Algenplage in der Karibik "Die Natur bäumt sich auf"
Das Klischee vom karibischen Strandparadies - damit ist es vorbei in der Region um Cancún. Stattdessen türmen sich faulende Algenberge. Ein gigantischer Algengürtel erstreckt sich von Mexiko bis nach Afrika.
Sanfte Wellen schlagen ans Ufer, schwemmen mit jeder Bewegung neue Algen an den Strand. Der Geruch aus einer Mischung von verfaulten Eiern und verdorbenem Fisch liegt in der Luft. Braune Algenberge verdecken den weißen karibischen Sand.
Die blau-weiß gestreiften Liegestühle einer Strandbar in dem kleinen mexikanischen Urlaubsort Puerto Morelos, rund eine Autostunde von Cancún entfernt, sind fast alle leer. Ein amerikanisches Paar aus Detroit lässt sich davon nicht irritieren. Sie schlürfen trotzdem ihre Margaritas zum Sonnenuntergang am Strand.
Helen Crimbring lässt ihren Blick in die Ferne streifen, über die braune Suppe hinweg, dorthin, wo das Wasser noch türkisfarben funkelt. Es sei ein Zeichen dafür, dass etwas gehörig falsch laufe, meint die amerikanische Touristin. "Die Natur bäumt sich auf. Wir mögen diesen kleinen Ort hier sehr und fänden es sehr schlimm, wenn die Menschen hier durch die Algenplage ihre Lebensgrundlage verlören."
Problem wird immer schlimmer
Die Braunalge, das sogenannte Sargassum, ist für die Region kein neues Problem. Aber es werde immer schlimmer, erklärt die Biologin vom Forschungsinstitut in Puerto Morelos der Universidad Autónoma de México, Brigitta van Tussenbroek.
In diesem Jahr trete die Plage besonders früh auf. Grundsätzlich sei die Braunalge ein wichtiger Bestandteil des Ökosystems und für viele Meeresbewohner von großer Bedeutung. Für Krabben, Fische, Schildkröten bieten diese Algen einen besonderen Schutzraum. Doch komme es wie so oft auf die Menge an. Wenn das Wachstum überhandnimmt und außer Kontrolle gerät, werde die Alge zur Gefahr, erklärt die Biologin.
Abholzung, Überdüngung, Klimawandel
Ein Grund für das übermäßige Wachstum sei, dass die Flüsse mehr Nährstoffe mit sich führten als früher. Das habe mit der intensiven Landwirtschaft und der damit einhergehenden Abholzung der Wälder zu tun. Normalerweise hielten die Bäume den Boden samt den Nährstoffen. Doch wenn Bäume abgeholzt würden, gelange ein gewisses Maß an Bodenerosion ins Meer. Die Nährstoffe, die ins Wasser gelangten, beförderten dann das Wachstum der Algen.
Van Tussenbroek sieht auch einen Zusammenhang zum intensiven Anbau von Soja etwa am Amazonas, dem Kongo oder dem Mississippi. Große Mengen des Düngers, der auf den abgeholzten Flächen für neu angelegte Sojafelder verteilt würde, gelange über die Flüsse ins Meer.
Einen weiteren Grund sehen Experten im Klimawandel: Die Temperaturen in den Weltmeeren steigen, was auch die Ausbreitung der Braunalge befördere.
Katastrophe für den Tourismus
In Puerto Morelos ist das Ausmaß besonders extrem zu sehen. Es sei eine Katastrophe für eine Region, die fast ausschließlich vom Tourismus abhängt, sagt Mario Zuleiba, Geschäftsführer eines Hotels in Puerto Morelos.
Die Touristen reisten immer häufiger frühzeitig ab. Die lokale Wirtschaft schrumpfe. Früher sei das ganze Jahr Hochsaison für die Region gewesen, jetzt seien es sehr begrenzte Zeiträume. Es kämen immer noch Besucher, aber es seien vorwiegend lokale Touristen aus der Region.
Die Gemeinden ergriffen Maßnahmen, so der Hotelgeschäftsführer. In sichtbarer Entfernung schwimmen blaue Plastikbojen, an denen Netze befestigt sind. Das helfe bedingt, die Algen zurückzuhalten. Immer wieder setze die lokale Regierung auch große Schiffe ein, die die Massen von Algen einsammelten.
Allmorgendlich versuchen Bagger und Menschen mit Mistgabeln, die Algen von den Stränden zu entfernen. Über Nacht wachsen die Algenberge wieder an.
Sisyphosarbeit mit dem Bagger
Morgens, kurz vor Sonnenaufgang, rücken Bagger, Männer und Frauen mit Mistgabeln bewaffnet an, um für die Touristen wieder ein bisschen karibische Postkartenidylle herzustellen. Doch über Nacht wachsen die Algenberge wieder. Es ist eine nicht endende Sisyphosarbeit, die hohe Kosten verursacht.
Findige Unternehmen aus der Region um Cancún versuchen, in der verzweifelten Lage Möglichkeiten zu finden, wie sie das Sargassum verwerten können: Sie suchen nach kreativen Lösungen: Ziegelsteine, Dünger, Ledertaschen, Blumentöpfe sollen daraus gemacht werden. Doch angesichts der Algenmassen scheinen das Tropfen auf den heißen Stein zu sein.
Verrottete Algen schädlich für Mensch und Natur
Anke Schneider, Projektleiterin bei der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit GIZ, berät die lokale Regierung vor Ort. Nach wie vor fehle es an Regeln, vor allem auch was die Entsorgung der Algen betrifft, sagt sie. Daran werde derzeit gearbeitet.
Es sei wichtig, das Sargassum nach dem Einsammeln an einen wirklichen Endort zu befördern, da es viele toxische Substanzen enthalte und nicht einfach in den nächsten Wald geschüttet oder am Strand auf große Berge aufgetürmt werden dürfe. Derzeit landen die Sargassum-Berge teils illegal irgendwo im Dschungel.
Eigentlich binden die Algen beim Wachstum große Mengen CO2 und könnten gerade im Kampf gegen den Klimawandel einen großen Verdienst leisten. Doch wenn die abgestorbenen Teile der Pflanze verrotten, entstehen dabei chemische Verbindungen, die schädlich für das Leben im Meer sind und auch beim Menschen zu Hautreizungen und Ausschlag führen können.
8000 Kilometer Algengürtel
Über 8000 Kilometer erstreckt sich der Algengürtel von der Küste Afrikas bis in den Golf von Mexiko. Er treibt auf Florida zu, trifft mittelamerikanische Länder wie Belize oder Kuba, die kaum Ressourcen haben, um die Algenplage zu bekämpfen.
Eine schnelle Lösung des Problems werde es nicht geben, so van Tussenbroek: "Es ist natürlich ein sehr komplexes Problem, denn es gibt keine einzelnen Personen, die dafür verantwortlich sind, die dieses Phänomen ausgelöst haben. Wir haben es alle zusammen gemacht." Dementsprechend müsse auch für die Lösung international zusammengearbeitet werden, appelliert die Biologin.