Eskalation im Nahen Osten Israel fliegt weitere Luftangriffe auf Gazastreifen
In der Nacht hat Israel erneut Ziele im Gazastreifen angegriffen. Laut Verteidigungsminister Galant könnte bald die geplante Bodenoffensive folgen. Im Gazastreifen wartet die Bevölkerung auf dringend benötigte Hilfslieferungen.
Als Reaktion auf die Großoffensive der militant-islamistischen Hamas hat das israelische Militär in der vergangenen Nacht erneut zahlreiche Ziele im Gazastreifen aus der Luft angegriffen. Eigenen Angaben zufolge wurden mehr als 100 Stellungen der Terrormiliz attackiert.
Bei den Angriffen wurden demnach ein Tunnel, Waffenlager sowie Dutzende von Kommandozentren bombardiert. Im Ort Dschabalia nördlich von Gaza-Stadt seien Einrichtungen und Waffen der Hamas in einer Moschee zerstört worden. Die Moschee wurde laut israelischem Militär von der Hamas als Beobachtungsposten genutzt. Auch in Gaza-Stadt selbst sei "ein Terrorkommando" der Hamas "ausgeschaltet" worden.
Zudem sei ein Mitglied der Hamas getötet worden, das zu Beginn der Angriffe am 7. Oktober mit anderen Kämpfern der Terrormiliz in grenznahe israelische Orte eingedrungen und dort an der Tötung zahlreicher Menschen beteiligt gewesen sein soll. Unabhängig überprüfen lassen sich die Angaben der israelischen Armee nicht.
Galant stellt baldigen Start von Bodenoffensive in Aussicht
Neben den Luftangriffen kündigte der israelische Verteidigungsminister Joav Galant auch den baldigen Beginn der geplanten Bodenoffensive im Gazastreifen an. Einen genauen Zeitpunkt ließ er aber nach wie vor offen. Bei einem Besuch der nahe der Grenze stationierten Truppen betonte Galant jedoch: "Der Befehl wird kommen." Israelische Medien zitierten den Minister weiter mit den Worten: Die Soldaten sähen den Gazastreifen jetzt noch aus der Ferne, würden ihn aber bald schon von innen sehen.
Laut palästinensischen Behörden auch Kirche beschossen
Von der Hamas kontrollierte palästinensische Behörden werfen Israel zudem vor, bei den Angriffen der vergangenen Nacht auch eine griechisch-orthodoxe Kirche in Gaza-Stadt beschossen zu haben. Es habe Tote und Verletzte gegeben, sagte der Generaldirektor des Al-Schifa-Krankenhauses, Mohammed Abu Selmiam. Unter den Trümmern der Kirche seien vermutlich noch Leichen verschüttet.
Bei der Kirche des Heiligen Porphyrius handelt es sich Berichten der Nachrichtenagentur dpa zufolge um die älteste aktive Kirche in Gaza. Das Gebäude liegt laut Behördenangaben in der Nähe der Al-Ahli-Klinik, in die vor einigen Tagen eine Rakete einschlug. Hunderte Menschen sollen dadurch getötet worden sein. Israel und die Hamas beschuldigen sich gegenseitig, für die Attacke verantwortlich zu sein.
Das orthodoxe Patriarchat von Jerusalem verurteilte den Beschuss der Kirche scharf. Es sei ein Kriegsverbrechen, das nicht ignoriert werden könne, wenn Kirchen und ihre Einrichtungen angegriffen würden, zusammen mit den Unterkünften, die sie zum Schutz unschuldiger Bürger zur Verfügung stellten, hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme.
Evakuierung von Ort nahe libanesischer Grenze
Auch an der israelisch-libanesischen Grenze kam es wiederholt zu Raketenbeschuss. Am Donnerstag wurden israelischen Angaben zufolge im grenznahen Ort Kiriat Schmona mindestens drei Menschen durch Angriffe vom Libanon aus verletzt. Ein Wohnhaus sei von einer Rakete getroffen worden.
Die Nachrichtenagentur AFP berichtete unter Berufung auf Angaben der Hamas, dass 30 Raketen aus dem Südlibanon in Richtung Nordisrael abgefeuert worden sein sollen. Auch die schiitische Hisbollah habe Angriffe auf mehrere israelische Stellungen verübt.
Infolge der anhaltenden Gefechte hat Israel nun angekündigt, dass Kiriat Schmona evakuiert werden soll. In dem Ort leben mehr als 20.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Viele hätten den Ort bereits verlassen, wie Medien berichteten. Die verbliebenen Bewohner sollen in vom Staat zur Verfügung gestellten Unterkünften untergebracht werden.
Baerbock verlängert laut Medienberichten Nahost-Reise
Im Bemühen um eine Lösung nach der gewaltsamen Eskalation im Nahen Osten will Bundesaußenministerin Annalena Baerbock im Laufe des Tages in Israel weitere Gespräche führen. In Tel Aviv soll sie zunächst mit ihrem israelischen Amtskollegen Eli Cohen zu Beratungen zusammenkommen, anschließend ist ein Treffen mit dem Oppositionspolitiker Benny Gantz geplant. Gantz hatte nach Beginn der Offensive gegen Israel mit Ministerpräsident Benjamin Netanyahu eine Notstandsregierung gebildet.
Bereits am Nachmittag will Baerbock in den Libanon reisen, um dort mit dem geschäftsführenden Ministerpräsidenten Najib Mikati zu sprechen sowie mit dem Oberbefehlshaber der libanesischen Streitkräfte, Joseph Aoun.
Entgegen der ursprünglichen Planung will Baerbock ihre Nahost-Reise verlängern, um am Samstag im ägyptischen Kairo an einem Friedensgipfel teilzunehmen, wie mehrere Medien unter Berufung auf Mitglieder der Delegation der Außenministerin berichteten. Laut ägyptischen Medien sollen an dem Treffen auch Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi, UN-Generalsekretär António Guterres, Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, Jordaniens König Abdullah II. sowie der Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani, teilnehmen.
Deutschland gibt 50 Millionen Euro für humanitäre Hilfe
Am Donnerstag hatte Baerbock bereits an Beratungen in Jordanien teilgenommen und angekündigt, dass Deutschland zusätzlich 50 Millionen Euro aufbringen werde, um Hilfsorganisationen bei der Lieferung humanitärer Güter in den Gazastreifen zu unterstützen. Die dort lebende Bevölkerung sei genauso Opfer des Hamas-Terrors wie Israel, betonte die Grünen-Politikerin.
Die derzeit einzige Möglichkeit, humanitäre Hilfsgüter in den Gazastreifen zu liefern, ist über Rafah, einen Grenzposten an der Grenze zu Ägypten. Bisher hatte Ägypten diesen jedoch geschlossen. Erst am Donnerstag hatte die ägyptische Regierung angekündigt, Hilfslieferungen zulassen zu wollen. Auch Israel hatte dem zugestimmt, unter der Bedingung, dass die Hilfen keinesfalls die Hamas erreichen dürften. Eine Lieferung von Hilfen über das eigene Staatsgebiet knüpft Israel nach wie vor an die Forderung, die Hamas müsse zuvor alle von ihr entführten Geiseln freilassen. In den Händen der Terrormiliz sollen sich laut Israel etwa 200 Geiseln befinden, darunter wohl auch acht Deutsche.
Erste Hilfslieferungen eventuell noch im Laufe des Tages
Unklar ist, wann genau der Grenzübergang geöffnet wird. Die Vereinten Nationen hatten nach Ägyptens Zustimmung die Hoffnung geäußert, dass bereits im Laufe des Tages erste Lkw die Grenze in den Gazastreifen passieren könnten. Seit Tagen warten an der Grenze Lkw mit tonnenweise Hilfsgütern. Der dortigen Bevölkerung fehlt es an allem: sauberem Wasser, Nahrungsmitteln, Medikamenten, Unterkünften. Ein Sprecher der israelischen Armee stellte ebenfalls in Aussicht, dass erste Lieferungen bereits am Freitag oder spätestens am Samstag erfolgen könnten.
Die EU mahnte mit Blick auf die Öffnung des Grenzübergangs, dass Ägypten Unterstützung brauche, da eine hohe Zahl von Flüchtlingen aus dem Gazastreifen in das Land kommen könnte. Ähnlich äußerte sich EU-Ratspräsident Charles Michel, der am Wochenende ebenfalls an dem Friedensgipfel in Ägypten teilnehmen will. Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell wird zu dem Treffen in Kairo erwartet, teilte eine Sprecherin Michels mit.