USA beim NATO-Gipfel Der lange Schatten des Donald Trump
US-Präsident Biden hat den Verbündeten in Europa unverbrüchliche Treue geschworen. Doch wird er 2025 noch im Amt sein? Vor Beginn des NATO-Jubiläumsgipfels in Washington wächst die Sorge vor einem Machtwechsel in Washington.
Dass Joe Biden US-Präsident war, als der russische Angriffskrieg auf die Ukraine begann, haben viele Europäer als Glücksfall empfunden. Biden reagierte sofort, hielt die NATO zusammen, telefonierte mit den wichtigsten Staats- und Regierungschefs und sagte der Ukraine schließlich umfangreiche Unterstützung zu. Seitdem warnt der US-Präsident immer wieder, ohne entschiedene Gegenwehr werde Russland nicht in der Ukraine Halt machen, Putin werde weitermachen und Europa und die USA, ja die ganze freie Welt in Gefahr bringen.
Die unsichere Variable Trump
Ganz anders Donald Trump, der in den meisten Umfragen vor der US-Präsidentschaftswahl im November vorn liegt. Trump behauptet nicht nur, den russischen Angriffskrieg innerhalb von 24 Stunden beenden zu können. Er droht europäischen Verbündeten auch mit einem Ende der NATO-Beistandspflicht. Trumps Prinzip: ein Land, das zu wenig Geld für Verteidigung ausgibt, würde im Fall eines russischen Angriffs von den USA nicht mehr verteidigt.
Stattdessen würde er "Russland ermutigen, zu tun, was immer zum Teufel es wolle", so Trump in einer Wahlkampfrede. An die Europäer gewandt, ergänzte er: "Ihr müsste Eure Rechnungen bezahlen!"
Nach Ansicht von Mark Esper, eineinhalb Jahre lang Verteidigungsminister unter Trump, würde dieser in einer zweiten Amtszeit mit vielen seiner Drohungen Ernst machen. Falls Trump erneut ins Amt kommt, werde er die Ukraine-Hilfe der USA stoppen, so Esper bei CNN. Das würde zu einem Kollaps der gesamten westlichen Hilfe führen, meint er und zieht einen Vergleich: Ziehe man aus einem Turm von Bauklötzen den mit Abstand größten Klotz heraus, stürze alles zusammen.
Ein Ende der NATO, wie wir sie kennen?
Die Drohungen Donald Trumps hängen wie eine dunkle Wolke über dem Gipfel von Washington. "Artikel 5 ist der Grundstein der NATO", sagt Elisabeth Braw von der Denkfabrik Atlantic Council in Washington. Stünden die USA nicht mehr zum Prinzip, dass ein Angriff auf ein NATO-Land einen Angriff auf alle bedeutet und man sich gemeinsam verteidigt, wäre der zentrale Wert des Bündnisses dahin.
"Die NATO wäre schlicht nicht mehr die NATO, die wir kennen", so Braw. Trump müsste dazu gar nicht den Austritt aus dem Bündnis erklären - schon eine deutliche Verringerung der US-Leistungen würde die NATO ins Mark treffen.
Alle Augen auf Biden
Was die Wolke über dem Gipfel von Washington noch dunkler macht, ist die ungeklärte Lage in Bidens demokratischer Partei. Seit der für Biden desaströsen TV-Debatte ist unklar, ob der 81-Jährige Kandidat seiner Partei bleiben kann. Biden steht auch beim NATO-Gipfel unter besonderer Beobachtung. Jede Bewegung, jeder Satz des US-Präsidenten wird auf die Frage hin überprüft werden: Ist er noch fit genug für das Amt?
Ein geschwächter Biden als Gastgeber, Trump als unsichtbarer Gast im Hintergrund - keine guten Voraussetzungen für einen Jubiläumsgipfel. Kann die NATO zum 75. ein Signal der Einheit und Stärke aussenden? Ein wirksames neues Hilfspaket für Ukraine schnüren? Einigkeit beim künftigen "burden sharing" erzielen - also der Frage, wer militärisch wieviel zahlt? Es wird schwer für die NATO-Führungsmacht USA, den Gipfel von Washington zum Erfolg zu machen.