Depressionen bei Landwirten Vom Stall in den Burnout
Viel Arbeit, oft finanzielle Sorgen und dazu Kritik aus der Gesellschaft - viele Landwirte stehen unter Druck. Die Folge: Überforderung und Depressionen. Es gibt Hilfsangebote, doch die erreichen nicht alle Betroffenen.
Nach Tierschutzskandalen wie vergangene Woche im oberbayerischen Rimsting, wo 33 Rinder auf einem Hof verendeten, beginnt die Suche nach Ursachen. Denn wie so oft scheinen hinter den schlimmen Zuständen Überforderung und familiäre Probleme zu stecken.
"Vor dem tierischen Leid kommt immer die menschliche Tragödie", bestätigt Heidi Perzl. Sie arbeitet bei der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung, kurz SVLFG, als Beraterin im Telezentrum für seelisch belastete Menschen. An das können sich Landwirte wenden, die nicht mehr weiterwissen. Es gibt außerdem eine Krisenhotline, die 24 Stunden am Tag besetzt ist. Dort melden sich 30 bis 40 Anrufer pro Woche.
Große Scheu, Hilfe zu suchen
Nach Perzls Erfahrung schämen sich aber noch immer viele Betroffene, Hilfe zu suchen. Bei Männern sei die Hemmschwelle noch größer als bei Frauen. Generell hätten viele Menschen aus der Landwirtschaft Angst, dass ihre Probleme im Dorf bekannt werden.
Und so gerieten sie in eine Lage, in der sie das Ausmaß ihrer Probleme und auch des Tierleids am Hof nicht mehr erkennen. Ob das auch in Rimsting der Fall war, steht noch nicht fest. Doch die Beraterin hat sich schon eingeschaltet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Depressionen - ein großes Problem bei Landwirten
Landwirte gehören zu den am häufigsten von Depressionen betroffenen Berufsgruppen. Wie groß das Problem ist, lässt sich aber schwer in Zahlen ausdrücken. Das Nachrichtenportal "agrarheute" hat 2018 eine Umfrage unter mehr als 1300 Landwirtinnen und Landwirten durchgeführt. Ergebnis: Jeder vierte Bauer sei Burnout-gefährdet.
Und die Salzburger Psychologiestudentin Maria Roth kommt in ihrer Masterarbeit 2022 zu dem Schluss, dass in Deutschland 4,5-mal so viele Landwirtinnen und Landwirte von Burnout betroffen sind wie Angehörige der Allgemeinbevölkerung. Mittlerweile sind seelische Erkrankungen die zweithäufigste Ursache für Erwerbsminderungsrenten bei Landwirten.
Ein Ausweg: Hilfe annehmen, Betrieb umstrukturieren
Auch Christoph Rothhaupt aus der Rhön ist in eine Depression geschlittert. Hilfe fand er bei der Ländlichen Familienberatung. Er hatte einen Milchviehbetrieb mit 70 Kühen: Jeden Tag melken, füttern, nachts aufstehen, weil der Melkroboter Alarm schlägt, kein Urlaub, nie Zeit für sich. 2018 hatte er einen Zusammenbruch.
Inzwischen sind die Kühe weg, der Stall ist leer - eine schwierige Entscheidung, wie er dem BR erzählt. Aber für Rothhaupt die richtige. Er holte sich Hilfe bei der Ländlichen Familienberatung, machte eine Therapie. Landwirt ist er nur noch im Nebenerwerb, er baut Bio-Gemüse an - und ist froh, nun auch Zeit für die Familie zu haben.
Kritik der Gesellschaft "gibt vielen den Rest"
Oft kommt es nach solchen Krisen zur kompletten Hof-Aufgabe. Laut Beraterin Perzl von der SVLFG macht vielen Landwirten neben persönlichen Problemen auch die Kritik in sozialen Medien und in der Gesellschaft zu schaffen: Sie fühlten sich nicht wertgeschätzt, im Gegenteil: Sie gelten als Tierquäler und Umweltzerstörer - "das gibt vielen den Rest", so Perzl.
Dass der Druck auf die Landwirte sehr hoch ist, bestätigt Josef Steingraber, Geschäftsführer des Bayerischen Bauernverbands (BBV) Rosenheim. Er sieht im jüngsten Tierschutzskandal in Rimsting Parallelen zu anderen, ähnlich gelagerten Fällen, bei denen Tierhalter aus persönlichen Gründen nicht mehr in der Lage waren, ihren Hof zu führen. Generell seien viele Landwirte in Bedrängnis, das führe zu Ausnahmesituationen.
Vielseitige Hilfsangebote
Die Hilfsangebote für Landwirte seien aber in den letzten Jahren größer geworden. Und Akteure wie die Kirchen, der Bauernverband und die SVLFG wollen sich stärker vernetzen. Das war auch ein Thema auf einem Symposium in Berlin zum Thema "Psychische Gesundheit in der grünen Branche - wen interessiert´s?".
Steingraber vom BBV in Rosenheim verweist unter anderem auf das "Montagstelefon" des Bayerischen Bauernverbands und den bäuerlichen Hilfsdienst, der auch finanzielle Hilfe biete und Betriebshelfer vermitteln könne. Die Helfer könnten dem Bauernverband wiederum melden, wenn sie auf einem Hof den Eindruck gewinnen, dass ähnliche Verhältnisse wie die in Rimsting herrschen - und womöglich sofortiges Einschreiten nötig ist.
Beim Verdacht auf eine Depression und als erste Anlaufstelle für Betroffene bieten die bundesweite Telefonseelsorge (https://www.telefonseelsorge.de) und die Stiftung Deutsche Depressionshilfe (https://www.deutsche-depressionshilfe.de) Unterstützung per E-Mail, Chat und Telefon.
Telefonnummern der Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222
In akuten Krisen, Notfällen und bei Suizidgedanken sollte umgehend eine psychiatrische Klinik oder der Notarzt telefonisch unter der 112 kontaktiert werden. Hier können psychiatrische Kliniken in der Umgebung gesucht werden.
Zusätzlich sollte in jedem Fall das Gespräch mit einem Arzt beziehungsweise mit einem Psychotherapeuten gesucht werden. Die hausärztliche Praxis sowie Online-Plattformen können bei der Suche und Vermittlung helfen.