Abgase der Landetriebwerke Bloß nicht den Asteroiden verunreinigen
Werden Raumsonden zu fernen Monden oder Asteroiden geschickt, entnehmen sie dort oft Bodenproben. Doch die Abgase der Landetriebwerke können die Oberfläche kontaminieren. Wie verhindern wir, dass wir uns im All selbst messen?
Mit ordentlich Kraft drehen die Wissenschaftler beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) an den Sicherungsschrauben einer riesigen Anlage. Sie sieht aus wie eine übergroße Konservendose, außen aus Edelstahl, mehr als sieben Meter lang, mehr als drei Meter Durchmesser. Ganz langsam schiebt sich der riesige Deckel zur Seite, durch eine Luke kann man ein Triebwerk sehen, was die Wissenschaftler hier zuvor getestet haben.
Einzigartige Simulationsanlage für Treibstrahlen
Die Anlage beim DLR in Göttingen ist weltweit einmalig. In ihr können die Abgase von Triebwerken unter simulierten Weltraumbedingungen untersucht werden, sozusagen in der unendlichen Weite. Diesen Zustand erreichen die Forscher, indem sie in der Anlage ein Vakuum erzeugen und die Wände mit siedendem Helium auf Minus 269 Grad Celsius herunterkühlen.
Anke Pagels-Kerp, DLR-Bereichsvorständin für Raumfahrt, beschreibt die Wirkung folgendermaßen: "Durch die Größe der Anlage und die Kälte erreichen wir, dass die Reste der Triebwerkstrahlen an den Wänden auskondensieren und nicht zurückgeworfen werden. Somit verhalten sie sich wie im Weltraum."
Kontamination der Landestellen
Wie genau verhalten sich Treibstrahlen im Weltraum? Wie weit breiten sie sich aus? Das ist wichtig zu wissen, vor allem bei zukünftigen Missionen, bei denen es darum geht, Spuren von Leben auf Planeten, Monden oder Asteroiden zu finden. Auf atmosphärelosen Himmelskörpern kann man nicht mit Fallschirmen landen, sondern braucht Triebwerke. Dabei zeigt der Treibstrahl nach unten und könnte die ganze Landestelle kontaminieren.
"Wenn man dann Bodenproben nehmen möchte, ist es möglichst wichtig zu wissen, wie viel von dem Treibstrahl schon an welcher Stelle in den Boden gekommen sein wird", erklärt Martin Grabe, der als Spezialist für Treibstrahlen beim DLR arbeitet. Das sei bei der Probenentnahme zu berücksichtigen, um es "entweder herauszurechnen oder alte Bekannte wiederzuerkennen, wenn man Abgasprodukte vom Treibstrahl identifizieren kann". Im schlimmsten Fall würde man bei Suche nach Spuren von Leben von der Erde mitgebrachte Stoffe messen.
Unverbrannter Treibstoff
Grabe steht an der geöffneten Luke der Kammer und zeigt auf ein Triebwerk. "In einem ersten Versuch untersuchen wir den Treibstrahl an sich und zwar aus thermodynamischer Sicht. Wir untersuchen Wärmeströme und Drücke." In einer zweiten Phase würden dann der Treibstrahl mit einem Massenspektrometer untersucht, das in der Kammer eingebaut ist. "Dabei können wir das Triebwerk drehen und sozusagen die Verteilung der Gasspezies, der Gasarten über den Winkel der Strahlachse untersuchen", erläutert der Ingenieur.
Auf der Anlage ist eine Hochgeschwindigkeitskamera befestigt, die in den Innenraum hineinfilmt. Leni Schmidt, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim DLR, schaut auf einen Bildschirm, der die Aufnahmen überträgt. Zu sehen sind kleine Bröckchen, die vom feuernden Triebwerk ausgestoßen werden.
"Wir sehen, dass da kleine Teilchen rauskommen. Da müssen wir noch bestimmen, ob es quasi Tröpfchen sind von unverbranntem oder halbverbranntem Treibstoff. Oder irgendwelche Feststoffpartikel, die da mitrauskommen aus der Düse." Indem sie sich die Bilder nach und nach anschaue, könne sie analysieren, in welche Richtung die Teilchen rausfliegen - und in welchem Winkel und bei welcher Geschwindigkeit.
Eisnachbau von Jupitermond
Bei vorangegangen Versuchen hatten die Wissenschaftler vom DLR in Göttingen zusammen mit amerikanischen Kollegen Materialproben in der Kammer angebracht, um zu schauen, wie sich die Abgase auf verschiedenen Oberflächen ablagern. Die Erkenntnisse sollen der NASA bei einer zukünftigen Mission zum Jupiter-Eismond Europa helfen. Dort möchten die Wissenschaftler Proben entnehmen, um zu untersuchen, ob es Spuren von Leben geben könnte.
Unter der Oberfläche von Europa werden riesige Ozeane vermutet. Die Auswertung dieser Tests läuft noch. Grabe deutet auf die Proben, die beschossen wurden und erklärt: "Man kann hier erkennen, dass wir verschiedene Materialtypen haben. Dieser weiße Block hier ist ein Eisanalog, der die Eisstruktur auf Europa nachbildet. Dann gibt es noch verschiedene Oberflächen, wie wir sie typischerweise auf Raumfahrzeugen vorfinden, also Aluminium zum Beispiel, oder verschiedene Arten von Spiegeln und Abdeckungen."
Kontamination auf der ISS
Die Göttinger Abgasuntersuchungen helfen aber nicht nur bei unbemannten Missionen. Auch auf der Internationalen Raumstation ISS hat man mit Kontamination zu kämpfen. Regelmäßig docken an der ISS Frachter an und wieder ab, um Material und Astronauten zu transportieren. Durch den Triebwerksausstoß wird die Außenhaut der ISS verunreinigt.
"Das Problem bei den Treibstoffen ist, dass sie zwar sehr gut verbrennen, aber eben nicht zu 100 Prozent", erklärt Pagels-Kerp. "Das heißt, man hat im ungünstigsten Fall ganz leichte Hydrazinverschmutzungen, die sich auf der Außenhaut der ISS ablagern. Der Astronaut läuft darüber oder fasst es an und nimmt dann mit seinem Anzug das giftige Hydrazin mit ins Innere der ISS." Das müsse vermieden werden. Darum gibt es Stellen außen an der ISS, die Astronauten bei ihren Außenbordeinsätzen auf gar keinen Fall anfassen dürfen.
Erste Ergebnisse
Ein interessantes Ergebnis können die Göttinger Wissenschaftler bereits vermelden. Bei Tests wurden die Abgasstrahlen von zwei unterschiedlich alten Triebwerken untersucht. Das ältere der beiden habe viel mehr unverbrannten Treibstoff ausgestoßen, sagt Grabe: "Wir vermuten, dass das Verschmutzungsverhalten sehr von der Vorgeschichte des Triebwerks anhängt."
Vorgeschichte heißt: Wie stark wird das Triebwerk während der Mission insgesamt beansprucht. Möglicherweise kommt es nicht erst bei der Landung zum Einsatz: "Vor der Landung hat man jede Menge andere Phasen, wo Antennen ausgeklappt werden oder Solarpaneele ausgefahren werden, wo vielleicht noch einmal die Lage des Raumfahrzeugs geändert werden muss. Da könnten diese Triebwerke zu verschiedenen anderen Phasen schon einmal zum Einsatz gekommen sein", so Grabe.
Außerirdisches Leben - oder Treibstoffreste?
Bei Missionen zu fremden Himmelskörpern wird es unvermeidbar sein, dass sie kontaminiert werden. Diese Verschmutzungen können Bodenproben verfälschen und bei den Analysen in die Irre führen. Die Göttinger Forschung hilft, durch Triebwerke eingebrachte chemische Verbindungen von Spuren extraterrestrischen Lebens zu unterscheiden.