Niedrigwasser im Rhein Wenn das Wasser nicht mehr reicht
Auch in diesem Jahr war der Pegelstand des Rheins schon zu niedrig - für Schiffahrt und Güterverkehr ein Problem. Aber auch das Ökosystem der Flüsse und der angrenzenden Gebiete dürfte die Folgen zu spüren bekommen.
Mahnend liest sich die Inschrift der Hungersteine im Rhein bei Worms: "Hungerjahr 1947". Immer häufiger legen niedrige Pegelstände sie frei - ein Symbol dafür, wie wichtig der Rhein als Transportweg zur Nachkriegszeit war. Niedrige Pegelstände bedeuteten Hunger und Notstand. Der Binnenschiffsverkehr kam zum Erliegen. Heute zeigen die Steine einen anderen Notstand an: Sie sind ein Warnsignal für Niedrigwasser, für Dürrejahre und für die Klimakrise.
Neben zunehmender Hitze und anhaltender Dürre ist auch der unterdurchschnittliche Schneefall im Winter ein Problem für die Flüsse: "Der Rhein oder die Donau werden durch die Schneeschmelze in den Alpen ganz stark beeinflusst. Weniger Schnee und eine frühere und kürzere Schmelze verringern die Abflussmenge im Sommer und im Frühherbst", erklärt Klimawissenschaftler Peter Greve. Durch den Klimawandel könnten niedrige Pegelstände in Zukunft häufiger zu erwarten sein, warnen Experten.
Einschränkungen für die Schifffahrt
80 Prozent des Güterverkehrs in der Binnenschifffahrt findet auf dem Rhein statt, vieles davon in Form von großen Containerschiffen. Doch in diesem Jahr war der Pegelstand dafür streckenweise schon zu niedrig, rund 40 Zentimeter fehlten. Marco Speksnijder ist Managing Direktor am Terminal in Ludwigshafen und Mannheim. Er kennt die Konsequenzen, die ein solch niedriger Wasserstand mit sich bringt: "Aktuell ist es so, dass wir einen Pegelstand von 96 Zentimetern haben. Das bedeutet, dass wir ungefähr bei 40 Prozent Auslastung sind. Ein Schiff, das normalerweise 5.000 Tonnen mitnehmen kann, lädt jetzt nur noch 2.000 Tonnen."
Um ein Aufsetzen zu vermeiden, sei die Verringerung der Frachtmenge aktuell noch die einzige Möglichkeit. An anderen Stellen muss die Schifffahrt sogar ganz eingestellt werden. Zu sehr schränken flaches Wasser oder beengte Manövrierräume die Sicherheit des Schiffsverkehrs ein.
Binnenschifffahrt wichtig für das Klima
Immer mehr verlagert sich so der Güterverkehr weg von der Binnenschifffahrt. Fällt der Rhein als Transportweg in Zukunft zunehmend weg, könnte das zum Problem für das Klima werden, denn es fehlt an ausreichenden Alternativen. Die Kapazität der Bahn ist laut Expertinnen und Experten in Deutschland auf vielen Strecken wie am Rhein zu knapp. Die Industrie fordert einen zügigen Ausbau der Schienen, denn bislang teilen sich Güterzüge die Strecken mit Regional- und Fernzügen. Somit müsse auf die Straße ausgewichen werden, der umweltschädlichsten Transportoption.
Um die CO2-Bilanz gering zu halten, bedarf es einer Stärkung des Schiffsverkehrs, sagen Expertinnen und Experten. Das sieht auch der Bundesverkehrswegeplan 2030 vor. Mit der "Abladeoptimierung Mittelrhein" sollen besonders flache und enge Abschnitte vertieft und ausgebaggert werden.
Kritik an der Fahrrinnenvertiefung
Eckhard Genßmann ist Kreisgruppenvorsitzender des BUND Mainz-Bingen. Er ist mit den Plänen des Bundesministeriums nicht einverstanden: "Die Fahrrinnenvertiefung gehört auf Eis gelegt, das ist keine Option, zumindest keine nachhaltige. In anderen Branchen sind wir ja auch witterungs-, saisonabhängig, in der Landwirtschaft oder in der Touristik beispielsweise. Man muss sich überlegen, diese großen Schiffe nur noch in Zeiten fahren zu lassen, wenn der Rhein genügend Wasser hat."
Auch Jonathan Köhler vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ordnet das Projekt zur Vertiefung als abwegig ein. "Sie können die Flüsse ausbaggern. Aber es ist schlecht für Tiere, Pflanzen und den Wasserhaushalt, und der Aufwand, mehrere Strecken dauernd auszubaggern, ist nicht praktikabel", erklärt der Experte gegenüber dem Science Media Center.
Karsten Rinke leitet der Abteilung Seenforschung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Magdeburg. Welche gravierenden Auswirkungen die Maßnahmen zur Fahrinnenvertiefung für die Umwelt haben, könne man bereits an der Elbe beobachten: "Durch die Maßnahmen hat sich die Elbe in den letzten Jahren ungefähr zwei Meter eingetieft. Das ist ein großes Problem, denn der tieferliegende Fluss entwässert das Umland immer stärker. Hier sterben 300 Jahre alte Eichen und Auenbereiche trocknen aus." Trotz vieler Bedenken wird politisch weiter an der Fahrrinne festgehalten.
Weiteres Problem: Schadstoffkonzentration
Weniger Wasser bedeutet, dass sich der Fluss schneller aufheize, weiß Hydrobiologe Rinke. "Das ruft auch Probleme im Sauerstoffhaushalt hervor. Das haben wir 2003 zum Beispiel im Rhein beobachtet, wo sehr viele Muscheln gestorben sind." Neben dem Hitzestress werde beim Niedrigwasser auch die Entsorgung durch Kläranlagen zum Problem.
Bislang werde das Abwasser zur Entsorgung in die Flüsse gepumpt und dort durch das Flusswasser ausreichend verdünnt. Denn trotz hochwertiger Aufbereitungstechnologien sei das Wasser aus deutschen Kläranlagen noch um den Faktor 100- bis 1.000-mal stärker belastet als das Natürliche. "Wir brauchen einfach eine gewisse Wassermenge, um diese Abläufe zu verdünnen. Je trockener es wird und umso weniger Wasser im Fluss ist, desto stärker werden Probleme durch zu hohe Schadstoffkonzentrationen", führt Rinke weiter aus.
Eine Lösung für das Problem sieht der Forscher an Land: in der Entsiegelung von Flächen und dem Ausbau urbaner Räume. "Das Wasser, was da drauffällt, muss wieder versickern. Es darf nicht in den nächsten Graben oder Fluss kommen und ist dann neun Tage später im Meer. Versickerungsflächen können auch renaturierte Feuchtgebiete sein", so Rinke. Das komme wiederum den Flüssen zugute. Denn der Klimawandel zeigt, wie zerbrechlich das Ökosystem Rhein ist. Die freigelegten Hungersteine sind ein Warnzeichen, dass es neue Lösungen braucht: für Wirtschaft und Umwelt.