Psilocybin-Pilze

Psychiatrische Krankheiten Wie Psychedelika als Medikamente eingesetzt werden

Stand: 06.10.2024 15:42 Uhr

Illegale Drogen mit Rauschwirkung machen Karriere in der Medizin. Sie kommen zum Einsatz etwa bei schwerer Depression und zeigen überraschend starke Effekte. Manche Forschende sehen einen Paradigmenwechsel.

Von Tilman Hassenstein, NDR

Psychotherapie und Medikamente sind bewährte Behandlungen bei Depressionen. Aber etwa 20 Prozent der Betroffenen gelten als therapieresistent - bei ihnen wirken die verfügbaren Therapien nicht ausreichend. In solchen Fällen könnten Psychedelika helfen, es gibt bereits erfolgversprechende Studien.

Und auch gegen andere psychiatrische Erkrankungen werden Psychedelika erforscht. "Es gibt gute Hinweise auf eine Wirksamkeit bei Abhängigkeitserkrankungen, Zwangsstörungen, Angsterkrankungen und posttraumatischer Belastungsstörung", sagt der Psychiater Gerhard Gründer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Die Substanzen haben grundlegende Effekte auf die Psyche, über einzelne Krankheitsbilder hinaus.

Rituale und Wissenschaft

Die rituelle Anwendung psychedelischer Wirkstoffe aus Pilzen (Psilocybin) und Kakteen (Meskalin) ist seit jeher tief in traditionellen Kulturen verwurzelt. In den 1940er-Jahren begann die Geschichte der psychedelischen Psychotherapie. 1949 brachte der Pharmakonzern Sandoz LSD als Medikament auf den Markt, laut Beipackzettel "zur seelischen Auflockerung bei analytischer Psychotherapie, besonders bei Angst- und Zwangsneurosen".

Bis in die 1960er-Jahre hinein wurden psychedelische Substanzen an Zehntausenden Patientinnen und Patienten erforscht. Doch 1971 verfügte der amerikanische Präsident Richard Nixon den "Krieg gegen die Drogen" (War on Drugs). In der Folge wurden alle Rauschdrogen für illegal erklärt und damit auch Forschungen mit solchen Substanzen weltweit unmöglich. Erst in den vergangenen Jahren ist die Erforschung vor allem von LSD und Psilocybin wieder in Gang gekommen und zeigt zunehmend hoffnungsvolle Ergebnisse.

Ein wissenschaftlicher Durchbruch

Am weitesten fortgeschritten ist die Erforschung von Psilocybin gegen die behandlungsresistente Depression. Einige kleinere Studien hatten eine so gute Wirksamkeit gezeigt, dass die amerikanische Zulassungsbehörde FDA Psilocybin im Jahr 2020 als "Durchbruchstherapie" eingestuft hat, um damit die weitere Forschung daran zu beschleunigen.

Mittlerweile ist am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim und der Berliner Charité die bisher größte europäische Studie zu Psilocybin beendet, aber noch nicht veröffentlicht. 144 Menschen mit schweren Depressionen haben daran teilgenommen. Sie wurden psychotherapeutisch auf die psychedelischen Wirkungen vorbereitet und auch danach begleitet. Diese Studie habe wie bisherige Studien auch eine antidepressive Wirksamkeit bewiesen, so Psychiater Gründer über die vorläufigen Ergebnisse.

Genesung statt Unterdrückung

Das grundlegend neue am psychedelischen Therapieansatz ist, dass nur eine oder wenige Behandlungen notwendig sind, um einen langfristigen Effekt zu erzielen. "Wir führen keine chronische Therapie mehr durch, sondern wir machen eine punktuelle Intervention, die letztendlich eine 'heilende' Wirkung haben soll", sagt Gründer. "Das ist etwas grundsätzlich anderes als das, was wir mit der klassischen antidepressiven Pharmakotherapie machen."

Simon H. hat als Proband an der Studie teilgenommen. "Es war kraftvoll, stellenweise ekstatisch", sagt der 42-Jährige. "Und ich habe dann im Laufe des Trips bemerkt, dass sich Teile in mir selbst, die vorher getrennt voneinander waren, wirklich vereint haben."

Zwei Sitzungen mit Psilocybin hat er gehabt, aber die Wirkungen halten an. Seit der Teilnahme an der Studie vor neun Monaten habe er das erste Mal seit 16 Jahren kein Antidepressivum mehr eingenommen. "Das ist ein unglaublich tolles Gefühl. Es ist so, als hätte ich Siebenmeilenstiefel bekommen und hätte Riesenfortschritte in unglaublich kurzer Zeit gemacht." Wie lange solche Effekte anhalten, ob dauerhaft oder ob eine erneute Behandlung irgendwann notwendig wird, muss sich noch erweisen.

Ketamin - schon im Einsatz gegen Depressionen

Regelmäßig angewendet werden muss Ketamin, ein atypisches Psychedelikum. Eigentlich ist es ein Schmerzmittel, das in der Notfallmedizin zum Einsatz kommt. Ketamin hat einen anderen Wirkmechanismus als Psilocybin, aber verursacht als Nebenwirkung ähnliche Bewusstseinsveränderungen und Halluzinationen.

Seit 2019 ist ein Nasenspray mit dem etwas abgewandelten Wirkstoff Esketamin zugelassen für die Behandlung von schweren Depressionen. Und das verändert die Therapie. "Wir können Patientinnen und Patienten helfen, denen wir bisher nicht helfen konnten", sagt Stefan Borgwardt, Psychiater an der Uniklinik Lübeck. "Jetzt haben sie zum Teil eine Chance, sehr gut durchs Leben zu kommen. Und das ist tatsächlich eine große Veränderung."

Zwei Drittel der Patienten, die sonst als sehr schwer behandelbar gelten, sprechen positiv auf die Behandlung an. Und ein Drittel wird nach derzeitigen Erkenntnissen sogar symptomfrei.

Von der Partydroge zum Medikament

Wie auch Psilocybin und Ketamin kommt MDMA, der Wirkstoff der Partydroge Ecstasy, medizinisch zum Einsatz. Die Psychotherapie von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) ist wirkungsvoller, wenn sie durch die Einnahme von MDMA begleitet wird. Das haben große Phase-3-Studien gezeigt.

Am Ende der jüngsten Studie erfüllten 71 Prozent der Probanden in der MDMA-unterstützten Therapiegruppe die diagnostischen Kriterien für PTBS nicht mehr, gegenüber 48 Prozent der Probanden in der Placebo-Gruppe. Aber es gibt noch keine Erkenntnisse zur langfristigen Wirksamkeit.

Keine Wirkung ohne Nebenwirkungen

Als illegale Drogen haben zumindest LSD und Psilocybin den Ruf gefährlicher Risiken. Aber im kontrollierten medizinischen Setting sind sie gut verträglich. Es kann zu akuten körperlichen Nebenwirkungen wie Bluthochdruck oder Herzrasen kommen. Psychosen, die beim unkontrollierten Gebrauch solcher Drogen ausgelöst werden können, kommen beim medizinischen Gebrauch kaum vor.

Allerdings müssen psychotische Vorerkrankungen und auch Dispositionen vor einer medizinischen Anwendung von Psychedelika ausgeschlossen werden. Abgesehen von der Ketamintherapie wird es noch dauern, bis psychedelisch wirkende Substanzen in der Medizin routinemäßig zum Einsatz kommen. Aber die bisherigen Erkenntnisse lassen erwarten, dass einige psychiatrische Erkrankungen in Zukunft deutlich besser behandelt werden können.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der NDR am 10.09.2024 um 20:15 Uhr in der Sendung Visite.