Reaktionen auf Nahost-Krieg "Atmosphäre der Angst" an US-Uni
Kaum jemand will sich zum Nahost-Krieg offen äußern - und doch brodelt es an US-Universitäten. Jüdische wie muslimische Studierende fühlen sich verunsichert und bedroht, in der Empörung wird nicht immer differenziert.
Protest gegen Israels Kriegsführung im Gazastreifen an der Johns Hopkins-Universität in Baltimore: Rund 150 Studierende sind gekommen, manche Redner sprechen angesichts der steigenden Zahl palästinensischer Opfer von "Genozid", Völkermord. Ein weiteres strittiges Schlagwort fällt mehrfach bei der Kundgebung: "Doxxing", das gezielte Veröffentlichen privater Daten im Internet - in diesem Fall von Studierenden, die für oder gegen Israel Stellung beziehen. Viele fühlen sich so unter Druck gesetzt.
Ein Student, der seinen Namen lieber nicht nennen will, sagt nach der Kundgebung zur Stimmungslage: "Die Stimmung ist extrem kritisch gegenüber Israel im Moment. Aber ich möchte auch sagen: Es ist keine antisemitische Haltung. Es ist eine Haltung gegen einen von Israel verübten Genozid."
Die meisten Studierenden wollen sich nicht vor dem Mikrofon äußern. Hinter vorgehaltener Hand ist von einer "Atmosphäre der Angst" die Rede. Angst, etwas Falsches zu sagen, Angst auch - sowohl bei jüdischen als auch muslimischen Studierenden - um die eigene Sicherheit. "Ja, das ist ein Thema, das vielen zunehmend Sorgen macht", sagt Ilil Benjamin, Dozentin für Soziologie und selbst Israelin.
Sie habe gerade mit einer ihrer jüdischen Studentinnen gesprochen, die sich seit den Hamas-Terrorattacken am 7. Oktober immer unsicherer fühle, weil die Zahl antisemitischer Vorfälle in den USA steigt - Hakenkreuz-Schmierereien, Drohungen, körperliche Übergriffe. Das gab es an der Universität in Baltimore noch nicht, aber alle verfolgen die Nachrichten zu diesem Thema mit Hochspannung.
"Wenig nuancierte Diskussion"
Auch die deutsche Historikerin Victoria Harms unterrichtet an der Johns Hopkins-Universität. Sie sieht in der aufgeheizten Debatte in den USA Parallelen zu Deutschland: "Wie wenig nuanciert häufig diskutiert wird, wie schnell pauschalisiert wird, wie schnell Statements, Aussagen aus dem Kontext genommen werden. Ich glaube, das passiert gerade in den USA ebenso wie in Deutschland."
Harms findet das "unglaublich problematisch": "Einen - wenn das überhaupt möglich ist - besonnenen Diskurs zu führen, das ist gerade unglaublich schwer." Dabei gebe es auch unter jüdischen Studierenden einige, die das Vorgehen der israelischen Armee sehr kritisch sehen, sagt Harms.
Studierende äußern sich nur anonym
Auch in der Cafeteria der Universitätsbibliothek wollen sich nicht viele offen äußern. Wer etwas sagt, tut es anonym. "Man spricht nicht wirklich über das Thema", so eine der Stimmen. "Vor allem, wenn man Freunde auf beiden Seiten hat. Auch weil die Universitätsleitung eine problematische Haltung vertritt. Sie hat sich anfangs geweigert, mit palästinensischen oder anderen arabischen oder muslimischen Organisationen zu sprechen, nur jüdische Studentenvertretungen wurden eingeladen. Es ist eine Universitätskultur, die dazu neigt, nur auf die Bedürfnisse jüdischer Studierender einzugehen."
Ein weiterer Vorwurf, der von Studierenden zu hören ist: Die Universität profitiere von Geldern der Rüstungsindustrie. "Es gibt Forschungskooperationen, Investitionen von US-Rüstungsfirmen hier, und verschiedene Gemeinschaftsprojekte mit dem Verteidigungsministerium."
Kritik auch von linken Demokraten
Dass die US-Regierung zu einseitig Israel unterstütze, ist ein Vorwurf, der nicht nur an Universitäten zu hören ist, sondern auch von Kongressabgeordneten, die zum linken Flügel von Präsident Joe Bidens demokratischer Partei gehören. Das kann für Biden problematisch werden: Er braucht im Präsidentschaftswahlkampf nicht nur die Unterstützung der politischen Mitte, sondern auch der eigenen Parteilinken. Und er braucht Stimmen jüngerer Wählerinnen und Wähler, auch der Studierenden an Universitäten.
Noch ist es keine wirkliche Anti-Kriegs-Bewegung in den USA, doch je länger der Krieg in Nahost dauern wird, je stärker die USA möglicherweise involviert sind, desto hitziger dürfte die Debatte werden - nicht nur auf dem Campus in Baltimore.