Überschwemmungen in Libyen Wenn man nicht mal die eigene Familie beerdigen kann
Tausende Menschen sind im libyschen Darna durch die Überschwemmungen gestorben. Hinter diesen Zahlen stehen auch Tausende Einzelschicksale. So wie das des Feuerwehrmanns Salim, der seine ganze Familie verloren hat.
Aus der Ferne ist er nur ein kleiner roter Punkt zwischen dem unendlichen Grau der Trümmer von Darna: An eine halb zusammengebrochene Hauswand gelehnt, hockt Salim in seinem roten Feuerwehranzug inmitten der völligen Zerstörung. Er wartet nicht. Er weint nicht. Der Feuerwehrmann sitzt einfach nur da - hier, bei seinem Haus. Ganz nah bei seinen Liebsten.
Ich war im Dienst in der Flutnacht. Wir waren im Einsatz und haben Leute evakuiert, rausgeholt aus den Häusern auf der anderen Stadtseite, weil es so heftig regnete. Ich war nicht zu Hause.
Dann bricht der Damm, Wassermassen schießen durch Darna. Als Salim vom Einsatz zurückkommt, muss er feststellen: Sein Haus gibt es nicht mehr. Das Wasser hat ein mehrstöckiges Nachbarhaus aus der Verankerung gerissen und um mehrere Dutzend Meter verschoben, sagen Anwohner. Das Haus von Salim wurde unter den Trümmern begraben.
Und irgendwo da unten liegen sie vermutlich noch immer: Fatih und Ibrahim hießen seine beiden Söhne, fünf und zehn Jahre alt. Und seine Frau. Sie sind einfach nicht mehr da. Niemand hat sie bislang gefunden. "Die Einzige, die wir gefunden haben, ist meine Mutter", sagt Salim. "Sie wurde von den Fluten bis ans Ende der Straße mitgerissen, konnte sich aber an einem Stahlträger festhalten. Ich fand sie dort. Sie war als einzige am Leben."
Die Innenstadt von Darna gleicht einer Geisterstadt. Tausende Menschen werden vermisst.
Beerdigung unmöglich
Jeden Tag kommt Salim hierher, zu den Trümmern seines Hauses, schon am frühen Morgen - und geht erst abends, wenn es dunkel wird. Schlafen kann er eh nicht. Die Bagger lärmen an einer anderen Stelle. Es sind viel zu wenige Räumfahrzeuge da für das Ausmaß der Zerstörung in Darna. Die Aufräumarbeiten kommen nur schleppend voran, die Anwohner leben in Notunterkünften oder bei Verwandten - die Innenstadt von Darna gleicht einer Geisterstadt.
Hoffnung, Überlebende zu finden gibt es eh keine mehr, zwei Wochen nach der Katastrophe. Überall werden noch Leichen unter den Trümmern vermutet, der Geruch des Todes, der Verwesung ist an vielen Stellen wahrnehmbar. Tausende Menschen gelten noch immer als vermisst. Und solange er seine Liebsten nicht beerdigen kann, will Salim hier sitzen bleiben.
Alaa bringt Kekse und Datteln
So findet ihn Alaa, ein Freund und Nachbar - die beiden kennen sich schon seit Kindertagen. Alaas Familie hat überlebt. Der Freund hat eine große Picknickdecke mitgebracht, die er auf den Steinen ausbreitet. Er macht Feuer in einer Mulde zwischen den Trümmern, kocht Tee und bringt Zigaretten, Datteln und Kekse.
Alaa ist einfach da, bei Salim, den ganzen Tag. "Ich komme jeden Morgen hierhin, ich mache mir Sorgen, dass Salim eine Depression bekommt. Seine Sorgen sind meine Sorgen. Schon unsere Großväter waren befreundet, unsere Familien sind seit mehr als 100 Jahren Nachbarn. Seine Not hat mich sehr berührt. Ich kann ihn doch hier nicht alleine lassen."
Alaa (Mitte) und Salim (rechts) sitzen mit weiteren Männern zwischen den Trümmern eines Hauses.
Kollektive Trauer
Als die Sonne langsam sinkt und die Schatten der Trümmer länger werden, gesellen sich noch weitere Männer zu den beiden Freunden dazu. Sie alle haben ihre Geschichte, sie alle haben Opfer zu beklagen. Eine Palme ragt aus den Trümmern heraus. Eigentlich war hier mal ein öffentlicher Garten, berichten sie - ein schöner Ort.
Die Picknickdecke inmitten der Zerstörung wird zu einer Insel der Erinnerungen. Gemeinsam sitzen sie, rauchen, trinken Tee und starren auf die Ruinen. Mal weint einer. Dann klopft ihm ein anderer auf die Schulter. Es ist, als hätte das Schicksal sie hier vergessen, die alten Männer von Darna. Und Salim sitzt dabei und schweigt.