Überschwemmungen in Ostlibyen Das Dorf, das es nicht mehr gibt
Sie dachten, in den Bergen seien sie sicher: Doch auch in Ostlibyen hat die Flutkatastrophe ganze Dörfer zerstört. Zurück bleiben verzweifelte Angehörige.
Während draußen die Bagger lärmen, um die Schuttberge zur Seite zu schieben, ist es drinnen im Haus ganz still. Über dem Eingang hängt noch das Bild mit einer Sure aus dem Koran - Allah möge Segen bringen.
Fast bis zur Decke hat das Wasser hier vor einer Woche noch gestanden. Übrig geblieben ist nur der rote Schlamm. Zentimeterdick bedeckt er den einst schönen Teppichboden im Wohnzimmer, jeden Winkel im Haus, alle Möbel liegen hochgeschwemmt und sinnlos durcheinander gespült auf dem Boden. Dazwischen: das leuchtend rote Vorderrad von einem Kinderfahrrad. Vor Kurzem war hier die Welt noch in Ordnung. Die Mutter und ihre drei Kinder sind in den Fluten ertrunken.
"Konnten uns mit Sprung aus dem Fenster retten"
"Das Wasser kam ganz plötzlich", berichtet Mohammed. Er ist einer der Nachbarn der Familie im Dorf Wardeah in Ostlibyen. "Es schoss ins Tal. Ich konnte meine Familie und mich nur retten, weil wir aus dem Fenster gesprungen sind und dann auf den Berg gelaufen sind."
Mohammed hat jetzt einen angeschwemmten Baum im Wohnzimmer liegen. Er deutet auf einen Haufen aus Metallstücken - offenbar ein altes Bettgestell, das mitten auf dem großen freien Platz im Dorf liegt. "Hier haben wir den Säugling der Nachbarsfamilie gefunden", sagt er traurig.
An das Nachbarhaus auf der anderen Seite erinnern nur noch ein paar lose Ziegelsteine - der Rest, das komplette Gebäude samt Bewohnern, wurde einfach weggewaschen. Ein Schuh liegt mitten im Schlamm - an einem Ort, der vor Kurzem noch ein Zuhause war.
In den Dörfern stehen viele zerstörte und komplett verschlammte Autos.
Gefahr kam aus den Bergen
"Mein Schwager war extra mit seiner Familie von der Küste hierher in die Berge gekommen", erzählt Mohammed. "Sie glaubten, hier sicher zu sein vor dem Sturm."
Doch die Gefahr kam aus den Bergen, nicht vom Meer. Auch außerhalb der am meisten betroffenen Stadt Darna haben Menschen bei den Überflutungen nach heftigen Regenfällen ihr Zuhause verloren. Ihre Schicksale erschüttern, viele der Anwohner bangen um ihre Existenz.
Inkubatoren und Brutkästen trocknen im Freien
Wenige Kilometer von Mohammeds Zuhause entfernt im Nachbarort Bayada fassen alle mit an. Auch hier kamen die Wassermassen, auch hier hat keiner mehr ein Zuhause. Vor jedem Haus stehen Familien, klauben Erinnerungsstücke aus dem Dreck und räumen den Schlamm aus den Wohnungen.
Vor allem im örtlichen Krankenhaus ist jede Hilfe willkommen. Das Wasser stand in den modernen Behandlungsräumen bis zur Decke - wie durch ein Wunder war in der fraglichen Nacht niemand in Behandlung, es gibt nur Sachschäden. Diese sind aber immens - im Freien trocknen jetzt Inkubatoren, Brutkästen für Neugeborene und Behandlungstische. Vieles davon mit moderner Technik ausgestattet, jetzt verkrustet mit Schlamm.
Alle packen mit an: In Bayada hilft ein Anwohner dabei, die Geräte aus dem Krankenhaus ins Freie zu tragen.
Mädchen starb an Skorpionbiss - Gegengift lag in den Trümmern
"Wir müssen alles erst mal säubern und dann überprüfen, was überhaupt noch funktioniert", sagt Dorfbewohner Ibrahim. "Sonst müssen wir es reparieren lassen. Wir haben kein Wasser keinen Strom, und unsere Autos sind durch die Flut zerstört worden."
Wann sie wieder ein Krankenhaus haben werden? Ibrahim zuckt mit den Schultern. Bis es so weit ist, müssen sie weit fahren für ärztliche Behandlungen - bis zur nächsten Stadt. Wenn sie denn fahren können. Ein kleines Mädchen sei vergangenen Woche - wenige Tage nach der Flut - gestorben, erzählt er. "Sie wurde von einem Skorpion gebissen." Das Gegengift läge noch immer irgendwo hier, in den Trümmern des zerstörten Krankenhauses. Für das Kind kam jede Hilfe zu spät.