Long Covid bei Pflegekräften "Ich bin fast gestorben an Corona"
Krankenschwester Claudia Müller hat sich in ihrer Lungenklinik mit Corona infiziert. Nach 20 Jahren als Pflegerin ist sie plötzlich selbst Patientin - und wird die Krankheit nicht los.
Claudia Müller steht auf einem Laufband und ist außer Atem: "Wenn ich nach unten gucke, wird mir sofort schwindelig." Dabei ist das Laufband auf eine langsame Geschwindigkeit eingestellt, dreieinhalb Kilometer pro Stunde.
"Früher bin ich bei sieben gestartet und dann zehn, zwölf Kilometer pro Stunde gelaufen", erinnert sich Müller an vergangene Besuche im Fitnessstudio. Doch das war vor ihrer Corona-Erkrankung.
Müde, schlapp, Wortfindungsstörungen: Claudia Müller beim Gedächtnistraining
"Es war sehr knapp, aber wir haben es geschafft"
Am 15. Dezember 2020 war Müllers Corona-Test positiv. Sie war Krankenschwester in einer Lungenklinik, dort hat sie sich mit dem Coronavirus angesteckt. Vier Tage später ging es ihr so schlecht, dass ihr Mann sie ins Krankenhaus fahren musste: "Er hat jede rote Ampel und jeden Blitzer mitgenommen. Es war sehr knapp, aber wir haben es geschafft."
Müller kam direkt auf die Intensivstation, die Diagnose: doppelte Lungenentzündung. "Ich bin fast gestorben an Corona", sagt Müller heute.
Kaum Besserung
Zwei Tage vor Silvester 2020 wird sie aus dem Krankenhaus entlassen - doch gesund ist sie nicht. Drei Monate ist sie bettlägerig, danach kann sie kaum laufen.
Im Juni 2021 macht sie eine Reha an der Ostsee, doch die bringt ihr kaum Besserung. Seit etwas mehr als drei Wochen ist sie jetzt bei ihrer zweiten Reha im BG-Klinikum Hamburg, einer Klinik der Berufsgenossenschaften - die sind zuständig, wenn Menschen einen Unfall bei ihrer Arbeit in einer nicht-staatlichen Einrichtung haben oder durch die Arbeit erkranken.
Zehn Therapien am Tag
In ihrer Reha in Hamburg hat Müller sechs Wochen lang zehn Therapie-Einheiten am Tag, von morgens um sieben bis nachmittags um fünf Uhr. Das Gehen auf dem Laufband ist Teil der Sporttherapie, der dritte Punkt des Tages auf Müllers Liste - und einer der anstrengendsten. Doch für sie ist schon ein Erfolg, dass sie überhaupt aufs Laufband kann. Bisher war Fahrradfahren das Maximum.
Anfangs machte auch da ihr Kreislauf nicht mit, schnell wurde ihr schwindlig. Doch nach und nach steigerte sich Müller von vier Minuten Fahrradfahren am Stück auf dreizehn. Trotzdem sei das natürlich "kein Vergleich zu früher": Da habe sie viel Krafttraining gemacht, war Joggen, Schwimmen, Fahrradfahren. Heute sagt sie nach der Sporttherapie: "Die Beine fühlen sich an wie Pudding."
"1000 Stecknadeln ins Herz"
Weniger körperliche Kraft - das ist nur eine Facette von Müllers Erkrankung: "An manchen Tagen habe ich das Gefühl, es steht eine Cola-Kiste auf dem Brustkorb." Dann fällt ihr das Atmen schwer. Außerdem diagnostiziert ihr Arzt eine doppelte Herzinsuffizienz, auch bekannt als Herzschwäche: "Das fühlt sich an, als wenn man mit 1000 Stecknadeln ins Herz sticht - manchmal aber auch wie ein Stich mit einem Dolch."
Nach der Mittagspause steht Gedächtnistraining auf Müllers Plan, denn auch ihr Gehirn hat unter Corona gelitten: Sie hat Wortfindungsstörungen, Gedächtnisprobleme, ist oft müde, fühlt sich schlapp. Müller sitzt allein in einem Raum voller Computer, spielt Memory mit neun Karten auf dem Bildschirm. Es ist still - wäre das anders, sagt sie, könnte sie sich kaum konzentrieren: "Wenn sich zwei Menschen unterhalten und ich mich im gleichen Raum mit jemand anderem unterhalten soll: Das können Sie vergessen."
Post Covid: Das lange Long Covid
Post Covid ist der Fachbegriff für all diese Symptome, eine Unterform von Long Covid. Als Long Covid werden alle Beschwerden bezeichnet, die länger als vier Wochen nach einer Corona-Infektion noch bestehen, bei Post Covid bleiben die Symptome mindestens zwölf Wochen.
Bei Müller ist es nun schon mehr als ein Jahr. "Das war am Anfang schon ganz schön schwer, diese Einschränkungen anzunehmen", erinnert sich Müller. "Und anzunehmen, dass man krank ist, und nicht in einem Monat wieder gesund. Oder in zwei oder drei Monaten." Vorerkrankungen hatte Müller keine, sie ist gerade mal 38 Jahre alt, fühlte sich fit.
Das BG-Klinikum in Hamburg bietet spezielle Programme für Post-Covid-Patientinnen und -Patienten an. "Wir haben sehr, sehr viele Anmeldungen, vor allem von Pflegekräften und Ärzten", erzählt Andreas Gonschorek. Er ist Chefarzt des Neurozentrums der Klinik, verantwortlich für die Post-Covid-Angebote und sagt ganz offen: "Wir können den Bedarf im Moment nicht decken."
Fehlen bald Tausende Pflegekräfte?
Gonschorek schätzt, dass deutschlandweit etwa 5000 Menschen aus dem Gesundheitswesen medizinische Unterstützung wegen Long Covid brauchen. Dadurch fallen sie eine Zeit lang aus, das könnte den Pflegemangel weiter verschärfen. Christoph Reimertz, Chefarzt des Rehabilitationszentrum an der BG Unfallklinik Frankfurt, ging im September sogar von 15.000 Menschen in Deutschland aus, die bald fehlen könnten.
Müller will zurück in die Pflege, wenn sie wieder gesund ist - in der Branche hat sie vor mehr als 20 Jahren angefangen, da hatte sie gerade ihre Schule beendet. Vor ihrer Erkrankung hat sie mit Krebspatientinnen und Krebspatienten gearbeitet, das würde sie am liebsten wieder machen. Aber noch ist sie skeptisch, ob sie den Belastungen dieses Jobs standhalten kann: "Ich kann nicht in einem Altenheim arbeiten oder an Schwerstpflege-Patienten, weil ich körperlich das gar nicht leisten kann."
Trotzdem gibt sie nicht auf - denn eines hat sie in den vergangenen Monaten gelernt: "Es geht immer weiter, irgendwie. Man muss nur fest dran glauben."