Rede zur Lage der Nation Biden muss zeigen, dass er fit ist
Jedes Jahr müssen US-Präsidenten vor dem Kongress Rechenschaft ablegen. Joe Biden hat heute viel vor - vor allem aber muss er die Zuschauer überzeugen, dass er fit ist. Es könnte die wichtigste Rede seiner Karriere sein.
Hollywood-Fans kennen das Szenario: Das US-Kapitol ist während der Rede zur Lage der Nation, der "State of the Union Address" des Präsidenten, angegriffen worden. Die Regierung, der Kongress, der Präsident - alle sind tot. Nur ein Hinterbänkler nicht, und er wird nun Präsident.
Das gibt es zwar nur in Hollywood. Wahr ist aber, dass heute Abend tatsächlich ein Mitglied der Regierung nicht dabei ist, wenn der Präsident seinen Bericht zur Lage der Nation abgibt - damit zumindest ein Kabinettsmitglied überlebt, sollte es tatsächlich einen tödlichen Angriff geben.
Wahr ist auch, dass es stets Minister mit weniger wichtigen Ressorts sind, die den Abend an einem geheimen Ort verbringen: Landwirtschaft, Arbeit, Wohnungsbau zum Beispiel. Und wahr ist, dass in den vergangenen Jahrzehnten nur zwei Frauen dieser Job zugetraut wurde.
Wichtige politische Botschaften
Die Verfassung schreibt vor, dass der Präsident dem Kongress regelmäßig Rechenschaft ablegen muss. Daraus entstand die jährliche "State of the Union Address". Seit den 1920er-Jahren wird sie im Radio übertragen, seit Ende der 1940er-Jahre auch im Fernsehen. Die Zuschauerzahlen schwanken zwischen mehr als 60 und weniger als 30 Millionen Menschen - je nach Präsident und politischer Lage.
Oft nutzen die Präsidenten ihre Reden für wichtige politische Statements, wie 2006, als George W. Bush forderte, die Welt müsse verhindern, dass der Iran Atomwaffen bekommt. Barack Obama feuerte 2010 eine Vielzahl von politischen Ideen ab, darunter den Vorstoß, homosexuellen Männern künftig den Dienst im Militär zu erlauben. Immer dabei ist das Beschwören der US-amerikanischen Einzigartigkeit und der Appell an die Einigkeit der USA.
Trump veränderte den Ton
Donald Trump fiel als Präsident aus der Reihe. Seine Reden zur Lage der Nation waren Wahlkampfshows, aggressiv im Ton, polarisierend in der Botschaft. Und dann gab es 2020 einen atemberaubenden Moment für die TV-Kommentatoren, als Nancy Pelosi, die Vorsitzende des Abgeordnetenhauses, mit ruhigen Bewegungen ihr Exemplar von Trumps Redemanuskript zerriss.
Die Zeiten des höflichen Zuhörens sind vorbei. Präsident Joe Biden musste sich voriges Jahr als Lügner beschimpfen lassen und ließ sich gerne auf ein Scharmützel mit den Republikanern ein.
Gelegenheit, Wähler zu überzeugen
So schlagfertig und präsent zu sein wie 2023, das wird ein Ziel Bidens heute Abend sein - seit immer mehr Wähler bezweifeln, dass er fit genug für das Amt ist. Und es ist eine der raren Gelegenheiten, bei denen er Millionen Menschen im Wahljahr erklären kann, warum er der Richtige für die nächsten vier Jahre ist.
Er werde darüber sprechen, auf wessen Seite er stehe und über seinen Plan, das Leben aller Amerikaner und Amerikanerinnen zu verbessern, sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, diese Woche.
Und Biden werde an die Bedeutung der USA für die Welt erinnern. Dass die Ukraine an Boden verliert, liegt nach Auffassung Bidens an der Untätigkeit des Kongresses. "Es spielt eine Rolle, ob wir handeln oder nicht", sagte Jean-Pierre.
Ob Bidens Rede heute ein Erfolg wird, hängt weniger davon ab, was er sagt als vielmehr, wie er es sagt. Die Botschaft kann noch so mitreißend sein: Sobald er sich verhaspelt oder patzt, wird das die Wahrnehmung bestimmen und nichts anderes.
Das Erste berichtet am 8. März ab 2.50 Uhr im Weltspiegel Extra live über die Rede zur Lage der Nation.