Schwangerschaftsübelkeit Warum manche Frauen mehr leiden als andere
Viele Schwangere leiden an Übelkeit und Erbrechen, manche sogar so stark, dass sie kaum Nahrung zu sich nehmen können. Warum ist das so? Die Geschichte eines Forschungserfolgs.
Übelkeit und Erbrechen sind typische Symptome zu Beginn einer Schwangerschaft. Forschende aus den USA, Großbritannien und Sri Lanka konnten kürzlich die Ursache für die Übelkeit nachweisen: ein Hormon mit dem Namen GDF-15. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im Fachmagazin "Nature". Bis zu dieser Entdeckung war es jedoch ein langer Weg.
Bei den meisten Betroffenen ist die Schwangerschaftsübelkeit zwar lästig, aber für Mutter und Kind nicht gefährlich. Doch bei etwa ein bis zwei Prozent bleibt die Übelkeit über längere Zeit bestehen und ist dabei so schlimm, dass die Betroffenen kaum Nahrung zu sich nehmen können - bekannt als Hyperemesis gravidarum oder unstillbares Schwangerschaftserbrechen.
Nicole (Name von der Redaktion geändert) war davon betroffen: "Bei mir war es so, dass ich ziemlich von Anfang der Schwangerschaft an eine ganz starke Übelkeit hatte und mich sehr häufig erbrechen musste, viele Male pro Tag", erinnert sie sich. Erst im fünften Monat ihrer Schwangerschaft habe sich ihr Zustand mit der Einnahme eines Medikaments gebessert.
Wenig Verständnis für Betroffene
Während dieser Zeit hat Nicole stark abgenommen, konnte nur wenig Essen und Trinken zu sich nehmen. Sie fühlte sich schwach, konnte kaum arbeiten, selbst Aufstehen fiel ihr schwer. Dennoch fühlte sie sich von ihrem Umfeld nicht verstanden. Denn häufig werden derartige Beschwerden als normal angesehen, immerhin leiden fast zwei Drittel aller Schwangeren im ersten Trimester an Schwangerschaftsübelkeit.
Das erlebte Ende der 90er-Jahre auch Marlena Schoenberg Fejzo. Die US-Amerikanerin mit österreichischen Wurzeln, die heute an der University of Southern California lehrt und arbeitet, musste selbst wegen extremer Schwangerschaftsübelkeit ins Krankenhaus - und verlor dabei ihr zweites Kind. Verständnis für ihre Erkrankung von Seiten der Ärztinnen und Ärzte bekam sie nicht: "Mein Arzt sagte mir, dass ich mir das alles nur einbilde und lediglich die Aufmerksamkeit meiner Familie wolle."
Eine ehrgeizige Forscherin
Das wollte Fejzo nicht auf sich sitzen lassen. Als Forscherin beschloss sie, sich auf die Suche nach dem wahren Grund für ihre Erkrankung zu machen. Zunächst war es schwierig, Geld für ihre Forschung zu bekommen. Deshalb tat sich Fejzo mit 23andMe zusammen, einem Unternehmen, das Erbgut-Analysen für Privatpersonen anbietet. Wer sein Erbgut dort untersuchen lässt, kann sich dafür entscheiden, die Daten für Forschungszwecke zur Verfügung zu stellen.
So wurde Fejzo auf ein bestimmtes Hormon namens GDF-15 aufmerksam. Aus der Krebsforschung gab es bereits Hinweise, dass dieses Hormon mit einem starken Gewichtsverlust in Zusammenhang steht, ähnlich wie bei der Schwangerschaftsübelkeit. Außerdem war bereits bekannt, dass das Hormon GDF-15 während der Schwangerschaft von der Plazenta produziert wird.
Es kommt auf den Anstieg an
Ein Verdächtiger war also gefunden. Weitere Studien bestätigten, dass Schwangere mit viel GDF-15 im Blut häufiger an starker Übelkeit leiden. Doch es fehlte an Beweisen, dass das Hormon tatsächlich die Übelkeit auslöst und nicht etwa eine Folge davon ist. Fejzo machte sich auf die Suche und arbeitete mit einer Forschungsgruppe aus Cambridge in Großbritannien zusammen.
Dabei fiel ihnen etwas auf: Manche Schwangere haben zwar normale Mengen des Hormons GDF-15 in ihrem Blut, leiden aber trotzdem an starker Übelkeit. Die Forschenden stellten eine Theorie auf. Danach sorgen Veränderungen im Erbgut dafür, dass manche Frauen vor der Schwangerschaft nur wenig GDF-15 im Blut haben. Kommt dann aufgrund der Schwangerschaft ein starker Anstieg des Hormons hinzu, reagieren diese Frauen heftiger darauf.
"Es ist die Kombination aus einem niedrigen Wert vor der Schwangerschaft und einem höheren Wert während der Schwangerschaft, die darüber entscheidet, wie stark die Schwangerschaftsübelkeit ausfällt", erklärt Fejzo.
Vermutungen bestätigt
Versuche mit Mäusen bestätigten diese Theorie. Gaben die Forschenden ihnen eine hohe Dosis GDF-15, verloren die Tiere an Appetit und Gewicht - genau wie Menschen mit starker Schwangerschaftsübelkeit. Mäuse, die bereits an eine geringe Dosis GDF-15 gewöhnt waren, zeigten dagegen kein auffälliges Verhalten.
Das Auftreten von Schwangerschaftsübelkeit könnte also durch eine Form von Desensibilisierung verhindert werden. Beim Anblick der Ergebnisse habe sie Tränen in den Augen gehabt, erinnert sich Fejzo.
Um ihre Theorie weiter zu untermauern, befragten die Forschenden Betroffene der sogenannten Beta-Thalassämie. Diese erbliche Blutkrankheit geht mit dauerhaft erhöhten GDF-15-Werten einher. Lediglich fünf Prozent der Befragten gaben an, während ihrer Schwangerschaft an Übelkeit und Erbrechen gelitten zu haben. In der Kontrollgruppe war der Anteil dagegen mehr als zehnmal so hoch.
Zudem konnten die Forschenden nachweisen, dass das Hormon hauptsächlich vom Fötus produziert wird. Fejzo vermutet, dass es sich dabei um einen evolutionären Schutzmechanismus handelt, damit sich Schwangere nicht zu sehr verausgaben.
Weitere Forschung nötig
Ob Betroffene wie Nicole in Zukunft vor einer Schwangerschaft an das Hormon gewöhnt werden können, soll nun in weiteren Studien untersucht werden. Auch während der Schwangerschaft könnte der Rezeptor für GDF-15 im Gehirn gezielt blockiert oder das Hormon mit Antikörpern neutralisiert werden. Bis eine solche Therapie verfügbar sein wird, ist allerdings noch viel Forschungsarbeit nötig.