Folgen der Klimakrise Ein Gletscher wie ein Friedhof
Um mindestens drei Meter ist die Eisdicke des Rhonegletschers in den vergangenen Wochen zurückgegangen. Forscher treibt vor allem um, was sich in den Tiefen des Gletschers abspielt.
Es tropft in der Eisgrotte am Rhonegletscher - nur ein paar Hundert Meter entfernt von der Furkapassstraße. "Nirgends sonst in Europa können Sie so nahe an einen Gletscher fahren", heißt es auf der Internetseite der Tourismus-Attraktion. Seit dem späten 19. Jahrhundert wird der Eistunnel jedes Jahr neu in den Gletscher geschlagen. Der sei "blau, kalt und faszinierend", sagt eine Touristin.
Nicht faszinierend, sondern traurig sieht das Eisspektakel von außen aus. Denn dass die Grotte überhaupt noch existiert, liegt an großen Textilplanen, mit denen das untere Ende des Gletschers bedeckt wurde. Wie traurige Gespenster hängen die Tücher über dem Eis. Und konnten doch nicht verhindern, dass sich in diesem Sommer ein großer Brocken löste. Der treibt nun mitsamt seiner grauen Textilhülle auf dem Gletschersee, der sich vor 15 Jahren gebildet hat und von Jahr zu Jahr größer wird.
Der Gletschersee wird immer größer
Der Winter war schneearm
Mylène Jacquemart beschreibt den Anblick als bizarr. Sie erinnere das alles an einen Friedhof. Die Tücher hätten etwas gespenstisches an sich. "Gletschertechnisch macht es keinen Unterschied, dass wir hier noch etwas Eis bewahren", sagt sie. Jacquemart ist Gletscherforscherin an der ETH Zürich. Sie gehört zu einem Team, das das Abschmelzen des Rhonegletschers seit vielen Jahren begleitet, vermisst und erforscht.
Ihr Kollege Andreas Bauder ist unterwegs zu den Messstangen unten am Gletscher. Dort schwindet das Eis besonders rasant. Um mindestens drei Meter hat die Eisdicke allein in den vergangenen Wochen abgenommen, sagt Andreas Bauder - eine vorhersehbare Folge des schneearmen Winters und der Hitze des Sommers.
Andreas Bauder am Rhonegletscher
Ein Trichter hat sich gebildet
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beobachten aber auch ein neues Phänomen: Im unteren Bereich des Rhonegletschers hat sich eine Art Trichter gebildet, der aus der Ferne aussieht wie ein großer Kreis im schmutzig grauen Eis. "Wir vermuten, dass sich unter dem Gletscher eine Höhle gebildet hat. Die Eisdecke ist deshalb sehr gering geworden und sinkt ein", sagt Bauder.
Das Team von der ETH hat ein Loch ins Eis gebohrt, um mit Hilfe von Druck- und Temperatursensoren, sowie einer Kamera zu verstehen, was genau in den Tiefen des schmelzenden Gletschers vor sich geht. "Der Hauptgletscherbach kommt hier unten durch", erklärt Jacquemart. Dadurch würde der Gletscher von unten schmelzen - eine Kaverne sei entstanden. "Die Oberfläche ist jetzt dünn genug, dass sie beginnt, einzustürzen."
"Wir tappen noch im Dunkeln"
Wie unmittelbar bedrohlich die immer rasantere Schmelze ist, das hat im Frühsommer der Gletschersturz an der Marmolata in Italien gezeigt. Elf Menschen starben. Jacquemart ist auf Gletschergefahren spezialisiert. Der Gletscher in den Dolomiten sei, regelrecht weg explodiert, sagt die Forscherin. "Doch die Prozesse dahinter verstehen wir noch ganz schlecht."
Eine Rolle spiele sicher das Schmelzwasser, vermutet sie. Wenn mehr davon in den Systemen sei, könnte es auch häufiger zu solchen Abbrüchen kommen. "Doch wir tappen noch im Dunkeln, wann und wo Gletscher betroffen sein könnten", sagt Jacquemart.
Kein Zweifel besteht an der Ursache der Gletscherschmelze: dem menschengemachten Klimawandel, gegen den keine Tücher über einer touristischen Eisgrotte helfen. Forscherin Jacquemart sieht als einzige Lösung, die CO2-Emissionen zu senken, um Gletscher zu erhalten. "Es ist höchste Eisbahn."