Algenausbreitung Die Plage aus dem Meer
Viele Strandurlauber erleben es hautnah: Es gibt mehr Algen, und das weltweit. Mancherorts wachsen sie explosionsartig - mit weitreichenden Folgen.
Vom Weltraum erscheint die Erde eigentlich als blauer Planet - wegen des hohen Anteils der Ozeane an der Erdoberfläche. Doch Satellitenaufnahmen zeigen: Der Farbton der Meere verschiebt sich einer kürzlich erschienenen "Nature"-Studie zufolge allmählich von Blau in Richtung Grün.
Den Grund dafür liefert eine zweite Studie, ebenfalls aus diesem Frühjahr: Demnach treten Algenblüten weltweit um 60 Prozent häufiger auf als noch vor 20 Jahren - und sie dehnen sich immer weiter aus. "Das ist ein Zeichen dafür, dass die Selbstreinigungskräfte auch der Ozeane irgendwann mal erschöpft sein werden", meint der Algenforscher Florian Weinberger im Podcast SWR2 Wissen.
Was sind Algenblüten?
Der Begriff "Algenblüte" ist nur ein Sprachbild. Algen blühen nicht - mit "Algenblüte" bezeichnet die Meeresforschung vielmehr ein explosionsartiges Algenwachstum. Die genannten Studien beziehen sich dabei lediglich auf das Phytoplankton - das sind kleine einzellige Algen, die sich bei einer Algenblüte zu großen schleimigen Algenmatten verbinden.
Daneben gibt es die großen "Makro-Algen", die man sehen und in die Hand nehmen kann. Auch bei ihnen gibt es anscheinend einen Trend zu vermehrten Algenblüten.
Algen an Stränden
Satellitenaufnahmen sind hier zwar weniger aussagekräftig - doch Beobachtungen an den Küsten sprechen für sich, und Strandurlauber bekommen es seit einigen Jahren hautnah zu spüren. Ob an der Ostsee, am Atlantik oder dem Mittelmeer - an den Strand gespülte Algen trüben vielerorts das Badevergnügen.
Ihre Beseitigung kostet die betroffenen Gemeinden viel Geld. Besonders hart trifft es die Küsten in der Karibik. Dort ist die Braunalge Sargassum seit 2011 zu einer solchen Plage geworden, dass einst beliebte Badeorte wie Cancún dramatische Einbrüche bei den Urlauberzahlen verzeichnen. Vom Weltraum zeigt sich das ganze Ausmaß: Ein 8.000 Kilometer langer Algengürtel erstreckt sich quer durch den Atlantik.
An den mexikanischen Küsten ist die Sargassum-Alge zu einer regelrechten Plage geworden. Um ins Wasser zu gelangen, müssen Kinder erst durch einen meterbreiten Algenteppich stapfen.
Ursachen des Algenwachstums: Nährstoffeintrag und Klimawandel
Die Hauptursache sehen Forscher wie Florian Weinberger im zunehmenden Nährstoffeintrag in die Weltmeere. Rund um die Ostsee gibt es viel intensive Landwirtschaft. Hier ist die Algenbelastung seit den 1960er-Jahren stetig gewachsen. Gleichzeitig hat sich die Ostsee sehr stark erwärmt, um anderthalb Grad in den letzten 50 Jahren. Das ist dreimal so viel wie in anderen Meeren. Die Situation hier ist speziell, denn die Ostsee hat wenig Austausch mit dem offenen Ozean. Die Nährstoffe, die eingetragen werden, bleiben lange in der Ostsee und verteilen sich nicht auf die Weltmeere; deshalb ist die Belastung hier höher.
Regenwaldvernichtung führt zu Algenwachstum
Der Fall der Braunalge Sargassum zeigt wiederum, wie großräumig die Zusammenhänge sind: Die Algenblüten in der Karibik hängen aus Sicht vieler Fachleute mit der Zerstörung der Regenwälder am Amazonas und am Kongo zusammen. In beiden Flussbecken wurden in großem Stil Wälder gerodet, um Landwirtschaft zu betreiben. Beide Flüsse münden in den Südatlantik, von dort strömt das Wasser Richtung Karibik.
Große Mengen an Dünger und erodierten Böden gelangen so über die Flüsse ins Meer - ein Meer, das durch den Klimawandel immer wärmer wird. All das lässt die Algen kräftig wachsen.
Die Folgen: Gifte und Fischsterben
Die Auswirkungen auf den Badetourismus sind das eine. Aber die Folgen reichen viel weiter: Algenblüten können auch Giftstoffe freisetzen, die zu Hautreizungen oder schweren grippeähnlichen Symptomen führen können. Die einzelligen Mikroalgen wiederum können Nervengifte freisetzen. Diese reichern sich in Fischen und Meerestieren an, die sich von den Algen ernähren. Muscheln oder Krabben zu essen, die damit kontaminiert sind, kann zu Lähmungen führen, sogar tödlich sein. Solche Algenblüten treten zum Beispiel seit Jahren vermehrt vor der Küste Alaskas auf.
Ein weiteres Problem ist, dass die Algen zwar zunächst wachsen, dann aber im Meer irgendwann absterben und zersetzt werden; das zehrt Sauerstoff und führt zum Beispiel in der Ostsee regelmäßig zu großem Fischsterben. Das, was wir aus Seen kennen - dass ein See umkippt -, das passiert inzwischen auch in den Meeren. "Ein typisches Eutrophierungsproblem", bestätigt Algenforscher Weinberger.
Sind die Algen nur schlecht - oder sind sie auch für irgendwas gut?
Grundsätzlich sind Algen wichtig für die Meere, sie sind die Grundlage der Nahrungskette. Sie binden auch das Treibhausgas CO2 - mehr als alle Wälder der Erde zusammen. Die Probleme entstehen, wenn sie sich explosionsartig vermehren. Auch da versuchen viele, aus der Not eine Tugend zu machen und aus den Algen, die ohnehin von den Stränden entfernt und entsorgt werden müssen, zum Beispiel Biodünger herzustellen. Aber das ist alles noch in den Anfängen.
Viele Algen sind auch essbar - und in der Ökobilanz viel besser als Fleisch oder Fisch. Doch solche Algen müssen gezüchtet werden - das sind nicht die, die nach einer Algenblüte an die Strände gespült werden. Es gibt also Ideen, Algenblüten produktiv zu nutzen, aber eine echte Lösung gibt es noch nicht.
Algen haben schon früher von Katastrophen profitiert
Die schwedische Geologin Vivi Vajda weist noch auf einen weiteren Aspekt hin: Fast immer, wenn in der Erdgeschichte die großen Ökosysteme zusammenbrachen, waren Algen die großen Gewinner. Als vor 65 Millionen Jahren vermutlich infolge eines Meteoriteneinschlags die großen Dinosaurier ausstarben, haben sich weltweit Mikro-Algen massiv vermehrt.
Ebenso, als vor 250 Millionen Jahren - an der Perm-Trias-Grenze - 80 bis 90 Prozent der großen kohlebildenden Sumpfwälder verbrannten und alle Tier- und Pflanzenarten ausstarben. Brennende Wälder, erodierende Böden, starker CO2-Anstieg, massiver Nährstoffeintrag in die Gewässer. Für Vivi Vajda sind die Parallelen unübersehbar: "Auf gewisse Art ahmen wir nach, was bei früheren Massenaussterbeereignissen geschehen ist", so ihr Fazit gegenüber SWR2 Wissen.