Ein Porträt von Alexej Nawalny, Kerzen und Blumen sind an einer Gedenkstätte niedergelegt.
Porträt

Kremlkritiker Nawalny Putins Angstgegner

Stand: 16.02.2024 17:24 Uhr

Seinen Namen sprach Russlands Präsident Putin nie öffentlich aus, stattdessen bezeichnete er Alexej Nawalny als "diese Person". Der Kremlkritiker galt als Putins gefährlichster innenpolitischer Gegner. Ein Porträt.

Kein russischer Oppositionspolitiker ist Russlands Präsidenten Wladimir Putin je so gefährlich geworden wie Alexej Nawalny. Nun ist er russischen Angaben zufolge in einer Strafkolonie in Sibirien im Alter von 47 Jahren gestorben. Die Ursache ist bislang unbekannt. Nawalnys Tod reiht sich ein in eine Serie von mitunter rätselhaften Todesfällen, hinter denen russische staatliche Stellen vermutet werden.

Nawalny wuchs in der Nähe von Moskau auf. Er machte einen Abschluss in Rechtswissenschaften und einen weiteren in Finanzwesen, arbeitete als Anwalt und verbrachte dank eines Stipendiums einige Zeit in den USA an der Eliteuniversität Yale. Vor allem mit seinem Kampf gegen Korruption im Staatsapparat unter Putin machte sich der Jurist viele Feinde unter den Mächtigen des Landes.

Kremlkritiker Alexej Nawalny

Ein Kämpfer gegen Putins Machtapparat

Alexej Nawalny

Alexej Nawalny hat seinen jahrelangen Kampf gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin wie viele prominente Kremlkritiker vor ihm mit dem Leben bezahlt. Der berühmteste politische Gefangene des Landes starb am 16. Februar im Alter von 47 Jahren nach Angaben der Justiz in einer sibirischen Strafkolonie.

Alexej Nawalny

Der Jurist trat im Jahr 2000 der Partei Jabloko bei, einem Sammelbecken demokratisch-liberaler Kräfte in Russland. 2007 wurde er aus der Partei ausgeschlossen. Ab 2013 war Nawalny unter anderem Vorsitzender der 2012 als Volksallianz gegründeten Fortschrittspartei.

Alexej Nawalny

Bekannt wurde Nawalny ab 2009 als Blogger mit Beiträgen zur Korruption in Staatsunternehmen auf seiner Website LiveJournal. Sowohl russische als auch internationale Medien wurden so auf ihn aufmerksam.

Alexej Nawalny

2011 gründete Nawalny die über Spenden finanzierte Nichtregierungsorganisation "Fonds zur Korruptionsbekämpfung". Zusammen mit seinem Team recherchierte er über staatliche Veruntreuung und Korruption.

Alexej Nawalny

Am 5. Dezember 2011 wurde er festgenommen und zu 15 Tagen Haft verurteilt, weil er als Redner auf Kundgebungen gegen Wahlmanipulationen aufgetreten war, die schließlich niedergeschlagen wurden.

Alexej Nawalny

Jahrelang hatte Russlands Justiz versucht, ihm Gesetzesverstöße nachzuweisen. 2012 erhebt sie Anklage gegen ihn. Ihm wurde vorgeworfen, 10.000 Kubikmeter Holz des Betriebs Kirowles im Wert von umgerechnet mehreren 100.000 Euro veruntreut zu haben. Beobachter sprachen von politischer Willkürjustiz. Trotz seiner Verurteilung wurde er wieder auf freien Fuß gesetzt.

Alexej Nawalny

Dadurch konnte er seinen Wahlkampf in Moskau fortsetzen. Dort bewarb er sich bei der Bürgermeisterwahl im September 2013 um Russlands drittmächtigsten Posten (nach Präsident und Ministerpräsident) und landete mit respektablen 27,2 Prozent der Stimmen auf dem zweiten Platz hinter dem Putin-nahen Amtsinhaber Sergej Sobjanin (51,4 Prozent).

Alexej Nawalny

Im Dezember 2016 kündigt Nawalny seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen im März 2018 an.

Alexej Nawalny

Es begannen massive Einschüchterungsversuche der russischen Behörden. Zudem wurde Nawalny Opfer von tätlichen Angriffen und musste sich nach einer Säureattacke einer Augenoperation unterziehen.

Alexej Nawalny

Nach einer Demonstration, zu der er aufgerufen hatte, wurde er im März 2017 festgenommen und zu 15 Tagen Arrest verurteilt. Anlass für die Proteste waren Enthüllungen von Nawalnys Stiftung über ein Korruptionsnetz und die angebliche Verstrickung von Ministerpräsident Dimitrij Medwedew.

Proteste in Moskau im Juni 2017.

Auch im Juni 2017 brachte Nawalny bei Anti-Korruptions-Protesten in zahlreichen russischen Städten trotz aller Schikanen der Behörden wieder Zehntausende auf die Straße, was ihm selbst einen weiteren Arrest einbrachte. Die Süddeutsche Zeitung errechnete, dass Nawalny seit der Verkündigung seiner Präsidentschaftskandidatur "im Schnitt jeden fünften Tag hinter Gittern verbracht" habe.

Ein Richter spricht in einem Moskauer Gericht.

Im Dezember 2017 lehnte die zentrale Wahlkommission mit Verweis auf seine Vorstrafen die Zulassung Nawalnys als Präsidentschaftskandidat ab.

Proteste in Moskau im Juli 2019.

Im Vorfeld der Wahlen zur Moskauer Stadtverordnetenversammlung Anfang September 2019 rief Nawalny zu weiteren Protestaktionen auf. So demonstrierten im Juli mehr als 20.000 Menschen für die von der Staatsmacht verhinderte Zulassung unabhängiger Kandidaten bei der Wahl. Bei niedriger Wahlbeteiligung erlitt die Kremlpartei Einiges Russland bei den landesweiten Kommunal- und Regionalwahlen im September schließlich eine ziemliche Niederlage.

Alexej Nawalny

Im Oktober 2019 wurde Nawalnys Stiftung auf die Verbotsliste als "Agenten des Auslands" gesetzt.

Alexej Nawalny

2020 gründete er eine neue "Stiftung zur Verteidigung der Rechte", mit der er um Spenden für weitere Recherchen und Aktionen bat.

Alexej Nawalny mit seiner Familie in einem Berliner Krankenhaus.

Im August 2020 überlebt er einen Giftanschlag. Auf einem innerrussischen Flug war er plötzlich zusammengebrochen. Zunächst wurde er in Russland behandelt, dann in die Berliner Charité verlegt. Dort wurde eine Vergiftung mit einem Nervengift festgestellt.

Alexej Nawalny

Er machte den Kreml dafür verantwortlich.

Alexej Nawalny

Im Januar 2021 kehrte Nawalny nach Russland zurück, obwohl er den Giftanschlag dem Kreml anlastete. "Ich habe keine Angst und ich rufe euch auf, auch keine Angst zu haben", sagte er bei seiner Ankunft am Flughafen. Kurz darauf wurde Nawalny vor den Kameras der ganzen Welt festgenommen.

Alexej Nawalny

Nawalny saß seit 2021 in Haft. Ihm wurde unter anderem Extremismus vorgeworfen. Mehrere Gerichte verhängten in fragwürdigen Prozessen langjährige Freiheitsstrafen gegen den bekannten Kritiker Wladimir Putins. Insgesamt sollte er mehrere Jahrzehnte hinter Gittern verbringen. Zuletzt verbüßte er in der Strafkolonie in Charp in der russischen Polarregion eine 19-jährige Haftstrafe.

Berühmt durch charismatische Reden und Internet-Auftritte

Internationale Berühmtheit erlangte Nawalny mit seinen feurigen, regierungskritischen Reden bei den Protesten nach der russischen Parlamentswahl 2011 in Moskau. Nawalny zählte zu den ersten Oppositionellen, die festgenommen wurden. Auf die Frage nach den Gefahren, die eine Konfrontation mit dem Kreml mit sich bringen könnte, sagte er: "Warum sollte ich Angst haben?"

Bekannt wurde Nawalny auch durch Internet-Videos und Blogs. Unermüdlich prangerte er darin die Korruption in der russischen Elite an und beschrieb Russland als ein von "Gaunern und Dieben" regiertes Land.

So kaufte er Aktien russischer Gas- und Ölfirmen und drängte als Teilhaber auf mehr Transparenz. 2013 wurde er wegen Veruntreuung zu fünf Jahren Haft verurteilt. Eine höhere Instanz verurteilte ihn zur Bewährung.

Kandidatur als Moskauer Oberbürgermeister

Im selben Jahr kandidierte Nawalny für den Posten des Moskauer Oberbürgermeisters und kam auf den zweiten Platz. Nawalnys Anhänger sahen in dem Ergebnis dennoch eine beeindruckende Leistung für einen Mann, der von der Berichterstattung in den staatlichen Medien faktisch ausgeschlossen war.

Nachdem der Oppositionspolitiker Boris Nemzow 2015 in der Nähe des Kreml erschossen worden war, nahm Nawalnys Popularität noch zu. Staatliche Medien ignorierten ihn, doch Nawalny erreichte über das Internet vor allem junge Russinnen und Russen. Auf diese Weise konnte er auch abseits der großen Metropolen ein starkes Netz von Regionalbüros aufbauen.

Es fiel ihm jedoch schwer, mit Menschen außerhalb der Großstädte warm zu werden. Auch stieß er einige Bürgerrechtler vor den Kopf, weil er an ultranationalistischen Demonstrationsmärschen teilgenommen und gegen illegale Einwanderung gewettert hatte. Einige kreideten ihm das als populistischen und nationalistischen Zug an.

Player: videoHarsche Kritik an Russland nach Bekanntwerden des Todes von Nawalny in einem Straflager

Harsche Kritik an Russland nach Bekanntwerden des Todes von Nawalny in einem Straflager

Norbert Hahn, WDR, tagesthemen, 16.02.2024 22:00 Uhr

Bewundert im Westen

Dennoch wuchs Nawalnys Popularität zunehmend. Nach und nach wurde er zum bekanntesten Gesicht in der gespaltenen russischen Opposition und eine zentrale Galionsfigur der Proteste von noch nie da gewesenem Ausmaß gegen zweifelhafte nationale Wahlergebnisse und den Ausschluss unabhängiger Kandidaten.

Von seinen Hunderttausenden Anhängern wurde Nawalny bewundert, ebenso wie von vielen Politikern und Unterstützern im Westen. Sie sehen in ihm einen mutigen und charismatischen Oppositionspolitiker, der bereit war, alles für ein Land zu riskieren, von dem er glaubte, dass es eines Tages frei sein könnte.

Putin - der "alte Mann in seinem Bunker"

Putin weigerte sich, Nawalnys Namen auszusprechen und nannte ihn in der Öffentlichkeit immer nur "diese Person". Nawalny nahm sich dagegen Putin häufig vor. Während der Corona-Pandemie bezeichnete er den Staatschef als "den alten Mann in seinem Bunker". Seine Mitstreiter filmten mit Drohnen luxuriöse Residenzen von Putin und seinen Staatsbediensteten, und nahmen deren Vermögen unter die Lupe.

Auf Übergriffe von Staatsdienern und körperliche Attacken reagierte Nawalny oft mit Sarkasmus. Nachdem ihm 2017 ein Angreifer grün gefärbtes Desinfektionsmittel ins Gesicht geschleudert und dabei eines seiner Augen schwer geschädigt hatte, scherzte Nawalny in einem Videoblog, man vergleiche ihn schon mit Comicfigur Hulk.

2019 erlitt er in der Haft nach Angaben der Behörden eine allergische Reaktion. Ärzte sprachen dagegen von einer Vergiftung.

Player: video"Angst im Land wird sich verschärfen", Ina Ruck, ARD Moskau, zzt. Köln, zu den Folgen von Nawalnys Tod in Russland

"Angst im Land wird sich verschärfen", Ina Ruck, ARD Moskau, zzt. Köln, zu den Folgen von Nawalnys Tod in Russland

tagesthemen, 16.02.2024 22:00 Uhr

Zusammenbruch auf einem Inlandsflug

Ein Jahr später brach er auf einem Inlandsflug zusammen, den er für Oppositionskandidaten organisierte. Zunächst wurde er in Russland behandelt, dann nach Deutschland in die Berliner Charité verlegt. Es wurde eine Vergiftung mit dem Nervengift Nowitschok festgestellt. Putin wies Vorwürfe zurück, wonach Attentäter des russischen Geheimdienstes FSB involviert waren. "Wenn ihn jemand hätte vergiften wollen, hätten sie ihn erledigt", sagte er.

Nawalny reagierte mit einem Telefonstreich. Er sprach nach eigenen Angaben am Telefon mit einem mutmaßlichen Mitglied einer Gruppe von Offizieren des Inlandsgeheimdienstes FSB, die den Giftanschlag verübt und anschließend versucht haben sollen, ihn zu vertuschen. Das Gespräch veröffentlichte er. Der FSB wies die Aufnahme als Fälschung zurück.

Freiwillige Rückkehr nach Russland

Trotz des Anschlagsverdachts kehrte Nawalny nach seiner Genesung Anfang 2021 freiwillig nach Russland zurück. Vor seiner Rückreise aus Deutschland erläuterte Nawalny, warum er nach Russland zurückwolle, obwohl er wisse, dass ihm die Festnahme drohe:

Russland ist mein Land. Moskau ist meine Stadt. Und ich vermisse es.

In Russland nahmen ihn die Behörden mit der Begründung fest, er habe sich während seiner Behandlung in Deutschland nicht persönlich bei ihnen gemeldet. Nawalny wurde in mehreren Prozessen zu insgesamt mehr als 30 Jahren Haft verurteilt. Der Kreml stellt Nawalny als Kriminellen dar, der sich des Betrugs, der Gerichtsmissachtung und des Extremismus schuldig gemacht habe. Nawalny, so hieß es von Seiten russischer Behörden immer wieder, sei ein Handlanger und Unruhestifter des US-Geheimdienstes CIA. Er sei darauf aus gewesen, Russland zu destabilisieren, die Behörden zu stürzen und Moskau in einen gefügigen Vasallenstaat der USA zu verwandeln.

Noch vor wenigen Tagen "lebendig, gesund und lebenslustig"

Doch im sibirischen Straflager galt Nawalny für den Kreml als Ärgernis und Störfaktor - auch weil er vor der angesetzten Präsidentenwahl im März zu Protesten gegen Putin aufrief.

Bis zuletzt gelang es ihm, mit Mut machenden und oft humorvollen Texten an die Öffentlichkeit zu wenden. Seine Auftritte bei Gerichtsverfahren aber lösten immer wieder Entsetzen aus, weil ihm Schwächung und körperlicher Verfall zunehmend anzusehen waren. Ärzte appellierten an Putin, er möge als Garant der Verfassung Nawalnys Recht auf ärztliche Behandlung sicherstellen.

Nun starb der berühmteste politische Gefangene des Landes nach Angaben der Justiz in der sibirischen Strafkolonie. Er sei nach einem Spaziergang zusammengebrochen, Wiederbelebungsversuche hätten keinen Erfolg gehabt, hieß es.

Sollten sich die Angaben über Nawalnys Tod bestätigen, hinterlässt er seine Ehefrau Julia und zwei gemeinsame Kinder.

Mit Informationen von Reuters, AFP, dpa und AP

Player: audioOppositionspolitiker Nawalny in Haft gestorben
Frank Aischmann, ARD Moskau, tagesschau, 16.02.2024 13:11 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 16. Februar 2024 um 17:00 Uhr.