In einem Operationssaal arbeitet eine Person an einem Bildschirm.

Medizinforschung Wie KI nicht nur bei der Krebsdiagnose hilft

Stand: 04.02.2025 14:28 Uhr

KI revolutioniert die Krebsmedizin - etwa bei der Bildauswertung. Die neue Technologie könnte auch die Früherkennung und die medizinische Versorgung verbessern.

Von Ulrike Till und Emily Burkhart, SWR

Krebs ist nach wie vor die zweithäufigste Todesursache in Deutschland. Jedes Jahr sind hierzulande rund eine halbe Million Menschen mit der Diagnose Krebs konfrontiert. Die Behandlung hat in den letzten zehn Jahren große Fortschritte gemacht - aber steigende Patientenzahlen und immer komplexere Therapiemöglichkeiten stellen Ärztinnen und Ärzte vor große Herausforderungen. Denn Zeit und Geld werden ständig knapper. Kann Künstliche Intelligenz hier helfen?

Mediziner fordern technische Unterstützung

Am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg ist die Zuversicht groß, dass KI beträchtliche Fortschritte in der Krebsmedizin bringen wird - auch bei dem Radiologen und leitenden Oberarzt David Bonekamp. "Wir brauchen Mittel, um aus der Tatsache rauszukommen, dass ich mir heutzutage oft sechs- bis 8.000 Bilder pro Patient und Patientin anschauen muss. Das ist irgendwann gar nicht mehr machbar, ich brauche Unterstützung."

So können KI-Systeme etwa Bilder kleiner Knötchen in der Lunge sammeln und dem Arzt oder der Ärztin präsentieren. Am DKFZ kommt eine solche Software bereits zum Einsatz, wie auch an vielen anderen Praxen und Universitäten.

Gewebeentnahmen könnten reduziert werden

Bonekamp und sein Team haben auch einen Algorithmus entwickelt, der Kernspinaufnahmen von Patienten mit Prostatakrebs auswerten kann. Möglicherweise könnte die KI hier helfen, unnötige Biopsien zu vermeiden. Das müssen aber erst noch weitere Studien zeigen.

Mittelfristig sieht Bonekamp solche KI-Systeme als Partner für Ärztinnen und Ärzte, denn sie können in Sekundenschnelle zeigen, wo Auffälligkeiten auftreten. "Und wir können das überprüfen. Das hilft uns, schneller zu arbeiten, das hilft uns auch, unsere Qualität zu verbessern", so der Arzt.

Aber der Heidelberger Radiologe sieht auch Risiken im Umgang mit KI. Es komme entscheidend auf die Einstellung der menschlichen Nutzer an. "Denn es gibt auch in der Literatur einige Berichte darüber, dass der Einsatz von KI in Zusammenarbeit mit Menschen auch dazu führen kann, dass die Menschen gewisse Probleme damit haben: entweder die KI zu akzeptieren, sodass sie ihr so ein bisschen widerstehen die ganze Zeit. Oder ihr zu stark glauben."

KI-Systeme müssen transparent und nachprüfbar sein

Noch immer funktionieren viele KI-Systeme, die in der Medizin erprobt werden, als Black Box. Das heißt, niemand weiß, wie das Programm zu seinem Ergebnis gekommen ist. Deshalb setzt Titus Brinker, Hautarzt und KI-Experte, auf Programme, die ihre Empfehlungen begründen können. So wie der "Urobot", den Brinkers Team am DKFZ gemeinsam mit Kollegen der Uniklinik Mannheim entwickelt hat. Der Chatbot kennt alle aktuellen Leitlinien der Urologie und hat Fachfragen in einer Studie zu fast 90 Prozent korrekt beantwortet.

Urologen bei der Facharztprüfung schaffen rund 20 Prozent weniger. Weil die Quelle klar ist, sind die Aussagen der KI verlässlich und nachprüfbar, so Brinker. "Es muss in unserem Fall auf Leitlinien fußen. Und es muss auch transparent machen, auf welchen Leitlinien und aus welcher Stelle der Leitlinien, sodass wirklich hundertprozentig sichergestellt werden kann, dass die Information korrekt ist." Brinker empfiehlt daher auch, als Endnutzer nicht einfach blind zu vertrauen, sondern immer wieder zu überprüfen, ob die Aussage der KI mit der Originalquelle übereinstimmt.

KI kann medizinische Versorgung und Früherkennung verbessern

Große Sprachmodelle für medizinische Fachfragen könnten in den nächsten Jahren auch die Versorgung von Menschen fernab von Unikliniken und Hightech-Versorgung verbessern. Auch Kassenpatienten könnten sich so bestmöglich beraten lassen, sagt Hautarzt Brinker. "Die Zwei-Klassen-Medizin ist massiv. Und das ist das Tolle an Sprachmodellen: Sie bauen die Zwei-Klassen-Medizin im Informationsbereich wieder ab. Und das halte ich für eine ganz tolle Errungenschaft. In Kombination mit Erklärbarkeit müssen sie eingesetzt werden, um das System letztlich zu verbessern, zu entlasten, genauer zu machen und Informationen zu demokratisieren."

Auch die Früherkennung von Krebs könnte sich durch Künstliche Intelligenz verbessern. Gerade erst hat eine große deutsche Studie gezeigt, dass beim Mammografie-Screening mit KI 18 Prozent mehr Tumore gefunden wurden als ohne. Dabei kam es nicht häufiger zu Fehlalarmen oder unnötigen Zusatzuntersuchungen.

Risikoadaptierte Vorsorge dank KI

Auch im Vorfeld von Screening-Untersuchungen könnte KI helfen, die richtigen Personen einzuladen. Moritz Gerstung, Leiter der Abteilung KI in der Onkologie am DKFZ, sieht auch hier große Chancen für die Zukunft. "Letztlich ist es so, dass man bei der Früherkennung die Nadel im Heuhaufen finden muss. Typischerweise eine Handvoll Krebserkrankungen pro 1.000 Personen, die eingeladen werden. Und KI kann dabei helfen, diesen Haufen etwas vorzusortieren."

Wann und wie oft eine Frau etwa das Angebot zum Röntgen der Brust bekommt, entscheidet derzeit vor allem das Alter, in manchen Fällen auch noch die familiäre Vorgeschichte. Dieses grobe Raster ließe sich deutlich verfeinern. Auch das Gewicht der Patientin und die Dichte ihres Brustgewebes beeinflussen das Krebsrisiko.

Mit einer KI, die das berücksichtigt, könnte man viel gezielter zum Screening einladen, "mit der Folge, dass wenn diese Kriterien dann entsprechend etabliert sind, Personen mit höherem Risiko früher oder öfter eingeladen werden und Personen mit geringerem Risiko später oder seltener", so Gerstung.

Zulassung von KI in der Medizin braucht Zeit

Noch ist das Zukunftsmusik - und wird es noch eine Weile bleiben. Alle KI-gestützten Anwendungen in der Onkologie müssen erst mal als Medizinprodukte zugelassen werden, betont Gerstung. Dazu braucht es klinische Studien, die im Schnitt mindestens zwei bis fünf Jahre dauern. "Das ist natürlich für die KI, die wirklich extrem schnell voranprescht, unglaublich lange. Aber ich glaube, es ist das, was nötig ist, um die notwendige Sicherheit, die Medizinprodukte haben müssen, dann auch sicherzustellen."

Ulrike Till, SWR, tagesschau, 05.02.2025 06:11 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 04. Februar 2025 um 12:00 Uhr.