Forschung mit Gesundheitsdaten Datenschutz oder Datenschatz?
Mediziner, Politiker und Patienten wollen Gesundheitsdaten stärker für Forschungszwecke nutzen. Doch bei der Umsetzung hapert es - woran liegt das? Auf einem Kongress beraten Experten über Lösungen.
"Daten sind die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts", lautet ein berühmtes Zitat von Angela Merkel. Die großen Tech-Konzerne dürften dem sicherlich zustimmen, genauso KI-Unternehmen, die riesige Mengen an Daten brauchen, um ihre Programme zu trainieren.
"Datenschatz" für Prävention nutzen?
Doch es gibt noch einen anderen Bereich, in dem große Mengen an Daten vorliegen, die genutzt werden könnten: der Gesundheitssektor. Auch hier sprechen Politiker und Mediziner von einem "Datenschatz", der gehoben werden müsse, um Forschung und Therapiemöglichkeiten zu verbessern. Wie das geschehen kann, darüber diskutieren internationale Experten unter anderem mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auf der Data for Health Conference in Berlin.
Den größten Nutzen sieht Roland Eils, Gründungsdirektor des Zentrums für Digitale Gesundheit des Berlin Institute of Health (BIH) an der Charité, in der Prävention. So könne man beispielsweise das individuelle Risiko eines Menschen, Diabetes zu bekommen, besser einschätzen, wenn man seine Gesundheitsdaten mit denen von Tausenden anderen vergleicht. "Dann können wir besser sagen, ob und in welcher Hinsicht derjenige gefährdet ist." Und können präventiv personalisierte Maßnahmen ergreifen.
Schneller und günstiger
Henning Schliephake, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg an der Uni Göttingen und Vizepräsident der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), sieht noch einen weiteren Vorteil: Es spare Kosten und Zeit. "Der große Vorteil dieser Daten ist, wenn sie valide erhoben worden sind, dass sie das darstellen, was in der wirklichen Welt passiert. Und damit könnte man eine ganze Reihe von Analysen durchführen, für die man sonst sehr aufwendige Studien konzipieren müsste." Das helfe am Ende der ganzen Gesellschaft, weil Forscher schneller Erkenntnisse gewinnen und zukünftigen Handlungsbedarf identifizieren können.
Er macht das am Beispiel eines neu zugelassenen Medikaments deutlich: "Wenn etwa ein Blutdrucksenker neu auf den Markt kommt und alle Praxen und Krankenhäuser automatisiert Daten zum Erfolg der Behandlung oder zur Verträglichkeit weiterleiten würden, dann könnte man dieses Präparat viel schneller viel besser einschätzen. Also etwa ob es tatsächlich so gut wirkt wie in den Zulassungsstudien." Zudem ließen sich so sehr seltene Nebenwirkungen schneller entdecken, die in klinischen Studien vielleicht nicht aufgefallen seien.
"Wir stehen ganz weit hinten"
Das Problem: Viele der Daten liegen bereits vor. Nur sind sie oft nicht miteinander vergleichbar und an so vielen verschiedenen Stellen gelagert, mit teilweise unterschiedlichen Nutzungsbestimmungen, dass eine flächendeckende Auswertung oft nicht möglich ist. "Wir haben über 300 verschiedene Register, wo Daten erhoben werden", sagt Schliephake. "Die zu vereinheitlichen und für Forscher leichter zugänglich zu machen, wäre eine dringende Aufgabe."
Doch in dem Bereich hat Deutschland einigen Aufholbedarf - das meint auch Lothar Wieler. Der ehemalige Leiter des Robert Koch-Instituts forscht jetzt am Hasso-Plattner-Institut im sogenannten Digital Health Cluster. Zur Digitalisierung im Gesundheitswesen sagte Wieler nun: "Wir stehen ganz weit hinten, dafür, dass wir ein Land sind, das sehr wohlhabend ist und sehr viele intellektuelle als auch finanzielle und technische Ressourcen hat." Deutschland sei im Bereich digitale Gesundheit nicht innovationsfreundlich. "Das Gesundheitswesen ist extrem reguliert, und in einer hochregulierten Umgebung ist es halt schwer, eine Änderung zu schaffen."
Patienten einbinden
Ist der vergleichsweise strenge Datenschutz ein Problem? Nicht unbedingt, sagen Experten. Denn die zuständigen Behörden haben das Problem und den möglichen Nutzen erkannt: Forschung mit Gesundheitsdaten sei von erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung, erklärte etwa der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit im vergangenen Jahr. In einer Mitteilung heißt es daher, dass "Forschung und Datenschutz miteinander vereinbar sind". In einer Petersberger Erklärung geben die Datenschutzbehörden Empfehlungen, welche Maßnahmen bei der Datennutzung für die Wissenschaft zu beachten sind.
Einer der wichtigsten Punkte ist dabei, die Patienten einzubinden. Das sieht auch Eva Winkler, Onkologin und Vorsitzende der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer, so. "Wir müssen Patienten die Selbstbestimmung einräumen, also dass sie der Verwendung ihrer Daten zustimmen, diese aber auch ablehnen dürfen." Darüber hinaus müsse gewährleistet sein, dass die Daten anonymisiert oder pseudonymisiert werden und dass sie nicht von unbefugten Dritten verwendet werden.
Unter diesen Bedingungen stimmt eine überwältigende Mehrheit der Menschen einer Nutzung ihrer Daten zu Forschungszwecken zu. Eine Studie mit mehr als 800 Krebspatienten ergab, dass mehr als 90 Prozent ihre eigenen Daten zur Verfügung stellen würden. "Interessant ist dabei, wie diese Zustimmung erfolgen sollte", sagt Winkler. "Die meisten Menschen wünschen sich einen sogenannten Broad Consent, also das einmalige Zustimmen zur generellen Verwendung. Die Zustimmung nur zu einzelnen Datenbündeln ist für viele offenbar keine gangbare Lösung."
Unterstützung von Politik
Von Seiten der Politik kommt klare Unterstützung für das Vorhaben. So erklärte die SPD-Gesundheitsexpertin Martina Stamm-Fibich im "Deutschen Ärzteblatt", man müsse den "Datenschatz in der elektronischen Patientenakte" endlich heben. Denn "individuelle Gesundheitsdaten können uns dabei helfen, die Effektivität und Sicherheit von Arzneimitteln besser zu bewerten".
Die FDP pocht vor allem auf die flächendeckende Einführung elektronischen Patientenakte, "mit der sich Ärzte ein schnelles und umfassendes Bild vom Gesundheitszustand des Patienten verschaffen können. (...) Außerdem können die anonymisierten Gesundheitsdaten für Forschungszwecke leichter und schneller übertragen werden", so die Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion, Christine Aschenberg-Dugnus.
Und auch die Union machte erst im April in einer Kleinen Anfrage Druck: "Die Schaffung eines einheitlichen und transparenten Rechtsrahmens ist nach Überzeugung der Fraktion der CDU/CSU von entscheidender Bedeutung, um die in (Forschungs-)Daten liegenden Potenziale zu heben - gerade wenn es darum geht, in Zukunft eine hochwertige medizinische Versorgung sicherzustellen."
Wo ist das Problem?
Mediziner, Patienten und Politik wollen also mehr Daten für die Forschung nutzen - woran hapert es also am Ende? Vielleicht an den Mühen des Alltags: Denn bevor Daten genutzt werden können, müssen sie einheitlich erhoben werden. Das bedeutet, man muss sich auf allgemeingültige Standards einigen, und diese müssen auch in jedem Krankenhaus und in jeder Praxis kommuniziert und angewendet werden.
"Da ist der Föderalismus nicht unbedingt hilfreich, wenn jedes Land die Datenschutzvorgaben anders auslegt", so Onkologin Winkler. Ihr Kollege Eils sieht das ähnlich und wünscht sich mehr Engagement von der Bundespolitik: "Wir brauchen bundesweite Vorgaben zur einheitlichen Erfassung von medizinischen Daten. Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz, das gerade in Arbeit ist, muss forschungsfreundlich gestaltet werden. Sonst verpassen wir eine große Chance."
Vielleicht kann der Data Health Congress in Berlin dazu ja einen Anstoß liefern: Eils und Winkler sind dort - und Minister Lauterbach auch.