Vor Scholz-Besuch in Washington Unverständnis über deutsche Zurückhaltung
Stellt Deutschland Wirtschaftsinteressen über die Sicherheit in Europa? Viele US-Medien zweifeln in der Ukraine-Krise an Berlins Treue zum transatlantischen Bündnis - auch wenn die Biden-Regierung abwinkt.
Deutschlands Haltung im Konflikt mit Russland war vergangene Woche sogar Thema in einer Pressekonferenz mit US-Außenminister Antony Blinken. Blinken wurde gefragt, ob er denn zufrieden sei, dass die Bundesrepublik 5000 Helme an die Ukraine liefert - statt Waffen.
Vom Frust mit Berlin ist in US-Zeitungen und den Nachrichten der Fernsehsender die Rede: Alle Verbündeten würden zusätzliche Anstrengungen unternehmen, um Russlands Drohungen zu begegnen - mit einer bemerkenswerten Ausnahme, titelte die Nachrichtenseite des Fernsehsenders NBC. Gemeint ist Deutschland.
Und der Reporter der "New York Times", Michael Crowley, erzählte vor Tagen die mittlerweile bekannte Geschichte, dass britische Militärtransporter mit Panzerabwehrraketen für die Ukraine an Bord um Deutschland herum geflogen sind. Es habe gerade so gewirkt, als würden die Deutschen sagen: 'Wir wollen nicht Teil der Waffenlieferungen an die Ukraine sein', erklärte Crowley als zugeschalteter Experte im Fernsehsender MSNBC. Die Deutschen wollen nicht eskalieren, so sein Fazit - und das sei ein Problem für die Biden-Regierung.
Botschafterin Haber bei Fox News
Eine Anfrage, um den Deutschen Luftraum zu überqueren, sei von britischer Seite nie gestellt worden, hielt die deutsche Botschafterin Emily Haber im Fernsehsender Fox News dagegen. Das seien alles nur Hirngespinste, so die Diplomatin.
Mit ihrem Interview bei Fox News erreichte Haber zuerst einmal die konservative Seite Amerikas. Das könnte bedeuten, dass Berlin die Debatte über die deutsche Beteiligung vor allem als Schlagabtausch innerhalb der US-Politik sieht. Das Narrativ, dass sich die Europäer uneins sind oder sich Deutsche gegen die USA oder gar die Ukraine stellen, nütze nur einem - dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, so Haber anschließend auf Twitter.
Baerbocks Haltung macht hellhörig
Hinter all den Anekdoten und Schlagzeilen steckt in den USA folgende Überlegung: Tritt der Westen gegenüber Russland tatsächlich so geschlossen auf, wie zum Beispiel Außenminister Blinken immer wieder versichert? Blinken weiß um die Schwierigkeiten.
Anfang des Jahres war die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock zu Besuch in Washington. Sie erklärte Unterstützung für den Versuch, einen weiteren militärischen Überfall Russlands auf die Ukraine zu verhindern. Sie wies in einem Punkt aber auf Differenzen hin: Mit Blick auf die eigene Haltung habe Deutschland eben eine andere Auffassung zu Waffenexporten in die Ukraine.
Baerbock ergänzte, Deutschland habe seit 2014 beim Aufbau eines Militärhospitals geholfen. Dann kam aus die Ankündigung hinzu, 5000 Militärhelme zu liefern, und die gesamte Debatte über die Frage der deutschen Solidarität ging von vorn los.
Selbst diejenigen, die versuchen, die Haltung der Deutschen in den USA zu erklären - samt der Gesetze gegen Waffenlieferungen in Krisengebiete und der Überzeugung, alles mit Verhandlungen lösen zu können -, sagen zugleich, Deutschland könne mehr tun. Die bisherigen Zusagen reichten nicht mehr aus, erklärte der Publizist Andreas Umland bei einer Diskussion des Atlantik Council, einer Denkfabrik in Washington: "Deutschland hat Länder wie die Ukraine stark unterstützt; in der Wirtschaftsentwicklung, der Kultur, der Wissenschaft. Aber wenn es zu knallharten Machtfragen kam, hat Deutschland es häufig versäumt, seine Aussagen der Verbundenheit in politische Praxis umzusetzen."
Riss im transatlantischen Bündnis?
Stellt die Bundesrepublik ihre Wirtschaftsinteressen über die Sicherheit ihrer europäischen Nachbarn? Das ist am Ende die Frage, die in den Vereinigten Staaten dann häufig gestellt wird. Der "New York Times"-Journalist Michael Crowley formulierte es in direkt mit den Worten: Deutschland und Frankreich hätten viel zu verlieren.
Die Biden-Regierung teilt die Auffassung offenbar nicht. In seiner Pressekonferenz ging US-Außenminister Blinken nicht direkt auf die Frage nach den deutschen Helmen für die Ukraine ein. Blinken klang beinahe wie ein Vater, der eines seiner Kinder in Schutz nimmt: "Unterschiedliche Staaten haben unterschiedliche Aufgaben, verschiedene Fachgebiete", sagte er. "Und wir setzten das alles um, aber eben so, dass es sich ergänzt. Und es folgt der gemeinsamen Verpflichtung, die Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine zu verteidigen." Er sei vollkommen überzeugt, dass Deutschland an der Seite der USA steht, wenn sie gemeinsam der russischen Aggression gegenüber der Ukraine entgegentreten, sagte Blinken.
Die Spekulationen, ob nicht doch irgendwo ein Riss in der transatlantischen Koalition zu erkennen ist, wird er damit kaum stoppen. Spätestens zum Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz taucht die Frage nun wieder auf.