Nobelpreis in Medizin Auszeichnung für Pioniere der mRNA-Forschung
Sie legten den Grundstein für die Entwicklung der Corona-Impfstoffe: Die Forscher Karikó und Weissman erhalten dafür den Medizin-Nobelpreis. Ihre Entdeckungen zur mRNA-Technologie könnten auch bei anderen Krankheiten helfen.
Während der Corona-Pandemie wurden so schnell wie nie zuvor Impfstoffe entwickelt und zugelassen. Dabei kam eine neue Impfstoffart zum Einsatz, die auf mRNA-Technologie basiert. Den Grundstein für diese Technologie legten Katalin Karikó aus Ungarn und der US-Amerikaner Drew Weissman mit ihrer Forschung zur mRNA.
Sie haben es geschafft, künstliche mRNA so zu verändern, dass sie vom menschlichen Immunsystem nicht zerstört wird und so für medizinische Zwecke nutzbar gemacht werden kann - und werden dafür mit dem Nobelpreis belohnt.
Das Risiko neuer Pandemien sei höher denn je, sagte das Nobelkomitee in seiner Begründung. Die beiden Preisträger hätten mit ihren Entdeckungen einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass die mRNA-Impfungen in so kurzer Zeit entwickelt werden konnten. "Mir wird es erst ganz langsam klar", sagt Karikó nach der Verkündung im Interview mit tagesschau24. "Ich war einfach überwältigt. Und natürlich bin ich sehr, sehr glücklich".
Bahnbrechende Erkenntnisse
Die messenger ribonucleic acid - kurz mRNA oder auch Boten-RNA - kommt in jeder unserer Körperzellen vor. Sie setzt sich aus einer Reihe von vier verschiedenen Bausteinen, den sogenannten Basen, zusammen und speichert Informationen über den Aufbau der Proteine, die in der Zelle benötigt werden. Erkennt unser Körper jedoch mRNA, die nicht seine eigene ist, kommt es zu einer Abwehrreaktion des Immunsystems.
An diesem Problem forschten die Biochemikerin Karikó und der Immunologe Weissman gemeinsam an der University of Pennsylvania in Philadelphia. Ihr Ziel war es, mRNA für Impfstoffe und Medikamente verwenden zu können. Sie entdeckten, dass künstlich hergestellte mRNA, bei der eine der vier Basen leicht verändert ist, der Immunerkennung entgeht.
Technologie für Impfstoff-Entwicklung
Dank dieser Entdeckung ist es möglich, unseren Körperzellen Vorlagen für bestimmte Proteine in Form von mRNA zu geben. Und das kam auch bei der Entwicklung von mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19 zum Einsatz: Anstatt mit abgeschwächten Erregern oder fertigen Proteinen zu impfen - wie bei den meisten herkömmlichen Impfstoffen - liefern sie dem Körper lediglich die Bauanleitung für ein Protein des Coronavirus. So stellt der Körper den Impfstoff quasi selbst her. Die Entwicklung neuer Impfstoffe ist dadurch deutlich einfacher.
Allein in Deutschland wurden bislang über 180 Millionen Impfdosen der mRNA-basierten Corona-Impfstoffe von BioNTech/Pfizer oder Moderna verimpft. Die Arbeit des Immunologen Weissman und der Biochemikerin Karikó hätten weltweit Millionen Leben gerettet, betonte das Nobelkomitee.
Viele Rückschläge
Wie Thomas Perlmann, Generalsekretär des Nobelkomitees in Stockholm erzählt, habe sich Karikó besonders angesichts der vielen Rückschläge in der Vergangenheit über die Auszeichnung gefreut. Denn ihre Forschungen zur mRNA fanden in der Wissenschaft lange Zeit nur wenig Wertschätzung. Karikós Labor in Ungarn erhielt keine ausreichenden Forschungsgelder, weshalb Karikó 1985 mit ihrer Familie in die USA auswanderte.
In Pennsylvania lernte sie zwölf Jahre später Weissman kennen, der damals an einer Impfung gegen HIV arbeitete. Die beiden fingen an, gemeinsam an der mRNA zu forschen. "Es gab über hundert mögliche Modifikationen und wir dachten, dass da vielleicht eine dabei ist, die keine Immunantwort auslöst und trotzdem viel Protein herstellt", beschreibt Karikó ihre und Weissmans Vision. "Und wir haben sie gefunden".
Doch Mitte der 2000er-Jahre stand vor allem die DNA-Forschung im Fokus der Wissenschaft, der mRNA wurde kaum Aufmerksamkeit zuteil. Karikó blieb dem Forschungsfeld dennoch treu und arbeitet seit über vierzig Jahren auf dem Gebiet.
Pandemie rückt mRNA ins Rampenlicht
Die Forscherin ist sich sicher, dass mRNA-Impfstoffe auch ohne die Pandemie entwickelt worden wären, wie sie im tagesschau24-Interview erzählt. Durch die Ausbreitung des Coronavirus sei jedoch plötzlich mehr Bedarf da gewesen und das habe den Prozess enorm beschleunigt.
Die mRNA-Technologie könnte zukünftig noch für andere Erkrankungen als Corona zum Einsatz kommen. Große Hoffnung steckt man zum Beispiel in die Entwicklung neuer mRNA-basierter Grippe-Impfstoffe. Auch Impfstoffe gegen Tropenkrankheiten wie das Zikavirus könnten möglicherweise zeitnah entwickelt werden. Aber nicht nur im Infektionsschutz wird die mRNA eine Rolle spielen. Auf Basis von mRNA könnten ganz individuelle Krebstherapien entwickelt werden, mit deren Hilfe das Immunsystem Antikörper produziert, die Krebszellen gezielt bekämpfen.
Eine Impfung gegen Krebs herzustellen ist allerdings deutlich komplexer als eine Impfung gegen Viren. Denn jede Tumorart ist anders und selbst innerhalb derselben Erkrankung zeigen Krebszellen große Unterschiede.
Auch gegen seltene Krankheiten
Die mRNA-Technologie sei auch wichtig für seltene Erkrankungen, bei denen bestimmte Enzyme fehlen, sagt Marylyn Addo, Direktorin des Instituts für Infektionsforschung und Impfstoffentwicklung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), in einem Interview mit tagesschau24. Rund 10.000 verschiedene "seltene Erkrankungen" wurden bislang identifiziert. Der Großteil ist auf kleine Veränderungen im Erbgut zurückzuführen.
Die bekanntesten seltenen Krankheiten sind die Mukoviszidose und die Duchenne-Muskeldystrophie. Bei diesen Erkrankungen fehlen einige Proteine oder sind defekt. Die mRNA-Technologie könnte dabei helfen, dem Körper Vorlagen für die betroffenen Proteine zu liefern und diese bisher als unheilbar geltenden Erkrankungen zu therapieren.
Forscherin Karikó hofft, dass ihre Auszeichnung mehr Frauen und junge Menschen inspirieren wird. Sie ist erst die dreizehnte Frau, die den Medizin-Nobelpreis erhält - von insgesamt 227 Ausgezeichneten. Der Preis wird den Forschenden traditionell am 10. Dezember, dem Todestag von Alfred Nobel, in Stockholm verliehen. Die Auszeichnung ist mit rund 950.000 Euro dotiert.