Gantz verlässt Kriegskabinett "Ich gehe schweren, aber reinen Herzens"
Weil Premier Netanyahu immer noch keine Nachkriegsstrategie für den Gazastreifen vorgelegt hat, verlässt Minister Gantz das israelische Kriegskabinett. Die politischen Auswirkungen sind noch unklar. Von J.-C. Kitzler.
Eigentlich war schon einen Tag früher erwartet worden, dass sich Benny Gantz aus dem israelischen Kriegskabinett zurückzieht. Doch nach der Befreiung von vier Geiseln im Gazastreifen wurde sein Statement verschoben.
Am Sonntagabend gab es dann doch noch eine Erklärung von Gantz - mit der Ankündigung, das Kriegskabinett zu verlassen, und verbunden mit Kritik an Premierminister Benjamin Netanyahu. Dieser halte das Land davon ab, den wirklichen Sieg zu erlangen, der eine Berechtigung für die schmerzhaften andauernden Verluste wäre. Deshalb werde seine Partei die Einheitsregierung verlassen. "Schweren Herzens, aber reinen Herzens", so Gantz.
Gantz genießt viel Glaubwürdigkeit
Gantz genießt viel Glaubwürdigkeit in Israel in militärischen Fragen, denn er war mal Generalstabschef der Armee und Verteidigungsminister. Dass er nach dem Terror des 7. Oktober und dem Beginn des Kriegs im Gazastreifen Teil des Kriegskabinetts wurde, hatte Netanyahu den Rücken gestärkt und galt als Zeichen der Einheit in schwierigen Zeiten.
Nun bat er die Familien der Geiseln um Entschuldigung, dafür, dass es bisher nicht gelungen ist, die Mehrzahl der Geiseln nach Hause zu bringen.
Geduld mit Netanyahu verloren
Gantz hatte zuletzt wegen der Kriegsführung in Gaza zunehmend die Geduld verloren, von Netanyahu einen Plan für die Zukunft des Gazastreifens verlangt und ein Ultimatum gestellt. Netanyahu hatte darauf nicht reagiert.
Gantz hat klare Vorstellungen von einer möglichen Neuwahl: Um einen wirklichen Sieg sicherzustellen, sollten im Herbst, ein Jahr nach der Katastrophe, Neuwahlen stattfinden, nach denen eine Regierung gebildet werde, die das Vertrauen des Volkes genieße und sich den Herausforderungen stelle. "Ich wende mich an Netanyahu: Bestimmen Sie einen Termin für Neuwahlen. Lassen Sie es nicht zu, dass unser Volk zerreißt", bittet Gantz eindringlich.
Unklar, was Austritt bedeutet
Was die unmittelbaren politischen Konsequenzen des Rückzugs von Gantz sind, ist zur Zeit noch offen. Netanyahu äußerte sich auf der Plattform X mit den Worten: Dies sei nicht die Zeit für Wahlkampf, es sei die Zeit, die Kräfte zu bündeln.
Harte Töne von rechten Koalitionspartnern
Harte Töne kommen von Netanyahus rechtsextremen und ultrareligiösen Koalitionspartnern, die jedes Zugeständnis an die Palästinenser ablehnen und damit nicht nur einem neuen Geisel-Deal, sondern auch Plänen für die Zukunft des Gazastreifens entgegenstehen. Itamar Ben Gvir, der rechtsextreme Minister für Nationale Sicherheit, forderte, selbst in das Kriegskabinett aufgenommen zu werden.
Am Rückzug von Gantz gibt es auch Kritik von außerhalb der Politik. So sagte Itzik Bonzel, Vertreter einer rechten Gruppe namens "Heldentum", der sich gestern mit Netanyahu getroffen hatte, im israelischen Fernsehen, er habe das Gefühl, dass sie das Boot nicht aus inhaltlichen Gründen verlassen, sondern aufgrund politischer Hochrechnungen und ausländischer Einflüsse. "Wie kann ich mich als Minister vor die Soldaten, die im Gazastreifen ihr Leben hergeben, stellen und sagen: Ich verlasse das Boot?", kritisierte Bonz.
Zuspruch von Geisel-Angehörigen
Viele Angehörige der Geiseln und die Zehntausenden, die inzwischen jede Woche auf die Straße gehen, fordern dagegen den Rücktritt der Regierung - und dass Netanyahu endlich politische Verantwortung übernehme.
Forderung nach Neuwahl
Shelly Shem Tov, die Mutter eines in den Gazastreifen verschleppten Mannes, geht es vor allem um die Freilassung der Geiseln: "Ich fordere eine breite Einheitsregierung. Die Betonung liegt auf breit. Eine Regierung, in der sich alle wiederfinden. Gemeinsam sollen sie die Geiseln zurückholen. Ja, es wird Mut erfordern und ja, man wird sagen müssen: wir haben alles auf kriegerische Weise versucht. Aber seht nur, was hier los war. Könnt ihr euch die Freude vorstellen, wenn alle 120 zu Hause sein werden? Es würde auch dem Volk Kraft geben, weiterzumachen. Wir alle stecken fest."
Doch nach einer neuen Regierung oder gar nach Neuwahlen in Israel sieht es derzeit nicht aus - auch nicht nach dem Rücktritt des populären Politikers Gantz aus dem Kriegskabinett.