Nicaragua schiebt 222 Häftlinge ab Verbannung als Preis der Freiheit
Die Regierung Nicaraguas hat 222 politische Gefangene freigelassen und in die USA überführt. Aktivisten atmen auf, dennoch überwiegt die Ernüchterung: Die Abschiebung gleicht einer Verbannung ins Exil.
"Ortega wird fallen!", skandierten Aktivistinnen und Familienangehörige im Chor, während sie auf die 222 politischen Gefangenen am Flughafen in Washington warteten. Am späten Vormittag landete ein Privatflugzeug mit den ehemaligen Häftlingen aus Nicaragua. Unter ihnen waren auch viele Studenten, die an Protesten im Jahr 2018 teilgenommen hatten. Sicherheitskräfte hatten die Demonstrationen damals blutig niedergeschlagen. Mehr als 300 Menschen kamen ums Leben, Tausende wurden verletzt.
Auch die frühere sandinistische Guerillakommandantin Dora María Téllez, ehemals Weggefährtin Ortegas im Kampf gegen den einstigen Diktator Anastasio Somoza, war an Bord der Maschine. Ebenso die Journalistin Cristiana Chamorro und ihr Bruder Juan Sebastian Chamorro.
Vor den letzten Präsidentschaftswahlen waren die beiden Geschwister als Gegenkandidaten angetreten und genau wie viele andere Oppositionelle ließ sie der amtierende Präsident Daniel Ortega kurzerhand verhaften, um sie auszuschalten. Nach seiner Ankunft zeigt sich Juan Sebastian Chamorro erleichtert: "Es ist ein sehr emotionaler Moment. Unter uns sind Leute, die mehr als drei Jahre hinter Gittern waren".
Der nicaraguanische Oppositionsführer Felix Maradiaga ist ebenfalls unter den Freigelassenen und in den USA wieder mit seiner Familie vereint.
Freilassung kommt Verbannung gleich
Die Botschaft der Freilassung ging um die Welt. Die nicaraguanische Schriftstellerin Gioconda Belli erreichte die Nachricht in Madrid: "Ich bin so froh, dass sie aus diesen Kerkern endlich raus sind, in denen sie unter schlimmsten Bedingungen lebten und praktisch zum Tode verurteilt waren", sagte Belli. Es hätte keine medizinische Versorgung gegeben, außerdem seien die Gefangenen dem Hungertod nahe gewesen. "Aber genau diese Verbannung zeigt die Brutalität des Regimes und die fehlende Gerechtigkeit."
Belli lebt derzeit selbst im Exil in Madrid, weil sie ihre Heimatstadt Managua nach massiven Drohungen verlassen musste. Sie zählt zu den größten Kritikerinnen der autoritären Regierung von Daniel Ortega und seiner Frau Rosario Murillo. Die politischen Gefangenen seien jetzt zwar frei, gleichzeitig wurden sie aber abgeschoben, sagt Belli.
Mit der Abschiebung wurden die ehemaligen Gefangenen förmlich aus ihrer Heimat verbannt, meint die Schriftstellerin. Man hätte ihnen so alle Rechte als Staatsbürger genommen. Natürlich sei die Freilassung auch eine große Erleichterung für die Familien. Aber die Ungerechtigkeit in Nicaragua ginge trotzdem weiter.
US-Außenminister Blinken sieht Möglichkeit für Dialog
Am Donnerstag hatte das Parlament eine Verfassungsreform durchgewunken, um den Abgeschobenen die nicaraguanische Staatsbürgerschaft zu entziehen. Im Gericht verlas der Richter die Begründung für die Abschiebung live während einer Fernsehübertragung:
Im Einklang mit der Resolution vom 8. Februar 2023 veranlassen wir die sofortige Ausweisung von 222 Personen. Sie wurden wegen Handlungen verurteilt, die die Unabhängigkeit, Souveränität und Selbstbestimmung des Volkes untergraben, wegen Anstiftung zu Gewalt, Terrorismus und wirtschaftlicher Destabilisierung, aber auch wegen Schädigung der höchsten Interessen der Nation.
Die Entlassung kam überraschend, man hatte die Familienangehörigen vorab nicht informiert. US-Außenminister Antony Blinken begrüßte die Freilassung und erklärte, dies ermögliche einen weiteren Dialog zwischen den USA und dem zentralamerikanischen Land.
Nicaragua in tiefer politischer Krise
Roy Molina, einer der Aktivsten, der die entlassenen Gefangenen am Flughafen in Washington erwartete, gibt sich kämpferisch: "Das ist nur der erste Schritt. Wir werden Nicaragua befreien, damit es wieder demokratisch wird. So wie wir den Diktatur Somoza gestürzt haben, werden wir es auch mit Daniel Ortega und Rosario Morillo schaffen."
Nicaragua befindet sich seit Jahren in einer politischen Krise. Die Regierung geht repressiv gegen alle vor, die Kritik üben: Seien es Medien, Nichtregierungsorganisationen oder die Kirche, die lange Zeit als ein Zufluchtsort für kritische Stimmen galt und selbst immer mehr zu einer geworden ist.
Die Entscheidung für die Abschiebung erfolgte nur wenige Tage nachdem unter anderem fünf katholische Priester am Wochenende von einem Gericht in Nicaragua zu hohen Haftstrafen aufgrund von "Verschwörung" verurteilt wurden.
Es herrsche ein Klima der Angst in Nicaragua, sagt ein anonymer Kontakt aus der Kirche: "Wir können hier nichts unbeobachtet machen - ohne dass es die Polizei oder die Regierung mitbekommt. Wir werden alle kontrolliert."