Hohe Belastung Assistenzärzte arbeiten oft zu lange
Die meisten jungen Ärzte müssen in Kliniken mehr als zehn Stunden täglich arbeiten. Durch Übermüdung entstehen immer mehr Fehlbehandlungen. Jeder Zweite leidet unter Burnout-Symptomen.
Andrea arbeitet als Assistenzärztin in der Berliner Charité. Sie will anonym bleiben, um ihr berufliches Fortkommen nicht zu gefährden. Was sie berichtet, lässt aufhorchen: Teilweise arbeite sie mehr als 24 Stunden durch. Nicht selten erlebe sie, dass sie "nicht auf Toilette gehen kann, weil dauernd Arbeit auf uns einprasselt".
Laut Arbeitsvertrag soll für sie nach 42 Stunden pro Woche Schluss sein. Tatsächlich, so erzählt Andrea, komme sie in manchen Wochen auf mehr als 80 Stunden. Darunter Überstunden, die sie gar nicht aufschreibe. Davon hätten ihr Vorgesetzte mit Blick auf ihr berufliches Fortkommen "abgeraten".
Gesundheit stark belastet
Hinzu kämen noch Bereitschaftsdienste, die nach Andreas Angaben offiziell nicht als reguläre Arbeitszeit gelten. Laut Tarifvertrag dürfte sie in Bereitschaft höchstens die Hälfte der Zeit arbeiten. Ihre Realität ist aber eine andere. Sie habe ausgerechnet, dass sie in solchen Bereitschaftsdiensten zwischen 70 und 90 Prozent der Zeit aktiv sei.
So wie Andrea geht es offenbar vielen Ärzten unter 35 Jahren. Nach einer Studie der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege arbeiten 71 Prozent der Befragten mehr als 48 Stunden pro Woche. Auf mehr als 60 Wochenstunden kommen nach einer Umfrage der Ärztegewerkschaft Marburger Bund 20 Prozent der Ärzte.
Jeder Zweite hat Burnout-Symptome
Dinge, die sie ihren Patienten oft raten - Stress reduzieren, gesund ernähren, auf sich aufpassen - könnten sie selbst oft nicht leisten, berichten betroffene Ärzte. Und das hat Folgen: Nach der zitierten Studie der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege antworteten fast 64 Prozent der Befragten, ihre Gesundheit sei belastet.
Und 56 Prozent, also mehr als jeder Zweite, berichtet von Burnout-Symptomen. Bedeutet, so die Studie, eine "erhebliche Gesundheitsgefährdung unter aktuellen Arbeitsbedingungen."
Viele Ärzte unter Medikamenteneinfluss
Professor Reinhard Strametz vom Institut für Patientensicherheit in Wiesbaden kann das bestätigen. Um diesen Belastungen Stand zu halten, würden viele Ärzte unter Medikamenteneinfluss arbeiten. Das sei schlecht für die Ärztinnen und Ärzte, aber auch "eine Gefährdung der Patientensicherheit".
Tatsächlich ist eine steil ansteigende Fehlerhäufigkeit eine weitere Folge überlanger Arbeitszeit. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat dazu die internationalen Forschungsergebnisse ausgewertet. Danach erhöht sich die Fehlerhäufigkeit schon nach acht Stunden Arbeit am Tag deutlich und verdoppelt sich nach der zwölften.
"Viel zu häufig übersehen wir Diagnosen oder leiten Therapien zu spät ein", berichtet ein Assistenzarzt der Charité, der anonym bleiben möchte, zu plusminus. Wenn ein Notfall nicht rechtzeitig erkannt werde, könne das auch tödlich enden.
Klinikchefs und Bund sehen kein Problem
Auf Fragen nach den Arbeitszeiten von Assistenzärzten gibt die Charité keine konkrete Antwort. Der Grund: Die Betroffenen seien ihnen nicht bekannt. Grundsätzlich, so schreibt die Klinik, halte sie sich an gesetzliche Vorgaben.
Das Bundesgesundheitsministerium verweist auf die Tarifpartner. Ein dazu befragter Arbeitgeberverband bestreitet ähnlich wie die Charité, dass es zu solchen Stundenbelastungen käme. Der Marburger Bund, die größte Interessenvertretung der Ärzte, betont, dass Bereitschaftsdienste eigentlich streng geregelt seien.
Es fehle aber an Kontrollen durch die zuständigen Landesbehörden, vermutlich aus Mangel an Geld und Personal. Die Landesämter müssten häufiger kontrollieren, damit der Missbrauch von Bereitschaftsdiensten eingedämmt werde, fordert der Marburger Bund.
Lange Arbeitszeiten belasten Gesundheitssystem
Den Handlungsbedarf belegen die genannten Untersuchungen. Viele Überstunden und Bereitschaftsdienste belasten die Gesundheit der Klinikärzte und ihre Zufriedenheit mit ihrem Beruf. Das führt auch zu Behandlungskosten für die Ärzte selbst.
Gleichzeitig denkt jeder vierte Arzt nach einer Befragung des Marburger Bundes darüber nach, den Beruf zu wechseln. Angesichts des Ärztemangels in Kliniken eine alarmierende Nachricht.
Hinzu kommt, dass mittlerweile nach Angaben des Marburger Bundes mehr als 60 Prozent der Medizin-Absolventen weiblich sind. Wobei Frauen in Deutschland nach wie vor meist hauptverantwortlich für Familienarbeit sind. Wochenarbeitszeiten von 50 und mehr Stunden sind für Frauen mit Kinderwunsch oft Grund genug, sich nach Alternativen außerhalb der Kliniken umzusehen.