist der erste Zeuge, der sich über seinen Anwalt zum Sachverhalt äußert", sagte Braun-Verteidiger Dierlamm. Die Ausführungen stünden "im krassen Gegensatz" zu den Berichten des Insolvenzverwalters, der nach eigenen Angaben bislang keine Beweise für das Drittpartnergeschäft gefunden hat, so Dierlamm.
Anklage wegen bandenmäßigen Betrugs
Braun und die zwei Mitangeklagten stehen unter anderem wegen bandenmäßigen Betrugs vor Gericht. Ihnen drohen lange Haftstrafen. Seit einigen Monaten bereits wird am Landgericht München I in Sachen Wirecard verhandelt. Die Wirecard-Insolvenz ist einer der größten Wirtschaftsskandale der Bundesrepublik. Braun soll zusammen mit der restlichen Wirecard-Chefetage über Jahre Scheingeschäfte in Milliardenhöhe verbucht und so hohe Kredite erschwindelt haben. Er bestreitet die Vorwürfe und macht Marsalek verantwortlich.
Der frühere Wirecard-Vorstand hatte sich im Sommer 2020 ins Ausland abgesetzt, als sich der Kollaps des einstigen DAX-Konzerns abzeichnete. Verschiedenen Medienberichten zufolge soll Marsalek nach Russland geflohen sein. Der Brief liefert zumindest ein Indiz, dass Marsalek den Prozess aus der Ferne verfolgt.
Mit Informationen von Tobias Brunner, br