Brexit-Unsicherheit Britische Wirtschaft schrumpft
Erstmals seit 2012 ist das britische Bruttoinlandsprodukt wieder gesunken. Der Finanzminister versuchte zu beschwichtigen. Doch die Brexit-Rhetorik von Premier Johnson sendet keine ermunternden Signale an die Wirtschaft.
Die Unsicherheit rund um den für Ende Oktober geplanten Brexit macht sich nun in der britischen Wirtschaft bemerkbar: Im zweiten Quartal sank das Bruttoinlandsprodukt (BIP) laut Statistikamt ONS um 0,2 Prozent im Vergleich zum Vorquartal. Es war der erste Rückgang seit Ende 2012. Volkswirte hatten im Schnitt nur mit einer Stagnation gerechnet. Im ersten Quartal war die Wirtschaft noch um 0,5 Prozent gewachsen.
Die nationale Statistikbehörde wies darauf hin, dass es sich um "eine Zeit erhöhter Volatilität rund um das ursprünglich geplante Datum des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union Ende März" gehandelt habe.
Effekt des ursprünglichen Brexit-Datums
Viele Unternehmen hatten Anfang des Jahres Vorräte an Produkten angelegt, um vorzusorgen, falls Großbritannien die EU am 29. März ohne Vereinbarung zu den künftigen Handelsbeziehungen verlassen hätte. Das verhalf dem Königreich im ersten Quartal zu einem Wachstum von 0,5 Prozent. Die Bestände wurden im zweiten Quartal eher abgebaut, was das Wachstum bremste.
Die Produktion im verarbeitenden Gewerbe ging im zweiten Quartal um 2,3 Prozent zurück. Dies war der stärkste Rückgang seit dem Jahr 2009.
Der britische Finanzminister Sajid Javid versuchte, Gelassenheit zu verbreiten. Er verwies auf die aktuell schwierige Lage der gesamten Weltwirtschaft. Viele Länder hätten mit Wachstumsrückgängen zu kämpfen. Zudem sei die Basis der britischen Ökonomie stark, fügte Javid hinzu. Die Löhne stiegen, die Beschäftigung sei auf einem Rekordhoch und die Prognosen sähen ein schnelleres Wachstum als für Deutschland, Italien oder auch Japan.
Wirtschaft auch in Q3 unter Druck
Wirtschaftsexperten sind dagegen skeptischer. "Es gibt kaum Zweifel, dass die Wirtschaft auf der Stelle tritt", sagte PwC-Analyst Mike Jakeman. Wegen des Hickhacks um den EU-Austritt und die globale Konjunkturabkühlung stehe die britische Wirtschaft auch im laufenden dritten Quartal "auf des Messers Schneide".
Mittlerweile ist mit der Wahl von Boris Johnson zum Premierminister die Wahrscheinlichkeit für einen Brexit ohne Abkommen mit der EU am 31. Oktober gestiegen. Die Berenberg Bank sieht nur noch eine 30-prozentige Wahrscheinlichkeit eines geordneten EU-Austritts Ende Oktober. Damit dürften die Unsicherheiten bis ins vierte Quartal weitergehen, sagte ihr Experte Kallum Pickering, in Form eines harten Brexits und sogar von Neuwahlen. Die hohe Unsicherheit dürfte laut Ökonomen vor allem die Investitionen belasten.
Großbritannien wollte ursprünglich zum 29. März aus der Europäischen Union austreten. Allerdings konnte sich das britische Parlament nicht auf einen Ausstiegsvertrag mit der EU einigen. Deshalb wurde der Austritt um gut ein halbes Jahr auf Ende Oktober verschoben.