Eine Frau sitzt auf einem Bett und blickt aus dem Fenster.

Neuer Diagnose-Fragebogen Wochenbettdepression besser erkennen

Stand: 23.11.2024 11:11 Uhr

Etwa jede zehnte Frau leidet vor oder nach der Geburt an einer schweren Depression: der Wochenbettdepression. Oft bleibt diese aber unerkannt. Ein einfacher Fragebogen soll Diagnosen künftig erleichtern.

Von Johannes Roßteuscher und Sylvaine von Liebe, BR

"Ich konnte einfach nicht mehr", sagt Karin Romberg. Sie schildert die Zeit kurz nach der Geburt ihres ersten Sohnes. Wie sie jetzt weiß, litt sie an einer sogenannten postpartalen Depression, auch Kindbett- oder Wochenbettdepression genannt. Die ist gar nicht so selten. Etwa zehn bis 15 Prozent der Mütter leiden meist kurz nach der Geburt, manchmal aber auch schon während der Schwangerschaft an einer, dann peripartalen, Depression.

Wochenbettdepression mehr als "Baby Blues"

Das Tückische an dieser Erkrankung: Sie wird oft nicht oder erst sehr spät erkannt. Das kann fatale Folgen haben. Denn die betroffenen Mütter leiden an einer schweren Depression - nicht zu verwechseln mit dem sogenannten "Baby-Blues". Dieser tritt bei 50 bis 80 Prozent der Mütter nach der Geburt auf und dauert maximal zwei Wochen. Zu den Symptome gehören eine erhöhte psychische Empfindlichkeit, Stimmungsschwankungen, Niedergeschlagenheit und Erschöpfung.

Bei der postpartalen und manchmal auch der peripartalen Depression ist die Niedergeschlagenheit der Mütter jedoch viel ausgeprägter. Oft haben sie Suizidgedanken.

So war es auch bei Karin Romberg. Anfangs, etwa fünf Tage nach der Geburt ihres Sohnes, merkte sie bereits, "dass etwas nicht stimmte". Schwindel, "viel Herzklopfen", waren ihre körperlichen Symptome. Hinzu kamen aber auch Panikattacken und das Gefühl sterben zu müssen, erzählt Romberg. In einer Klinik riet man ihr, es "ein bisschen langsamer anzugehen". "Positiv denken", riet ihre Hebamme. Ein Arzt behandelte sie mit Akupunktur, ein Therapeut führte mit ihr ein Gespräch.

Warum die schwere Depression nicht erkannt wird

Für Susanne Simen, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Oberärztin am Klinikum Nürnberg, ist die Odyssee der Patientinnen bis zur richtigen Diagnose typisch für eine Depression vor oder nach einer Geburt. "Bei Müttern wird oft nicht erkannt, dass sie eine Depression haben, weil sie einfach intensivst funktionieren", erklärt die Ärztin. Sogar die Mütter selbst erkennen ihre Beschwerden nicht als ernstzunehmende Erkrankung. Sie nähmen nur wahr, dass sie wenig für ihr Kind fühlten, dass sie oft genervt seien, sagt Simen.

Neben den körperlichen Symptomen und Panikattacken haben Mütter mit einer postpartalen oder peripartalen Depression oft Schuldgefühle, keine gute Mutter zu sein. Sie sprechen deshalb nicht über ihre negativen Gedanken und Probleme, weil sie sich vor den negativen Konsequenzen fürchten. Das erschwert eine schnelle Diagnose zusätzlich.

Auch Karin Romberg hatte Schuldgefühle und Angst, ihr Kind könnte ihr weggenommen werden. Erst als der Arzt, der sie schon mit Akupunktur behandelt hatte, nach Suizidgedanken fragte und sie das bejahte, wendete sich das Blatt. Die junge Mutter kam in die Klinik und wurde elf Wochen lang in der Psychiatrie behandelt.

Fragebogen soll Diagnose erleichtern

Um jungen Müttern mit einer schweren Depression vor oder nach der Geburt den oft mühsamen Weg zur richtigen Diagnose und anschließender Hilfe künftig zu erleichtern, gibt es derzeit ein Pilotprojekt: das sogenannte UplusE-Screening. Dabei handelt es sich um einen Fragebogen mit zehn Fragen, der die psychische Befindlichkeit der Mütter - und in wenigen Fällen auch die der Väter - prüft. Ihn bekommen Schwangere zwischen der 30. und 34. Schwangerschaftswoche sowie frischgebackene Eltern bis zum ersten Geburtstag ihres Kindes.

Erhältlich ist der Fragebogen in Arztpraxen sowie bei Psychiatern und Psychologen, die an dem Pilotprojekt teilnehmen. Mittlerweile kann er auch digital per App ausgefüllt werden.

Ziele des Pilotprojektes

Ein Ziel des Projekts ist es, Anzeichen einer post- beziehungsweise peripartalen Depression frühzeitig zu erkennen. Ein weiteres ist, den Fragebogen als Kassenleistung zu etablieren. Das könnte sich für die Krankenkassen sogar lohnen. Denn eine post- beziehungsweise peripartale Depression nicht zu behandeln sei fünfmal teurer als das Screening und die Behandlungen, die sich möglicherweise daraus ergeben, sagt Susanne Simen, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Im Klinikum Nürnberg, wo sie arbeitet, haben sie den Fragebogen bereits getestet und festgestellt: Er liefert sehr gute Ergebnisse. In Großbritannien gibt es das Screening bereits seit 37 Jahren.

Eineinhalb Jahre wird das UplusE-Screening noch bundesweit getestet. Karin Romberg, der es längst wieder gut geht und die inzwischen Mütter berät, die Ähnliches durchmachen wie sie vor acht Jahren, hält dieses Testverfahren für überfällig.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtet Bayern 2 am 20. November 2024 ab 09:05 Uhr.