Bayerische Alpen Warum die Gletscher so schnell schmelzen
Saharastaub, fehlende Kaltlufteinbrüche, zu hohe Temperaturen: Die Gletscher in den Alpen schmelzen schneller als in den vergangenen Jahren. Woran liegt das? Und ist dieser Prozess noch zu stoppen?
Erst kürzlich wurden die Folgen des Klimawandels für die alpinen Gletscher auf tragische Weise sichtbar: Am 3. Juli führte ein Abbruch auf der Nordseite der Marmolata in den Dolomiten zu einem Unglück mit insgesamt elf toten Alpinisten. Zusammen mit Wasser und Geröll waren die Eismassen mit einer Geschwindigkeit von etwa 300 Kilometern pro Stunde ins Tal gerast. Der Vorfall macht klar: Die Gefahren schmelzender Gletscher sind kaum vorhersehbar.
Im Laufe Tausender Jahre wuchsen die Gletscher in den Alpen heran. Auf dem Zugspitzplatt erreichten die Eismassen um 1820 ihre größte Ausdehnung. Die Entwicklung seitdem ist jedoch alarmierend. Besonders in den letzten beiden Jahrzehnten waren die Eisverluste massiv. Überhaupt gibt es nur noch einen einzigen Gletscher in den Bayerischen Alpen, der die nächsten 15 Jahre überstehen könnte: der Höllentalferner auf der schattigen Nordseite der Zugspitze.
Zugspitzplatt um 1890/1900: Die Eisverluste in den vergangenen Jahrzehnten waren groß
Schneeferner vier Wochen früher schneefrei
Der Nördliche Schneeferner, einer der letzten Gletscher in den Bayerischen Alpen neben dem Höllentalferner, war dieses Jahr ganze vier Wochen früher als üblich komplett schneefrei. Olaf Eisen, Glaziologe am Alfred-Wegener-Institut und Professor an der Universität Bremen, ist alarmiert: "In den europäischen Alpen können wir jetzt schon sagen, dass die Sommersaison 2022 eine Rekordschmelze haben wird. Und zwar stärker als beim Jahrhundertsommer 2003."
Haupttreiber dafür sei zunächst einmal der Klimawandel. Dass Dürren oder überdurchschnittliche hohe Temperaturen nicht nur zwei bis drei Wochen andauern, sondern Europa über Monate beherrschen, das gehe direkt mit dem Klimawandel einher, so Eisen. Christoph Mayer von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München macht klar, dass in den Alpen normalerweise immer ein, zwei Kaltlufteinbrüche im Sommer vorkommen: "So wäre die Schmelze jeweils für fünf bis sieben Tage unterbrochen worden. Diese Einbrüche fehlen dieses Jahr komplett. Seit Juni schmilzt es durchgehend."
Blick auf den Höllentalferner (Archivbild 2012): Der Klimawandel setzt den Gletschern zu.
Gründe für die große Gletscherschmelze
Mit Blick auf den gesamten Alpenraum kommt noch hinzu, dass der Winter 2021/2022 durchschnittlich relativ wenig Schnee brachte. Die Schneedecke schützt das Eis vor Sonneneinstrahlung - und reflektiert Sonnenlicht. Fällt die schützende Schicht, wie in diesem Jahr, dünner aus, schmilzt das Eis schneller.
Schlechte Voraussetzungen, die verstärkt werden durch Saharastaub auf der Schneeschicht der Gletscher. Für Olaf Eisen ist der Staub aus Afrika aber nur das i-Tüpfelchen: "Zu Beginn der Schmelze im Mai hatten die Gletscher durch den Saharastaub eine dunkle Oberfläche.
Dadurch wird die Schneeoberfläche stärker erwärmt, weil sie dunkler ist und noch weniger reflektiert." Das Abschmelzen werde so beschleunigt. Hauptursache für die drastische Entwicklung in der gesamten Alpenregion sei dieser Aspekt aber nicht: "Auch ohne den Saharastaub hätten wir dieses Jahr ziemlich sicher ein Rekordjahr gehabt", sagt der Glaziologe vom Alfred-Wegener-Institut.
Bedeutung des Saharastaubs
Christoph Mayer wiederum betont, dass die Bedeutung des Saharastaubs für Gletscher regional unterschiedlich sei: Speziell für die bayerischen Gletscher habe er dieses Jahr eine entscheidende Rolle gespielt. Im Gegensatz zu anderen Alpengebieten ist die Schneemenge am Nordalpenrand nämlich eigentlich nicht zu gering gewesen.
Und hier kommt der Saharastaub ins Spiel: Dort, wo es im Winter nur wenig geschneit hat, schmilzt diese Schneedecke ohnehin sehr schnell und die dunklere Oberfläche des Gletschers ist früh der Sonnenstrahlung ausgesetzt. Dadurch ist der Effekt des Staubs nur kurzfristig. Bei normalen Schneeverhältnissen wie an den bayerischen Gletschern in diesem Jahr bewirkt der Effekt der verstärkten Schneeschmelze durch die Staubauflage hingegen, dass auch hier der Schnee sehr schnell verschwunden ist.
Nicht nur Unfälle wie in den Dolomiten
Nicht nur Abbrüche wie in den Dolomiten können sich in Zukunft aufgrund der großen Schmelze häufen. Die globale Perspektive zeigt: "Gerade in Gebieten, die sehr trocken sind, retten Gletscher Wasser aus dem Winter und stellen das dann im Sommer bereit für die Bevölkerung, Landwirtschaft und Industrie. Und wenn die Gletscher mal weggeschmolzen sind, können sie diese Speicherfunktion nicht mehr erfüllen," sagt Eisen.
In den Alpen sei dieser Effekt noch nicht ganz so dramatisch. Noch können die Gletscher die aktuelle Regenarmut bis zu einem gewissen Grad kompensieren. "Wenn man die Gletscher aber dann verloren hat, wird das auch im alpinen Bereich ein Problem." Diese Entwicklung könne aber noch mehrere Jahrzehnte dauern.
Bleibt die Frage, wie sich das Abschmelzen der Gletscher überhaupt noch aufhalten lässt. Mayer und Eisen sind skeptisch: "Bei dieser Größenskala, von der wir reden, ist es völlig irrwitzig etwas technisch zu machen. Der Aufwand übersteigt bei Weitem das technisch und finanziell Machbare", so Eisen. Die Reduzierung der Treibhausgase sei der effektivste Weg - und alles andere reine Kosmetik.