Nach dem Erdbeben Was wird aus Marokkos wichtigstem Monument?
Das wohl bedeutendste Sakralbauwerk Marokkos ist beim Erdbeben nahezu zerstört worden. Die Moschee von Tinmel war für die Region von immenser wirtschaftlicher Bedeutung. Nun hofft man auf einen "Notre-Dame-Effekt".
Neben der noch immer imposanten Ruine der Moschee von Tinmel hebt ein Bagger eine tiefe, längliche Grube aus. Wird es eine Grabstelle? Nein, sagt der örtliche Lehrer, Abdelaziz el Laasri. Die Grube neben Marokkos wohl wichtigstem Monument diene als Latrine für Frauen und Kinder. Alle 15 Toten in der Ortschaft seien bereits gefunden und bestattet worden. Ein Bauarbeiter starb unter den Trümmern der mittelalterlichen Moschee.
Tinmel liegt fast im Epizentrum des jüngsten Erdbebens in Marokko, etwa 100 Kilometer südwestlich von Marrakesch. Noch am Morgen habe die Erde ein weiteres Mal gebebt, erzählt el Laasri, der sichtlich unter Schock steht: Er habe Angst, ganz klar, sagt der 37-jährige Lehrer, der mit Frau und drei kleinen Kindern überlebte und jetzt im Zelt haust.
Während wir miteinander reden, überquert ein Transporthubschrauber das Gipfelmassiv. Er versorge schwer erreichbare Dörfer aus der Luft, erklären uns Dorfbewohner in Tinmel.
Gestank der Verwesung dringt aus Trümmern
Ihr zu 80 Prozent zerstörter Ort sieht aus wie nach einem Bombenangriff, kann aber je nach Stau und Steinschlag in etwa drei bis vier Stunden mit dem Auto von Marrakesch aus erreicht werden. Aus den Trümmern dringt der Gestank der Verwesung, es sind die Kadaver der Tiere aus dem Erdgeschoss der eingestürzten Häuser: Kühe, Schafe und Kaninchen konnten nicht geborgen werden.
Mehr als um seine zerstörte Schule oder die nächste Mahlzeit sorgt sich Lehrer el Laasri vor allem um Tinmels weltberühmte Moschee: "Wir haben unsere Moschee verloren, ohne sie gibt es keinen Ort Tinmel. Sie ist aus dem 12. Jahrhundert und sehr wichtig. Ständig kamen Touristen aus aller Welt zu uns, mindestens 20 bis 50 Gruppen am Tag, um dieses Gebäude zu sehen. Und außerdem steht sie für unsere Geschichte, für unsere Herkunft."
Wichtig wie keine zweite Moschee in Marokko
In Tinmel ist der Gründer des Almohaden-Königreichs bestattet, Ibn Tumart. Er dehnte das maghrebinische Königreich vor 900 Jahren von der Sahara bis nach Spanien und Tunesien aus und integrierte die Berbervölker des Hohen Atlas in die Welt des Islam. Diese Moschee sei so wichtig wie keine zweite in Marokko, sagt der Kulturwissenschaftler Ahmed Skounti, Professor an der Universität Rabat und Berater der UNESCO: "Sie sticht heraus, weil sie der Prototyp einer Moschee war, die drei Mal nachgebaut wurde, in Marrakesch, Rabat und Sevilla."
Stilbildend wirkte vor allem der mächtige quadratische Turm, von dem in Tinmel nur ein Stumpf übrig geblieben ist. Als in Marokko am 8. September die Erde bebte, war die groß angelegte Restaurierung des mittelalterlichen Gebetshauses fast beendet. Was soll nun damit geschehen?
Skounti ist etwas ratlos: "Das ist eine sehr schwierige Frage. Sie erinnert mich an den Fall von Notre-Dame in Paris und den Streit um die Restaurierung dort. Die Spezialisten müssen darüber noch befinden."
Hoffnung auf Restaurierung
Zu den einflussreichen Spezialisten gehört aber auch Skounti selbst. Er hofft, dass wie im Fall von Notre-Dame auch für Tinmel reichlich Spenden fließen. Was mit Tinmel geschehe, sei aber nicht losgelöst vom Erhalt anderer Kulturstätten, sagt Skounti. Rund 25 davon seien beim Erdbeben beschädigt oder gar zerstört worden, heißt es in marokkanischen Medien, sowohl in Marrakesch als auch in den Bergen. Laut Skounti gibt es jedoch noch keine verlässliche Liste aller Schäden.
Vor der Moschee von Tinmel deuten wie Strohhalme geknickte Gerüststangen auf die Gewalt des Bebens hin, dazu kommt jede Menge Schutt. Doch der Lehrer el Laasri findet, der Bau sei noch ganz gut erhalten: Der Bau sei nur zu 50 Prozent zerstört. Man könne ihn restaurieren.
Für den Lehrer in Tinmel steht eines außer Frage: Sein Dorf und seine Moschee müssten wieder aufgebaut werden.